Die Wissenschaftlerin und Filmemacherin Bernadette Wegenstein hat einen sehr beeindruckenden Film gemacht – „The Good Breast“. Hier werden 4 Frauen mit Brustkrebs begleitet, welche in einem Krankenhaus in Baltimore in Behandlung sind. Bei allen Frauen wurde eine Totaloperation vorgenommen mit anschließendem Brustaufbau. Der Film hat mich inspiriert, mich näher mit dem Thema der – zumindest in den USA – immer häufiger vorgenommenen Mastektomien zu beschäftigen.
Auch bei mir wäre eine Totaloperation indiziert gewesen, weil die Tumorausbreitung multifokal war und eine Teiloperation kein gutes Ergebnis (Entfernung des Tumors im gesunden Gewebe und auch kosmetisch) erwarten ließ. Dann sei ich geheilt, meinte damals der erste Chirurg, den ich kontaktierte. Da sich dies nicht mit meinem Verständnis von Geheiltsein – immerhin war ich damals erst 41 Jahre alt – deckte, machte ich mich auf die Suche nach einem, der mir die Brust beließ, da wo sie state of the art total entfernt werden sollte. Dieser Chirurg tat eine derart liebevolle Arbeit, sodass nur ein mittlerweilen nicht mehr sichtbarer kleiner Schnitt um die Brustwarze herum von einer OP zeugt.
Damals – im Jahr 1998 – war der Spielraum von Arztwahl und Vorgangsweise noch größer. Es gab noch keine Tumorboards, welche grundsätzlich eine gute Idee sind, nur birgt das die Gefahr, dass unter dem Eindruck dieser gebündelten Autorität der Mut zur eigenen Entscheidungsmacht und der Mut für diese einzutreten für die Patientin geschwächt werden kann.
Ich bin sehr dankbar, dass ich mich damals im Dialog mit einzelnen Ärzten, welche ich frei wählen konnte, für einen mir angemessenen Weg entscheiden konnte.
Der besagte Film, der obwohl es sich um eine Dokumentation handelt, in seiner Ästhetik einem Kunstwerk gleicht, bildet mit nicht wertendem Blick die Wege von vier Frauen ab.
Dabei handelt es sich entweder um Fremdstoffimplantate oder aber um eine Aufbauplastik aus Eigengewebe. Da die Filmemacherin sich glücklicherweise nicht scheut, diese (zumeist mehrstündigen) Operationen zu zeigen, wird deutlich, welch massiver Eingriff das ist.
Auch die Ergebnisse werden gezeigt – empfindungslose Brüste, mit langen Schnitten, welche für mich wie prall gefüllte Fremdkörper aussehen, denen dann mithilfe eines Tatoos eine Brustwarze aufgemalt wird.
Mit Ausnahme jener Frau mit der Diagnose DCIS, welche den Verlust ihrer Brust sehr betrauert und nach wie vor bezweifelt, ob eine solche Amputation notwendig war, waren alle Frauen mit einer derartigen Vorgangsweise – so wie es scheint – einverstanden und glücklich.
Jeder Frau sei es unbezweifelt überlassen, für welche Option – brusterhaltende OP, Totaloperation mit oder ohne Brustaufbau – sie sich entscheidet.
Die vermeintliche Frei-Willigkeit ist für mich jedoch in einem hohen Maße durch folgende Faktoren eingeschränkt:
– In der Schulmedizin hat sich die evidence-based medicine durchgesetzt, wonach die Behandlungsentscheidung auf der empirisch erwiesenen Wirksamkeit von Behandlungsmaßnahmen getroffen wird. Das klingt zwar gut, weil sicher, ist es aber – näher besehen – leider nicht.
