Hingabe und Auferstehung

Eine kleine Osterbetrachtung.

„Habe ich genug getan?“ Diese Frage stellte sich Gunnar Kaiser in einem berührenden Youtube Beitrag vor einigen Wochen. https://www.youtube.com/watch?v=_P2cc1fH7Jw&t=0s

Er tut dies einige Monate nachdem die Ärzte meinten, dass seine Krebserkrankung so weit fortgeschritten sei, dass er die „letzten Dinge vorbereiten“ möge.

Er erzählt uns in diesem Video, dass er zu beten begonnen habe und sich die Frage stellte, ob er genug getan hat: Habe ich genug gebetet, fragt er sich, und ob er seinen Töchtern genug (Vorbild), seiner Frau genug qualitätsvolle Zeit gegeben hat, aber auch, ob er in Bezug auf seine Krankheit und Gesundheit – Ernährung, Lebensstil – genug getan habe.

An all diesen intimen Fragen lässt er uns teilhaben. Das ist sehr berührend.

Gunnar Kaiser hat mich inspiriert, darüber nachzusinnen, was diese Frage für mich bedeuten mag.

Und wie wertvoll es ist, sich diese Frage immer wieder zu stellen. Es ist mir bewusst geworden, dass diese Ausrichtung auf´s Tun auch heikel sein kann, weil sie so nahe an der Leistung ist. Sie berührt damit ein Thema, mit dem so viele krebskranke Menschen und nicht nur sie (ihr Lebtag) zugange sind – habe ich genug getan, genug gegeben?

So führte mich meine innere Suche der letzten Tage zu einer für mich stimmigeren Frage: Wie sieht es mit meiner Hingabe aus? Habe ich mich genug hingegeben – an mich, an meine wahren Bedürfnisse, an meinen (spirituellen) Weg, in den Begegnungen mit anderen und mir selbst, oder hab´ ich mich zu sehr abgelenkt, mich verzettelt, bin dem Leid, dem Schwierigen ausgewichen und damit der Erfüllung, dem Glück?

Vielleicht – so denke ich – ist es ja nicht das, was Krebskranke machen, um Heilung zu erfahren, vielleicht ist es ja nicht Miriam Reichel´s Diät oder Bettina Flossmann´s Dispenza Meditation, die ihnen ein krebsfreies und erfülltes Leben bereitet haben.

Vielleicht ist es ja die bedingungslose Hingabe an ihren Weg, die zur Heilung führte.

Da war zunächst ein Anerkennen der Krebsdiagnose, dann ein Entschluss und dann eine Treue zu diesem Entschluss. Keine inneren Verhandlungen, keine Halbherzigkeit, eine Eindeutigkeit und Beständigkeit im Gehen dieses von ihnen gewählten Weges.

Ich erinnere mich aber auch an Menschen wie Stephanie Gleising und Anita Moorjani, die ohne Hoffnung auf Heilung gnadenvoller Weise wahrlich vom Sterbebett aufgestanden sind.

Genügt es, so frage ich mich, darauf zu vertrauen, dass es diese Gnade immer geben kann, diese Wendung.

Und was könnte mein Beitrag sein?

Vielleicht geht es ja „nur“ um diese Hingabe an das, was jetzt da ist – auch die Angst, den Schmerz, den Verlust, aber auch an das Wunderbare, das jeder Moment birgt.

Und vielleicht geht es ja vor allem darum, all meine Gedanken, Ideen und Konzepte über ein heilsames Leben hinzugeben.

Ein Sterben-Lassen dessen, was mich in das Korsett einer Identität zwängt.

Hingabe ans Sterben.

Hingabe ans Leben.

Einatmen – Ausatmen.

Ausatmen – Einatmen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Und schon findet ein Auferstehen, eine Auferstehung im Irdischen statt.

Für diesen Moment.

Ganz unspektakulär.

Einfach So.

