Geburt-Sterben

Das ist eigentlich gar kein Thema – das Sterben zu Weihnachten – könnte man denken.

Aber so hat sie es sich ausgesucht, meine liebe Marianna*.

Damals vor 2 Jahren, am 24. Dezember in einem Wiener Krankenhaus.

Es war dies ein strahlender Wintertag, der Himmel wolkenlos blau, die Atmosphäre erwartungsvoll ausgerichtet auf die Christgeburt, als sie ihren letzten Atemzug tat.

Lange hatten wir einander nicht gesehen, nur manchmal noch telefoniert, auch das immer seltener.

Vieles hatten wir aufarbeiten können zusammen – Belastendes aus ihrer Kindheit, Operationen, Einsamkeit, Gewalt. Und immer fand im Zuge der EMDR Sitzungen eine Öffnung zum Spirituellen statt, zu dem, was größer war als sie selbst und das Schicksal.

So fand Versöhnung statt. Stück um Stück.

Sie, die ihr Leben lang sehr leise ihre Arbeit und ihre Liebesdienste verrichtete, wurde in den letzten Monaten noch stiller, eingekehrter in sich.

Dann war es klar, dass sie nicht mehr alleine zu Hause bleiben konnte, und so wurde ich ein paar Tage vor ihrem Tod von ihrer Tochter in Kenntnis gesetzt, dass sie nun in einem Krankenhaus sei, um ihre letzten Tage dort zu verbringen.

Sie, die sich stets mit oberflächlichen Kontakten und Gesprächen schwer tat, war nun in einem Zimmer mit 2 älteren Frauen untergebracht und sie, die immer Angst vor allem Ärztlichen hatte – kein Wunder bei all den traumatisierenden medizinischen Erlebnisse in ihrer Kindheit – erfuhr nun eine liebevolle, schmerzlindernde ärztliche Hilfe.

Ja sie wollte mich noch einmal sehen, da freute ich mich,  ist es mir doch immer wichtig, mich persönlich zu verabschieden von meinen lieben Krebsklientinnen, speziell wenn die Beziehung wie bei Marianna so zart und innig ist.

Es wurde vereinbart, dass ich am 24.12. auf dem Weg zum Weihnachtsfest bei meiner Mutter vorbeikommen sollte.

Dann in der Früh merkte ich einen „Ruf“,  und so machte ich mich nicht erst am Nachmittag sondern schon am späten Vormittag auf den Weg.

Wie immer empfand ich eine Scheu und auch eine Unsicherheit, wie ich diesen sterbenden Menschen wohl vorfinden werde.

Da lag sie, Marianna, noch zarter als ich sie erinnerte und tat ihre „Arbeit“ – ich empfinde es immer als eine (Geburts-) Arbeit, das Sterben.

Sie tat das unaufgeregt, wie das so ihre Art war und ganz und gar konzentriert.

Einatmen – Ausatmen. Immer weniger Einatmen, immer länger Ausatmen.

Wir – ihre Tochter und ich – saßen am Bettrand und sprachen über sie, über das, was wir mit Marianna erfahren hatten, und wer sie war.

Daneben im Zimmer waren ihre zwei Zimmergenossinnen, mit Lockenwicklern im Haar, wollten sie doch schön sein, wenn sie von ihren Angehörigen abgeholt wurden. Sie sprachen Belangloses, schienen die Größe des Ereignisses im Raum nicht zu bemerken.

Wie wunderbar, dachte ich, dass Leben auf so vielen Ebenen gleichzeitig stattfindet und wie schön, dass dieses selbstverständlich, einfach Menschliche den Hintergrund für Marianna´s letzte Lebensmomente bildete.

Dann eine Stunde nach meinem Weggehen tat sie ihren letzten Atemzug, so unscheinbar, dass es zunächst gar nicht bemerkt wurde.

Auch das so ganz Marianna.

Danke.

 

*den Namen habe ich aus Diskretionsgründen geändert.

 

Frei-Raum Schaffen

Eines der größten Geschenke meiner Krebsdiagnose war die Notwendigkeit und das Recht, mir einen Freiraum zu verschaffen.

Ich, die mich verpflichtet fühlte, jede freie Minute zu nutzen, um an etwas – einem Vortrag, einem Artikel, an meiner Selbstverwirklichung oder an meinem geistigen und körperlichen Wohl –  zu arbeiten, musste mich plötzlich ganz und gar um mich kümmern. Termine bei Ärzten mussten vereinbart werden, ich musste mich auf die OP vorbereiten und dann während der Bestrahlung für gute Bedingungen sorgen, um die Nebenwirkungen gering zu halten.

Und plötzlich war es ganz selbstverständlich, Kliententermine abzusagen, mich nach der ersten Diagnose für 4 Monate ganz aus den beruflichen Verpflichtungen zurück zuziehen.

Die Welt rückte ab, und ich wurde zu ihrem/meinem Mittelpunkt.

Dann 4 Jahre später erhielt ich die 2. Diagnose. Wieder war ich in eine Lebensweise zurück gefallen, welche von Absolvieren, zur Verfügung stehen und Überforderung geprägt war. Die Nebenwirkungen der Bestrahlung waren jedoch von einer unerwarteten Massivität, sodass ein Weiterhasten  nicht mehr möglich war. Und hier im Zuge einer Meditation wurde ganz klar, dass ich die Praxis zuzusperren hatte. Glücklicherweise war mir dies, da ich finanziell abgesichert war, möglich.