Im Buch „Heilimpulse bei Krebs“ (siehe Empfehlungen auf dieser Seite) stellt der Autor diese „sogenannte Objektivität“ mit harten Daten kräftig in Frage: Er schreibt: “ In der konventionellen Medizin gewinnen Leitlinien für die Therapie zunehmend an Bedeutung. Sie können als mögliche Variante der Behandlungsstrategie für Ärzte und Therapeuten in der Praxis hilfreich sein. Doch sie sind vor allem problematisch, weil sie nicht unabhängig, sondern mit einseitiger Orientierung in Richtung schulmedizinischer Methoden erstellt werden. Das medizinische Establishment, Politik und Krankenkassen setzen nicht leitlinienwillige Ärzte massiv unter Druck. Von 100 Autoren, die an insgesamt 37 Leitlinien beteiligt waren, bestätigten in einer kanadischen Untersuchung 87% Beziehungen zur pharmazeutischen Industrie (Quelle 5). ….“ (S. 45/46) . Weiters zitiert Irmey Studien, wonach „firmenfinanzierte Studien viermal so häufig zu Gunsten des Prüfpräparats ausfallen wie Studien mit anderen Geldgeber, dass Studienergebnisse, die ein positives Resultat zeigen, doppelt so oft veröffentlicht werden wie Studien mit Negativergebnissen oder eine Veröffentlichung von Negativergebnissen überhaupt unterbleibt, hingegen werden für den Sponsor positive Daten durch Mehrfachveröffentlichung in verschiedenen Zeitschriften überbetont.“ (Siehe Irmey, S. 46).
Aus diesen vermeintlich objektiven Ergebnissen bildet sich ein Konsens über ein Behandlungsvorgehen . State of the art bedeutet wörtlich übersetzt „Stand der Kunst“, und umgangssprachlich „Stand der Wissenschaft.“
Bei mir änderte sich dieser Stand der Wissenschaft innerhalb von vier Monaten. War bei meiner Art des Tumors im Frühjahr eine (brusterhaltende) OP mit nachfolgender Bestrahlung indiziert, musste ich dann im Herbst, als ich mit der Bestrahlung beginnen wollte, erfahren, dass es nunmehr indiziert ist, beide Brüste sowie auch die Eierstöcke zu entfernen. Die Brüste könne man dann sofort – in einer 9-stündigen OP – wieder aufbauen. Alles kein Problem. Dieses Vorgehen war für mich undenkbar, und so nahm ich all meinen Mut zusammen, um dem Radioonkologen diese Entscheidung mit zu teilen und ihn zu bitten, dass er mich dennoch mit Respekt und medizinisch gut behandelt.
Auf dem Hintergrund der oben angeführten Tatsachen, vermute ich, dass Behandlungsleitlinien auch oder vielleicht sogar vor allem finanziellen Interessen folgen, die sich als Interesse am Wohl der Patientin verkleiden. Für die Patientin scheint es so, dass eine Mastektomie die erfolgversprechendste Behandlung ist, mit der niedrigsten Rezidiv- und höchsten Überlebensrate. Nun weiß man jedoch, dass eine Mastektomie gegenüber einer brusterhaltenden Operation die Sterbensrate – mit Ausnahme bei hoher genetischer Disposition – nicht senkt. Ein Umstand, welche sogar die beeindruckende Chirurgin Lauren Schnaper, um welche sich der Film rankt, betont – „a mastectomy does not save your life“. Es ist etwas verwirrend, warum sie das dennoch tagtäglich macht.
Die Patientin steht also einem Bollwerk an vermeintlich wissenschaftlich abgesicherten Aussagen gegenüber. Darüber hinaus ist sie durch die Diagnose in einem Angst- und Schockzustand, was bedeutet, dass die kortikale Aktivität nur eingeschränkt zur Verfügung steht. Sie kann also schwerlich das ganze Feld der entscheidungsrelevanten Faktoren und vor allem ihre innere Stimme wahrnehmen. Sie wird sodann wahrscheinlich der Behandlungsweise zustimmen. Noch dazu, weil auf eine Auflehnung leider nicht selten Drohungen – „dann werden Sie mit einem Rezidiv zu rechnen haben“ oder einem Entzug der Behandlungsbeziehung – „dann kann ich nichts für Sie tun“ – folgen.
– Der zweite Faktor, welcher die Entscheidung zu einem Brustaufbau beeinflusst, ist der Umstand, dass die Identität einer Frau als Frau in der westlichen Welt an diesen „Hügel“, wie es eine anwesende Zuschauerin nannte, gebunden ist. Diese Übereinkunft, dass eine Frau nur eine Frau ist, wenn sie Brüste hat, bestimmt mit, dass auch derart massive Eingriffe wie ein Brustaufbau in Kauf genommen werden. Mehr noch, unsere Brüste sollen in ihrem Aussehen Idealen gehorchen. Diese sind interessanterweise je nach wirtschaftlicher Phase unterschiedlich. Der Terror des Schönheitsideals lässt uns Frauen mit unseren Brüsten oft lebenslänglich hadern, auch wenn sie wunderbar aussehen, ob sie jetzt klein oder groß sind. Und unsere Wahl ist in einer derart hirngewaschenen Situation ganz und gar nicht frei. Auch das hat man in dem Film gesehen – vor allem bei einer Frau, die mehrere OPs über sich ergehen ließ, um ein optimales (!!) Ergebnis zu erzielen.
