Rettungsanker

Bisweilen fühlt sich das Leben ganz schön schwer an. Dann bin ich keine strahlende Heldin mehr, die mit Tatkraft ein Projekt nach dem anderen angeht. Dann bin ich verzagt und könnte untergehen in der Verzagtheit.

Doch dann sind sie da, die Rettungsanker, wie zum Beispiel jetzt die Sendung über den Misthaufen in Ö1 – wie cool ist das, 5 Minuten über die Unterschiede zwischen Pferde- und Rindermist, mit einer derartigen Ernsthaftigkeit und der spürbaren Beglückung, dass er, der Herr Pöllinger über sein Spezialgebiet 5 Tage lang 5 Minuten sprechen darf. https://oe1.orf.at/player/20190429/550653

So gibt es Einiges, was mich aus dem Sumpf zieht:

– das Grün der Blätter, wenn ich sie wahrnehmen kann

– wenn ich mich erinnere, dass jede Rückkehr der Aufmerksamkeit zur Atmung kostenloses, einfaches Glück ist.

– das Gesichtchen meiner Tochter – ja sie ist schon 31 Jahre alt, aber das Gesichtchen gibt es immer noch, besonders morgens nach dem Aufstehen, wenn sie mal wieder auf Wien Besuch aus Montreal da ist und wir zusammen leben dürfen.

– ein bereicherndes Gespräch, in dem ich mich aus mir herausgehört fühle.

– die anrührende Zärtlichkeit in Schuberts Musik https://www.youtube.com/watch?v=Re44iVdo0bA

– oder Sätze wie jener der Zen-Lehrerin Katherine Thanas „When we are most completely ourselves, we´re most completely free of ourselves.“

– Stricken natürlich, besonders wenn mich komplizierte Muster herausfordern, weil alles rundherum dann untergeht.

So das waren jetzt die „(politisch) korrekten“  Zutaten eines guten Lebens – jetzt die tabuisierten, über die zu sprechen gar nicht so leicht ist.

Als diese sind:

– eine Serie schauen – nein, nicht die anerkannten, über die man sich mit anderen intellektuellen Menschen austauschen kann sondern solche, für die man sich genieren muss und die mir selbst teilweise zu blöd sind, die mir aber gerade in Krisenzeiten eine wenn auch eigenartige Heimat sind.

-Seeekt! ja auch das – tststs! – weil Sekt oder andere Alkoholika mich die im Trauma-Eis erstarrten Gefühle zum Ausdruck bringen lassen.

– ein Schlafmittel, weil sich dann endlich nach all dem Schlaf raubenden Aufruhr eine wohlige Entspannung ausbreitet

– und mein Freund Gustav, nein das ist kein menschlicher Freund, das ist mein freches Alter-Ego, der alles sagen darf und es auch tut.

Der größte Rettungsanker ist jedoch, wenn sich hinter all dem Dickicht meiner Leid bringenden Hirngespinste eine Lücke der Empfänglichkeit auftut und das Licht der Wirklichkeit mein Leben erhellt.

Und

auf einmal steht es neben dir,
an dich gelehnt –
Was?
Das, was du so lang ersehnt.

wie es der liebe Joachim Ringelnatz so schön ausdrückt….

Die Passion

Man/frau könnte meinen, dass die Krebsdiagnose zu den schlimmsten Ereignissen im Leben eines Menschen gehört. Für mich war es das nicht – wie schon öfter beschrieben.

Da gibt es vieles, was mich weit mehr belastet und leiden lässt. Jetzt gerade kommen beispielsweise  (quälende) Fragen hoch, ob ich wohl wertvoll bin, wenn ich nicht mal mehr psychotherapeutisch arbeite, ob mein Leben einen Wert hat, wenn ich es nicht durch bisweilen über meine Grenzen gehende Leistungen rechtfertige.

Ist mein Leben etwas wert, einfach wenn ich hier bin, hier auf der Erde?

Ist es noch etwas wert, wenn ich nicht an immer neuen Projekten, nicht an herausfordernden (wichtigen!) Artikeln arbeite, wenn ich keinen anderen Menschen helfe, wenn ich nicht spirituell praktiziere, mich (strengen) Regimen unterwerfe, wenn ich einfach mein Leben lebe – so wie ich es  in https://krebscoaching.org/2019/04/03/mein-gutes-leben/ beschrieben habe.

