Gewidmet meinen lieben Krebsschwestern im Himmel
„In die rosarote Landschaft des Brustkrebsbewusstseins wird regelmäßig nur eine Art von Menschen, die Brustkrebs hatten, zugelassen: die Überlebenden.“ sagt in etwas provokanter Weise Anne Boyer in ihrem spannenden Buch „Die Unsterblichen – Krankheit Körper Kapitalismus“
So will ich heute all denen eine Stimme geben, die den Kampf gegen den Krebs, so wie man sagt, verloren hätten.
In dem Moment, wo sie ihr irdisches Dasein beenden, verstummen sie.
Vielmehr wollen wir sie nicht mehr sehen, aus unserer Wahrnehmung schließen wir sie aus, wollen uns nämlich nicht an das vermeintliche Scheitern erinnern, das uns schmerzlich an unser Eigenes denken lässt.
Da halten wir uns lieber an jene, die auch den unheilbarsten Krebs besiegt haben.
Sie sind unsere Heldinnen, unsere Vorbilder.
Sie haben es geschafft.
Sie leben.
Aber – so frage ich mich – sind sie deshalb geheilt?
Und was ist das eigentlich Ge-heilt-Sein?
Ist das Überleben, das Hier-Bleiben auf der Erde ein Zeichen, dass wir heil sind?
Oder gibt es nicht auch eine Heilung, die trotz des leiblichen Ablebens stattfinden kann?
Ein Heilsein, das sich vielleicht nicht an den Jahren des Überlebens, an den medizinischen Werten, am Rückgang des Tumorgeschehens bemisst, sondern in einem nur zu erahnenden Seelen-Heil, einem Frieden, einer Läuterung.
So denke ich heute an Elsa, die mir kurz vor ihrem Tod eine Stunde vollkommenen Friedens, Heil-Seins schenkte.
Kein Konflikt mehr, keine Angst, kein Widerspruch, erlöst von Kämpfen und einem Dagegen.
Da gab es keinen Unterschied mehr zwischen dem so ersehnten nachtodlichen Frieden und dem Jetzt.
Still war es – überirdisch still.
Ich denke auch an Gunda, die so ganz bewusst war über ihr bevorstehendes Sterben und eines Tages – 2 Monate vor ihrem Tod – auf meine Frage, worum es heute in unserer Stunde gehen könnte, meinte, um ihr Sterben und der Bitte, dass ich sie begleiten möge. Welch´ ein – hin und wieder durchaus herausforderndes – Geschenk.
Auf einer bewussten Ebene war sie einverstanden, sagte Ja zu ihrem jungen Sterben. Vorbildhaft regelte sie ihre Angelegenheiten, versöhnte sich, wo Versöhnung nötig war, plante minutiös ihr Begräbnis, sah dem Tod in die Augen, und dann wehrte sich ihr junger Körper, allem Sterben-Üben zum Trotz, stemmte sich, wie wenn sie eine Türe zum Öffnen zuhalten würde.
Sie starb – an meinem Geburtstag vor vielen Jahren, und dann kamen wir alle wieder zusammen, wie wir das in den letzten Wochen ihres Lebens immer wieder getan hatten.
Da lag sie, den von ihr gewählten Lippenstift aufgetragen von uns, den ihr nächsten Frauen, gewandet in ein Designerkleid – auch das sorgfältig gewählt.
An den Füßen kuschelige Socken, nicht mehr gebraucht, aber gewollt. Da lag sie dann und war überirdisch schön, eine Schönheit, die ihre weltliche noch übertraf.
Ich denke auch an Ramona, die Tapfere, die ihren Weg ging, im wahrsten Sinne das Wortes – nicht einmal verschob sie ihren Chemotermin, um den Jakobsweg zu gehen.
Sie nahm Alles in Kauf – den Haarverlust, – geh´, da gibt es echt Wichtigeres – die Schmerzen und die Eingriffe.
Sie trotzte dem Tod über viele Jahre. Von vielen wurde sie deshalb bewundert, und dann starb sie doch – im Kreise fürsorglicher Frauen. Kein Gehen mehr, nicht mal ein Aufstehen – Hingabe statt Entgegentreten war angesagt. Das war schwer.
Sie und alle anderen, die in die andere Welt gegangen sind, haben es gemacht, wie sie es gemacht haben.
Und ich kann mit einem wertfreien Blick sehen, dass dieser je eigene Weg ein genau richtiger war, und dieser je eigene Krebsweg – immer – einem Gesamtkunstwerk gleicht.
Dann entspannt sich etwas in mir, und bei allem persönlichen Verlust und Bedauern kann ich die Schönheit darin sehen.