Dass frau mit ihrer Brustlosigkeit glücklich und ganz und gar weiblich sein kann und im Gegenteil ihre brustlose Brust un-verschämt zeigt, wird am Beispiel von Karoline Erdmann („Ich tanze mit der Angst – ich tanze mit der Freude“) deutlich. Sie beschreibt in ihrem Buch eingehend, wie sie sich für eine Mastektomie ohne Aufbau entschied. Entscheidend war dabei die Priorität für Gesundheit und Sicherheit, aber auch die Beweglichkeit, welche zu erhalten für sie als Tänzerin ein großer Wert war. Die Entscheidung war frei und klar getroffen, die Brust, von welcher sie sich in einem Ritual verabschiedete, wurde frei-willig einem übergeordneten Interesse – Sicherheit, Gesundheit und Beweglichkeit – geopfert. Auf der Basis einer so getroffenen Entscheidung wird die Brust nicht abgenommen, sondern gegeben, Dies ist ein aktiver Akt, bei welchem die Frau nicht selbst zum Opfer wird. Sie ließ sich sodann eine ornamentale Blumenranke auf die brustamputierte Seite tätowieren, und es ist diese Seite, welche sie in ihrem asymmetrisch geschnittenen Kleid bei ihren Tangotanzauftritten.entblößt. Wie schön!
Ich fände es sehr spannend und versöhnlich, gäbe es einen Film, der Frauen würdigt, welche in diesem Sinne einen Weg beschreiten. Ihren Mut, ihre, Entschlossenheit, ihre Würde und letztlich ihre Schönheit zu zeigen wäre eine starke Bekräftigung für eine wahrhaft autonome Entscheidung.
Für mich und die Anwesenden hat der Film vieles berührt:
Es hat mir einmal mehr klar gemacht, dass ich einen derartigen Brustaufbau niemals vornehmen lassen würde. Das hat viele Gründe – vielleicht auch, weil in mir eine Amazone steckt. Aber auch, weil meine „gute Brust“ nicht nur im Äußeren lebt, sondern in meinem Inneren. Und diese Kraft und lebensspendende Macht kann man (!) mir ohnedies nicht nehmen.
Der Film hat mich aber auch meinen Brüsten wieder mit mehr Achtung und liebevoller Fürsorge zuwenden lassen, denn es ist ganz und gar nicht selbstverständlich, dass sie noch da sind, so ganz die Meinen.
Die Würdigung dieser unserer ureigensten Brüste finde ich in folgendem Text wunderbar ausgedrückt:
Altehrwürdige Brüste
Wir sind die Alten GroßMütter, und unsere Brüste sind sehr alt.
Vielleicht findest Du sie hässlich. Sieh, wie sie sich zur Erde neigen, voller Sehnsucht, mit jedem vergehenden Jahr ein Stück tiefer.
Wir lächeln, denn wir wissen, dass unsere Brüste eine unverwüstliche Kraft besitzen, sie sind biegsam, geschmeidig, leicht und nicht zu zähmen. Ob die Launen der Mode sagen, unsere Brüste müssten groß oder klein sein, spitz oder flach, mit Dekolleté oder ohne, gepolstert oder gebunden, betont oder verborgen, interessiert uns nicht.
Unsere Brüste fallen frei, unberührt von gerade gängigen Vorstellungen.
Ihre Kraft ist die Kraft des Lebens.
Die Kraft unserer Brüste ist die Kraft jeder Frau. So wie unsere Brüste Leben bedeuten, so bedeutet die Brust einer jeden Frau Leben. Auch du, EnkelTochter. Deiner Brüste Kraft ist die Kraft des Lebens.
Deine Brüste sind heilig.
(Aus dem Buch „Brustgesundheit – Brustkrebs“ von Susun S. Weed. Orlanda Verlag)