Sterben dürfen – Leben wollen

„Leben dürfen – Leben wollen“

habe ich einmal einen Titel einer Lesung genannt.

Ich habe darin anhand meiner eigenen Biographie aufgezeigt, wie das frühe nicht Leben Dürfen ein Leben Wollen behindert.

Leben Dürfen heißt für mich, von liebevollen, achtsamen, feinfühligen Menschen im Leben willkommen geheißen zu werden, begrüßt zu werden in dem, wer ich bin, ruhig oder quicklebendig, neugierig und ausdrucksstark oder scheu und zurückhaltend.

Leben Dürfen heißt, dass ich mich ausdehnen darf ins Leben hinein, ohne darin behindert zu werden.

Leben zu dürfen heißt, dass ich meiner Berufung folgen kann und darin ermutigt werde, das zu leben, wozu ich angelegt bin zu sein, meiner Lebensmelodie zu folgen, wie das Le Shan in seinem sehr lesenswerten Buch „Diagnose Krebs Wendepunkt und Neubeginn“ (siehe dazu: https://krebscoaching.org/buchempfehlungen/bucher/ so wunderbar beschreibt.

Leider sind die Bedingungen jedoch allzu oft  gänzlich andere. Viele Menschen leiden lebenslänglich unter den Folgen von teilweise in der frühen Kindheit stattfindenden Traumatisierungen – zu diesen Folgen zählen ständiger Schmerz,  Übererregung, die Angst vor allem und jedem, die Schlaflosigkeit, die Unfähigkeit, Gefühle zu erleben….

Oftmals empfinden sie eine grenzenlose stumme Verzweiflung, sehen keinen Ausweg,  fühlen keine Berechtigung, dieses Leben zu einem ihnen gemäßen zu verändern.

Dann wollen sie weg von diesem derart bedrohlichen Ort. Und wenn man ihnen Gehör schenkt, dann „gestehen“ sie ihre Todessehnsucht.

So war das auch bei mir.

Dann die Diagnose: sie war ein Ausweg, eine Möglichkeit, sie gab Erlaubnis und Berechtigung. Endlich durfte ich mich um mich selbst kümmern, Termine absagen, Verpflichtungen – undenkbar zuvor – durften gelöst werden. Ich durfte mich pflegen und be-handeln lassen.

Kurz spürte ich das Leben in seiner Essenz, die Stille draußen im Wald, das bei mir Sein. Und Ausdehnung fand statt.

Geblieben ist das grundsätzliche Unwohlsein im Leiblichen. Nein, da will ich nicht bleiben, in diesem Körper, der schmerzvoll, eng und rasend ist.

„Du musst kämpfen, Du darfst jetzt nicht aufgeben, Du musst hoffnungsvoll und zuversichtlich bleiben“ wird krebskranken Menschen oft gesagt. Niemand fragt danach, ob der Mensch überhaupt leben will.

Auf einer oberflächlichen Ebene wird diese Frage zumeist auch bejaht. Jedoch gibt es  – das ist meine Erfahrung –  sehr oft in der Tiefe ein Nein zu diesem meinem Leben.

Dies gilt es, wie mein verehrter Carl Rogers sagt, un-bedingt wert zu schätzen. Zu allererst nur einmal das – ja, da gibt es ein Nein zu dieser leiblichen Existenz, ein Sterben Wollen, ein zurücklassen Wollen dieses ungemütlichen Körper-Wohnortes.

Behutsam gilt es zu erkunden, wo sich die Unerträglichkeit befindet. Was es auszuhalten gilt, was eigentlich unaushaltbar ist, wo die Verzweiflung über das eigene Leben wohnt. Dies kann eine schwierige Partnerschaft sein, wo eine Trennung unmöglich scheint, oder ein Job, der unbefriedigend oder überfordernd ist, wo ich jedoch Angst vor existentieller Not habe, oder es ist dieses oben angesprochene Unwohlsein im Körper, das das Leben schmerzvoll macht.

Auch hier  – einfach wahrnehmen, benennen, ohne gleich eine Veränderung  planen zu müssen –  weil das neuerlich Angst macht und verengt.

Sodann können wir nach der Sehnsucht fragen – was verheißt der Ort im Jenseits – Ruhe, Stille, Freisein von Schmerz, Aufruhr und Konflikt?

Oft ist die Sehnsucht nach dem Tod nämlich eine Sehnsucht nach dem (ungelebten) Leben – eine Sehnsucht nach Stille, dem unbelastet Sein, dem einfachen Sein, losgelöst von allem Zwang und Fremdbestimmtheit. Letztlich eine Sehnsucht nach mir selbst.

Und dann können wir vielleicht gemeinsam schauen, was in diesem Sinne zu verändern ist – nichts Großes, neuerlich Überforderndes.

Unmittelbar jetzt – wie mag ich mich setzen, vielleicht hinlegen, vielleicht eine Decke zum Schutz über mich nehmen, mich wärmen, gehalten werden, Ruhen….

