Die Krebsbegleitung als spiritueller Weg

Angeregt durch ein Gespräch in meinem kleinen, feinen KrebsbegleiterInnenkreis, habe ich mir Gedanken gemacht, was eine Begleitung, die auch die Spiritualität (was immer das genau ist) einbezieht, auszeichnen könnte.

Die folgenden Punkte sind ungeordnet und sicher nicht vollständig:

  • Ein Abstandnehmen können von den eigenen (angstbesetzten) Konzepten über die Krebserkrankung und darüber, was richtig und falsch ist, zu tun.
  • Um die Schicksalshaftigkeit jeden Weges zu wissen.
  • Zu wissen, dass das Leben mit dem Tod nicht endet.
  • Zu wissen, dass es um den Weg geht, der immer in sich richtig ist und heilsam wird, wenn er bewusst beschritten wird – egal wie er aussieht (!?!)
  • Zu wissen, dass der (Heil-)Weg zu allererst ein Prozess ist, mit der je eigenen, individuell unterschiedlichen Zeit.
  • Ahnend zu wissen, dass die Krankheit im Verständnis von Viktor von Weizsäcker eine, wenn auch vielleicht unzureichend gebliebene „Schöpfungstat“ ist. Dass ihr also ein finaler Sinn innewohnt.
  • Zu wissen, dass es verschiedene Ebenen des Seins gibt – eine non duale, eine duale, eine Ebene des Körpers, der Seele, des Geistes,….., und dass diese Ebenen oftmals eine eigene Berücksichtigung brauchen.
  • Zu wissen, dass immer die Liebe das heilsame Agens in der Begegnung zwischen dem/der BegleiterIn und dem krebskranken Menschen ist. Und da meine ich jetzt nicht eine kitschig-sentimentale Zuneigung, sondern eine Liebe, die den anderen in seinem So- und Angelegtsein wahrnimmt und herzlich schätzt.
  • Zu wissen, dass es ein großes Geschenk ist, jemanden begleiten zu dürfen, der mit der Herausforderung einer Krebserkrankung zu leben hat.
  • Zu wissen, dass es im Beschreiten der Wege, sei es die Ernährung, die Bewegung, die Lebensveränderung… eine Haltung der Selbstfürsorge und Selbstliebe und eine innere Bejahung braucht, damit sie eine wahrhaft heilsame Wirkung entfalten können.
  • Zu wissen, dass neben unserem eigenen Beitrag, dem Machbaren immer auch Gnade waltet.
  • Zu wissen, dass die genaue Wahrnehmung dessen, was jetzt richtig und stimmig ist, Alles verändern kann.
  • Zu wissen, dass eine radikale Wendung immer möglich ist.
  • Zu wissen, dass das Leben größer ist, viiiiel größer als unsere irdische Existenz.
  • Zu wissen, dass es viele nicht sichtbare Kräfte gibt, die für uns sorgen und da sind.
  • Zu wissen, dass Alles gut ist.

Sowieso und immer.

Lebensretter

Die Verzweiflung ist ein häufiger Gast in meinem Körper-Geist-Haus.

Dann sitzt sie da, macht sich breit, fordert ihre Aufmerksamkeit. Zerrt an mir, schreit mich an, verstellt mir den Blick zum Sonnenlicht.

Oft erliege ich ihr, bin gebannt von dem Recht, der Selbstverständlichkeit, mit der sie mich fordert.

Vieles hab´ ich gelernt – wie ich sie aus der Tür schicken, zum Verstummen bringen, auf ihren Platz verweisen kann.

Meistens will es nicht gelingen.

Es will nicht gelingen.

Und dann steht es plötzlich neben mir, wie mein lieber Ringelnatz sagt, – dass was ich so lange ersehnt…

Wie heute, als mir ein Text von Arvo Pärt in die Hände fiel.

Worte, die alle Schichten transzendieren,

Worte, durch die etwas Größeres hindurch scheint, etwas was jenseits der irdischen Verhaftung von Göttlichem kündet.

Dann spür´ ich sie –

die Glückseligkeit, die nicht von dieser Welt ist.

Dankesrede Arvo Pärts für den Internationalen Brückepreis der Europastadt Görlitz 2007

Sehr verehrte hohe Gäste, liebe Freunde!