Wie tröstlich zu wissen, dass, wie schmerzlich der Weg auch war, er ein von ihnen auf der Seelenebene getroffener war.
Eine Wahl genau dieses Schicksals, mit allem Drum und Dran, dem Leichten und vielem Schweren.
Wie tröstlich auch, dass sie noch immer da sind. Befreit von menschlichem Wollen können sie uns unterstützen, mit uns sein, uns bezeugen, wahr-nehmen, lieben, weil sie der Erdenschwere enthoben sind und frei.
Wie tröstlich auch, dass das Leben weitergeht, immer weiter und weiter, dass nichts zu Ende ist, niemals.
Dieses Wissen hochzuhalten und sich gleichzeitig der Endlichkeit bewusst zu sein, zu wissen, dass jeder Moment der Letzte sein kann, dass alles, was wir tun, vielleicht das Letzte ist, das wir tun können – hier auf der Erde, ermöglicht mir, mich nicht nur um die Erhaltung meiner leiblichen Existenz zu bemühen, sondern darum, meine Seelen-Bedürfnisse zu entdecken und ihnen gerecht zu werden, auch das nicht einem Bild gehorchend, sondern darin meinen ureigensten Klang, meine Tönung wahrzunehmen, die ich – und nur ich – hier in dieser Inkarnation dem Ganzen hinzufüge.
Es heißt ja immer „Ruhe in Frieden“. In dem oben gesagten Sinne wäre „Wirke in Frieden“ – wo immer Du bist – inkarniert oder gerade nicht inkarniert, der stimmigere Aufruf.
P.S. Zwei Bücher möchte ich noch empfehlen, die mich in dem Vertrauen bestärkt haben, dass die geistige Welt immer (für uns) da ist, und das Leben (auf verschiedenen Ebenen) immer weiter lebt:
Das Erste ist von Bruno Bitterli-Fürst und heißt „Tod und Leben. Mit Betrachtungen aus dem Jenseits von Elisabeth Kübler-Ross.“ In diesem schönen Büchlein meldet sich immer wieder Elisabeth Kübler-Ross, die legendäre Begleiterin von Sterbenden zu Wort und was sie da vermittelt ist unglaublich schön und ein wahrer Trost.
Ich könnte nahezu das ganze Buch zitieren, so viel Erhebendes, Inspirierendes, Tröstliches ist darin zu lesen.
Ich wähle einen Abschnitt, der für mich gerade in der jetzigen Zeitqualität von Bedeutung ist:
„Wir sind uns meistens bewusst, dass wir das, was ist, nicht wirklich verändern können. Aber wir können die Liebe, die in uns wohnt, mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, zum Ausdruck bringen. Gerade jetzt bin ich nicht die Einzige, die Worte zu Bruno spricht. Ich bin mit vier anderen Wesen anwesend. Ich kann euch sagen, dass es sehr beflügelnd ist, die eigene Individualität aufzugeben, um eine Wesen zu kreieren, das aus fünf Einzelwesen besteht. Und dann, wenn dieser Fünfer Tanz zu Ende getanzt ist, lösen wir den Verbund und lassen uns weiter von der Welle der Liebe ins nächste Abenteuer führen. Dann kann es geschehen, dass ich eure feinen Körper zusammenschliessen und aus diesem Zusammenschluss etwas gänzlich Neues entsteht. Etwas, das jemand alleine nicht hätte erschaffen können; etwas Einzigartiges, das durch die Anwesenheit exakt dieser Beteiligten möglich wurde.“
Auch das zweite Buch mit dem Titel „Menschsein im Jetzt“ ist ein wahrer Schatz.
Hier hat Ana Pogacnik Gespräche mit der Seele ihrer verstorbenen Schwester Ajra geführt. Ich habe fast das ganze Buch unterstrichen, und ich könnte viel Wertvolles zitieren.
Ich habe einen Absatz gewählt, weil in ihm die ewige Natur der Seele betont wird. Das ist gerade in einer (medizinischen) Welt, die das irdische Weiterleben, so finde ich, überbetont sehr wesentlich und darüber hinaus auch beruhigend.
„Wenn wir die zyklische und ewige Natur der Seele kennen und wissen, dass wir als Seelen gerade deswegen durch verschiedene Inkarnationen reisen, um zu lernen, zu üben, zu heilen und zu wandeln, dann verstehen wir auch, dass die Seele immer wieder durch Nadelöhrsituationen hindurch gehen muss, um sich tiefer zu reinigen, noch gründlicher mit sich selbst zu konfrontieren, noch deutlicher ihr eigenes Sein zu begreifen, noch klarer herauszuschälen, worum es im Leben eigentlich geht und so noch konkreter im Leben zu landen.“