Wenn ich dann meinen Körper als einen wohligen Ort empfinde kann, und das Jetzt und Hier eine ewige Dimension gewinnt,  kann erneut Ausdehnung ins Lebendige stattfinden, es wird still und ruhig.

Und das Leben wird zu einem guten Wohnort, wo ich bleiben möchte.

Dann kann es sich wenden das Sterben Wollen zu einem Leben Dürfen und Wollen.

P.S. Zwei Empfehlungen, die sich auf die beiden Pole des Lebensanfangs und Lebensendes beziehen: Die Arbeit von Thomas Harms, welche im Film „Cry Baby Cry“ https://www.youtube.com/watch?v=V1G531Cn9Ek   dokumentiert wird, und wo spürbar gezeigt wird, wie wichtig es ist, dass Traumatisierungen, die sich in der Schwangerschaft und rund um die Geburt ereignet haben, behandelt werden. In seinem Buch „Körperpsychotherapie mit Säuglingen und Eltern“ werden dazu in umfassender Weise  therapeutische Wege aufgezeigt. Nichts ist Wichtiger als ein guter Lebensbeginn, davon bin ich überzeugt.

Und eine neue Webseite von meiner Freundin Manuela Pusker https://manuelapusker.com/, die einen furchtlosen Blick auf das Sterben richtet und Unterstützendes für diese, wie sie sagt, sensibelste Lebensphase zur Verfügung stellt.

5 Gedanken zu “Sterben dürfen – Leben wollen

  1. Benita Wiese (Pseudonym) schreibt:

    Liebe Beatrix,
    ein berührender Text, der in so vielem meine eigene Krebserfahrung trifft. Das ist 13 Jahre her und ich gelte als geheilt, lt. Schulmedizin. Allerdings war es bei mir nicht das Sterben wollen, sondern frei von diesem unerträglichen Seelenschmerzen sein. Aber ja, es ist ein Unvermögen leben zu können in der Diagnose Krebs.
    Danke auch für die Links und die vielen Anregungen, was noch alles zu reflektieren ist, obwohl es schon länger her ist, dass ich diese Diagnose erhielt.
    Herzliche Grüße
    „Benita“

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      • Benita Wiese (Pseudonym) schreibt:

        Liebe Beatrix,
        herzlichen Dank für dein Interesse. Woher das Interesse an meinem Weg? Du bietest Coaching an, sehe ich das richtig?

        Nun ich bin in jahrelanger Psychotherapie. Coaching wäre in meinem Fall zu wenig. Ich brauche intensive Traumatherapie.
        Vielleicht ist dennoch interessant, was ich erlebte?
        Kurz zusammengefasst: Tatsache ist, dass „ich“ sehr viel Gewalt in der Kindheit und Jugend erlitt und neben dieser sehr traumatisierenden Erfahrungen gab es noch eine Projektion meiner Mutter, die mich nach ihrer Mutter benannte. Meine Großmutter war 45jährig an Brustkrebs verstorben. Das stand immer als Damoklesschwert über meinem Leben, dass ich an Krebs sterben würde. …. Nun wir leben noch! („ich“ habe eine schwere Traumafolgestörung – dissoziative Identitätsstörung, daher das wir, weil wir uns als mehrere Persönlichkeiten wahrnehmen. …. hat nichts mit Schizophrenie zu tun, übrigens, nur zur Info.)

        Den Körper zu lieben, sich zu lieben, das sind alles überaus herausfordernde Aufgaben in unserem Leben. Falls du mehr wissen magst, habe ich von meinem Blog zwei Beiträge herausgesucht, wo wir über die Krebserfahrung und die Folgen schreiben.

        Dass die Krebserkrankung eine Zäsur in unserem Leben darstellt ist definitiv so. Der behandelnde Arzt, der uns operierte meinte danach, wir sollten weiterleben wie davor, als wäre nichts gewesen. Was für ein Unfug! Und die Psychologin auf der Onkologie wollte auch nur über die Operation sprechen und die Ängste davor, dabei waren die das absolut kleinste Problem in unserem/meinem Leben.

        Dass selbst auf der onkologischen Gynäkologie im größten Spital Österreichs (AKH in Wien) keinerlei Verständnis oder Interesse an den Hintergründen und evtl. traumatischen Hintergründen besteht ist erschreckend. Ich hoffe, das hat sich in den vergangenen 13 Jahren zum positiven geändert.

        Hier die Links:

        2. Geburtstag – Alter: 10 Jahre

        „Mein“ Körper

        Ich denke es ist gut, wenn jemand der Coaching anbietet sich zum Thema Trauma und sexualisierte Gewalt informiert. Darum herzlichen Dank nochmals für dein Interesse. Dass du Trauma in deinem Beitrag auch gezielt angesprochen hast, hat uns sehr berührt. Danke.
        Liebe Grüße
        „Benita“

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