Und ich spürte, wie sogleich Heilung stattfand.

Es folgten eineinhalb Jahre mit Frei-Raum in Hülle und Fülle. Nein, ich nahm mir auch nichts vor für diese Zeit, ich musste die Zeit nicht „sinnvoll nutzen“.

Ich riskierte den Frei-Raum des Lebens. Ich lebte in den Tag hinein, wusste am Morgen nicht, ob ich das Haus überhaupt verlassen würde heute, oder doch lieber einen Schlafsack für das Enkelkind stricken, OE1 hören, in der Küche sitzend verbringen wollte.

Oder ich traf mich mit einer Freundin im Kaffeehaus und als ich mich verabschiedete und auf die Straße trat, begegnete mir eine andere, mit der ich sogleich ins Kaffeehaus zurückkehrte, um eine weitere Stunde dort zu verbringen.

Mein Organismus, die organismische Resonanz wie Carl Rogers diese innere Bewertungsinstanz nennt, die weiß, was jetzt im Augenblick zu tun ist, führte Regie.

Ich fand statt.

Und  lebte auf.

In derartigen Extremerfahrungen, wie es eine Krebsdiagnose und die nachfolgenden Behandlungen sind, ist es oftmals leichter, sich selbst bedingungslos Gehör zu schenken. Viele an Krebs erkrankte Menschen haben in dieser Zeit den Mut, weil sie auch das Recht haben – „Jetzt wo Du Krebs hast….“- für ihre Bedürfnisse einzustehen und sich zum Mittelpunkt zu machen.

Ein wesentliches Bedürfnis war und ist für mich das terminlose Alleinsein. Der Tag-  nicht zurückgestaut auf eine Reihe von einzuhaltenden Terminen – dehnt sich in mich aus und schafft einen kreativen Raum, aus dem Ent-Faltung stattfinden kann.

Das Leben wird nicht mehr absolviert sondern gelebt.

Und oft sind es ganz einfache Bedürfnisse, die dann entdeckt werden: in Stille sein, in der Natur, die Bedürfnisse nach gesunder Nahrung, nach Bewegung, nach Einkehr, nach kreativem Ausdruck….

Bald jedoch nach der uns zugestandenen Zeit der Rekonvaleszenz beginnt es wieder zu wuchern –  die Außenwelt-  und der „Weltinnenraum“, wie Rilke diesen Bereich des „Offenen“, der „Unbetretbarkeit“ nennt, droht erneut verloren zu gehen.

Da ist es wichtig, sich zu entsinnen, was und wann es zu viel wird. Und das sind oft auch Dinge, Ereignisse, die mir grundsätzlich Freude bereiten, wie FreundInnen zu treffen, ein Seminar zu besuchen, auszugehen in ein Theater, in ein Kino…

Dann gilt es, den Mut zu haben, abzusagen, für mich einen Frei-Raum zu schaffen, mich von dem Getose des außen zurück zu ziehen in mich.

Immer wieder und wieder.

I Agree – in voller Fülle!

I AGREE!

Ich stimme zu…..Ich stimme überein…..Ich bin einverstanden…..Ich befürworte….

Im letzten Blog Beitrag im November habe ich eingeladen, sich von den Bedeutungen von „I Agree“ anstimmen zu lassen. Einige LeserInnen haben geantwortet. Nun habe ich dem Beitrag Fülle verliehen mit meinen eigenen Gedanken zum Thema und dem was als Resonanz hinzugefügt wurde.

I Agree….

Dazu kann ich doch nicht zustimmen, damit kann ich doch nicht einverstanden sein, dass ich an Krebs erkrankt bin, dass mein Körper schmerzt, ich ängstlich bin, keinen Partner finde, meinen Job verloren habe, mich bedrückt und ratlos fühle, – wie kann ich damit einverstanden sein?

Alles wehrt und stemmt sich dagegen. Sicher nicht!

Das würde ja bedeuten, dass ich mich damit abfinde, aufhöre zu kämpfen, resigniere, mich und alle Hoffnung aufgebe. Sicher nicht!

Es würde bedeuten, dass ich das, was geschehen ist verzeihe, es ungeschehen mache, es in Vergessenheit gerät. Nein, sicher nicht!

I agree….

so wie ich es meine, nimmt nicht in Kauf, heißt nicht gut, was nicht gut ist, ist nicht ein moralisch getöntes Ja. Die Zustimmung, die ich meine ist genau da, wo ich jetzt bin.

Ich stimme zu, dass ich Angst habe und ganz und gar keine Hoffnung empfinden kann, dass ich mich ungerecht behandelt fühle, dass ich empört bin, dass ich mich zum Kampf bereit mache, ja sogar Hass empfinde und Ablehnung.

Zuzustimmen bedeutet in diesem Sinne für mich, dass ich mich in all diesen Emotionen anerkenne.

Ja genau so ist das.

Und schon weitet sich etwas in mir, alles wird leichter und eine Bewegung kann zu Ende kommen und eine neue beginnen.

Das ist Labsal.

Und es bedeutet nicht, dass ich nicht handeln werde, in meinem Einverstandensein sitzen bleibe. Ich werde sicher wieder aufstehen, handeln, nur dass dieses Handeln nicht aus der Angst und Abwehr kommt, sondern aus dem alles einschließenden Wahr-nehmen von dem was ist.