Da kann ich dann ganz schön verzweifelt werden und im Leid untergehen. Möchte sogleich einen Ausweg suchen, eine Lösung finden. Und weiß doch, dass sie nirgends zu finden ist. Dass es vielmehr um eine Bejahung, oder wie Thich Nhat Hanh meint, um eine Umarmung dieses meines Leides geht.

Tröstlich sind dabei die Worte von großen Menschen. Wenn zum Beispiel  Friedrich Benesch, ein Pfarrer der Christengemeinschaft, meiner religiösen Heimat, davon spricht, dass das Leiden zu einer Vertiefung, einer Verwesentlichung, einer Verinnerlichung führt, wenn es freiwillig angenommen wird, dann ermutigen mich diese Worte.

Und es ist erleichternd, wenn ich folgende Zeilen von der von mir sehr verehrten Pema Chödrön lese:

Things falling apart is a kind of testing and also a kind of healing. We think that the point is to pass the test or to overcome the problem, but the truth is that things don’t really get solved. They come together and they fall apart. Then they come together again and fall apart again. It’s just like that. The healing comes from letting there be room for all of this to happen: room for grief, for relief, for misery, for joy.

Tröstlicher noch als all das Gesagte ist die göttliche Musik von  Bach in der Matthäuspassion https://www.youtube.com/watch?v=YszmEsvI6h8

Und es ist wunderbar, dass ich über das Schreiben all das ausdrücken kann.  Dass ich mich dadurch über die Niederungen erhebe, mein Blick sich neuerlich lichtet und ich wahrnehmen kann, wie groß das Leben ist.

Und schon wird die Passion zur Passion – zur leidenschaftlichen Hingabe!

(M)ein gutes Leben

Das gute Leben ist anders. Anders als wir es uns vorstellen mögen und auch anders als es die Anderen leben. Das gute Leben ist mein gutes Leben.

Es ist kein perfektes Leben, das für mich das gute Leben ist. Und es schließt vieles ein, was nicht zu einem guten Leben zu gehören scheint – Hinfallen, Krisen, Scheitern, Hoffnungslosigkeit, Krankheit und Sterben….

Mein gutes Leben ist zuallererst still. Außen und Innen still. Es ist dies diese intensiv belebte Stille, die mir nur manchmal vergönnt ist zu hören.

Mein gutes Leben  muss ich nicht mit Ereignissen füllen, im Gegenteil. Es ist er- und nicht gefüllt – vom Leben selbst. Dann brauche ich keinen Zeitvertreib (sic!!). Folge nicht mehr den unzähligen Onlinekongressen auf der Suche nach noch mehr Wissen, weil ich mir gewiss bin, dass ohnehin alles, was gebraucht ist, bereits in mir lebt.

Nicht mal einen Theater- , Konzert- oder Vortragsbesuch brauche ich, wenngleich ich das eine oder andere vielleicht hin und wieder mache.

Einfach so.

Aber da bin ich mir gar nicht so sicher, wie ich mir auch nicht sicher bin, ob ich dann noch jemanden treffen will, einfach zum plaudern.

In meinem guten Leben trinke ich meinen geliebten Waldemar Kaffee, auch wenn mir mein Ohrakupunkturarzt sagt, dass der Coffein Punkt anzeigt, dass da was nicht so günstig ist dran.

In meinem guten Leben sehe ich mich verweilen. Im Jetzt könnte man sagen, wenn es nicht so kitschig klänge.

Ich liege viel herum. Kann mich am Nichts-Tun freuen. Dann stehe ich wieder auf, wenn sich ein Bedürfnis regt. Und bald einmal lasse ich mich wieder nieder. Bis ich einen Impuls verspüre, rauszugehen vielleicht an die frische Luft, mich zu bewegen, nein auch da nicht im Sinne eines Intervalltrainings, sondern wie auch immer. Oder eine Zeile zu schreiben oder….

In meinem guten Leben sind Menschen, welche aneinander innig interessiert sind. Einfach so, nicht aus Gründen der Netzwerkbildung, nicht um einer Funktion willen. Menschen, die sich aneinander freuen. FreundInnen im Herzens-Sinn.

In meinem guten Leben gibt es viel Dürfen und Wollen und kein Müssen im alten Sinne. Und weil dem so ist, muss ich mir jetzt auch nicht noch viele andere kluge Aspekte zum guten Leben einfallen lassen, sondern darf aufhören.

Jetzt.

Einfach so.