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit von Politikern und Wissenschaftlern zu stehen, ist für einen Musiker eine ungewöhnliche Angelegenheit. Ich höre hier Worte zu meiner Musik und Person, die für meine Ohren etwas überhöht klingen, weil ich mir nie solche grandiosen Ziele gesetzt habe, wie sie hier genannt wurden. Meine Ziele und Maßstäbe waren und sind viel bescheidener und einfacher. Damals, bei der Entstehung meiner heutigen Musik, hatte ich alle Hände voll zu tun, um mich selbst innerlich auf die Beine zu bringen und um meine eigenen Probleme zu lösen. Ich musste mich in einen Zustand versetzen, in dem ich eine Musiksprache finden könnte, mit der ich leben wollte. Ich war auf der Suche nach einem Klanginselchen. Auf der Suche nach einem „Ort“ in meinem tiefsten Inneren, wo – sagen wir so – ein Dialog mit Gott entstehen könnte. Ihn zu finden wurde eine lebenswichtige Aufgabe für mich.

Ich bin sicher, dass ein solches Bedürfnis – bewusst oder unbewusst – zu jedem Menschen gehört, und vielleicht wissen das viele von Ihnen, und Sie erkennen, wovon ich rede.

Um meine Gedanken zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen ein Bild schildern:

Wenn wir durch ein Rastertunnelmikroskop irgendeine Substanz oder einen Gegenstand betrachten, dann sieht die tausendfache Vergrößerung ganz offensichtlich anders aus als die millionenfache Vergrößerung. Wenn man sich durch die verschiedenen Stadien der Vergrößerung bewegt, kann man in jeder Materie bis dahin unvorstellbare und ziemlich chaotische „Landschaften“ entdecken. Irgendwann aber gibt es eine Grenze, die bei etwa dreißigmillionenfacher Vergrößerung liegt. Hier sind die fantastischen Landschaften verschwunden, und wir sehen nur eine strenge Geometrie, eine Art Netz, sehr klar und sehr speziell. Was nun verwundert, ist die Tatsache, dass diese Geometrie selbst bei ganz unterschiedlichen Substanzen oder Gegenständen sehr ähnlich aussieht.

Gilt etwas Ähnliches vielleicht auch für das Menschenwesen?

Lassen Sie uns ein wenig phantasieren. Versuchen wir, eine Menschenseele quasi unter einem solchen Mikroskop zu beobachten, wobei wir nach und nach den Grad der Vergrößerung erhöhen. Wir werden Zeuge sein, wie alle äußeren Merkmale eines Menschen mit all seinen Besonderheiten, seinen Schwächen und Tugenden im Verlauf der zunehmenden Vergrößerung mehr und mehr aus dem Bild verschwinden. Es wird wie ein endloser Verkürzungsprozess sein, der uns in die Richtung des Wesentlichen führt. Hinter uns lassen wir auf dieser „Reise ins Innere“ auch alle gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und religiösen Kontexte. Am Ende gelangen wir zu einem netzartigen Grundmuster. Man könnte es vielleicht als „menschliche Geometrie“ bezeichnen, klar geordnet, ruhig geformt – vor allem aber schön. In dieser Tiefe sind wir uns alle so ähnlich, dass wir in jedem anderen uns selbst erkennen könnten. Und diese Ebene könnte die einzige sein, auf der eine wirkliche funktionierende (Friedens-)Brücke überhaupt vorstellbar wäre, wo all unsere Probleme – falls es sie dann noch gibt – lösbar wären.

Es ist für mich eine große Versuchung diese so schön geordnete Ur-Substanz, diese kostbare Insel in der inneren Verborgenheit unserer Seele, als den „Ort“ anzusehen, über den uns vor 2000 Jahren gesagt wurde, dass Gottes Reich dort sei – nämlich in unserem Inneren. Unabhängig davon, ob wir alt oder jung sind, reich oder arm, Frau oder Mann, farbig oder weiß, begabt oder weniger begabt.

Und so versuche auch ich bis heute, mich auf dem Pfad zu halten auf der Suche nach dieser so heiß ersehnten „Zauberinsel“, wo alle Menschen – für mich auch alle Klänge – in Liebe miteinander leben könnten. Die Türen dorthin sind für jedermann geöffnet. Aber der Weg dahin ist schwierig – schwierig bis zur Verzweiflung.

Ihr Brückepreis ermutigt mich, diesen Weg weiter zu gehen, und er gibt mir neue Kraft.

Vielen Dank dafür!

                                                                                      Arvo Pärt