Gut aufgehoben – im Geboren-Werden und Sterben

Als ich vor einigen Wochen mit der Blog Serie „Gut aufgehoben…“ begann, kam mir sofort die Bedeutung des Gut Aufgehobenseins im Sterben in den Sinn. Sogleich verwarf ich diese Idee jedoch, weil dies ja nicht hoffnungsfördernd sei, und ich mich auf die „positiven“ Seiten im Krebscoaching zu konzentrieren hätte.

Heute, an meinem Geburtstag will ich es jedoch tun – auch im Angedenken an meine liebe Cordula, die vor sechs Jahren an meinem Geburtstag starb.

Gut aufgehoben war ich bei meiner Geburt wahrlich nicht. Meine Mutter wusste nicht, dass sie Zwillinge erwartete, die Ärzte streikten, wollten es schnell vorbei haben, Begleitung durch meinen Vater, ihren Mann, war damals undenkbar. Er durfte ihr gerade mal das Köfferchen tragen bis zur Schwelle und sie dann ihrem Schicksal überlassen.

Ich bahnte mir zwar relativ rasch einen Weg, doch dann war da ja noch eine zweite Tochter, die geboren werden wollte, und um die rasch heraus zu bekommen, wurden härtere Mittel eingesetzt – sich auf den Bauch meiner Mutter setzen, schroff auf sie einsprechend, dass sie doch endlich mitarbeiten möge, flach auf dem Rücken liegend, festgeschnallt.

Dann waren wir da, und wie damals üblich, wurden wir sofort an den Füßen gepackt, Kopf unter hängend erhielten wir einen kräftigen Klapps auf den Po, um das Atmen in Gang zu bringen.

Hier wird das Nein zum Leben und zur Welt konstituiert, sagt mein verehrter Wilhelm Reich, ein Nein, das im Körper eingeschrieben das Potential für eine abwehrende lebenslängliche Kontraktion bildet. Ein Nein aber auch zu Menschen, war doch der erste Kontakt mit ihnen ein unverbundener, gewaltsamer.

Als ich diesen Satz von Reich das erste Mal las, fühlte ich mich erkannt. Ja, hier begann mein energetischer Rückzug vom Leben und den Menschen und ein von Angst und Vorsicht geprägtes Leben. Und ich sehe meine Krebserkrankung als einen Ausdruck dieses Rückzugs, dieses Mangels an  tiefer freudvoller Expansion, wie ich sie auch als Wendepunkt sehe zu einem Leben, das von meiner Seele begrüßt wird.

Wie anders ist es, wenn man eine natürliche Geburt erlebt, wo sich die Frau die passende Geburtsposition aussuchen kann, wo sie einfühlsam in ihren Bedürfnissen unterstützt und begleitet wird.

Hier in der Bedeutung einer von Einfühlsamkeit und Feinfühligkeit gekennzeichneten Beziehung findet sich die Verbindung von Geburt und Sterben.

In einer Begleitung, die sich durch das auszeichnet, was Wilhelm Reich als vegetative Identifikation, als eine tiefe organismische Resonanz bezeichnet. Dass ich als Begleiterin derart in eine energetische Verbindung treten kann, dass ich in meinem Organismus fühlen kann, was bei der Gebärenden ebenso wie bei der Sterbenden an Ausdrucksbewegungen stattfindet, und wie diese beantwortet werden wollen.

Wunderbar kommt diese Qualität in Antonin Svobodas Film „Cry Baby Cry“ zum Ausdruck, wenn Thomas Harms den Füßchen des Babies einen angemessenen Widerstand bietet, damit die Geburt, die für die Eltern und für das Baby traumatisierend war, zu Ende geführt werden kann, indem all die Bewegungen gemacht werden können, die es nicht machen konnte.

Es ist unglaublich beeindruckend, was uns die Babys in ihrer Körper-Sprache zeigen, wenn wir ihnen zuhören und zusehen. Sie zeigen uns in chaotischen Bewegungen, dass in den 1. Schwangerschaftswochen etwas Verstörendes passierte, sie zeigen uns über Reibungsbewegungen einer Kopfseite, dass hier ein Feststecken stattfand, und sie zeigen uns, wenn es vollbracht ist, weil dann ein himmlischer Frieden und der lang ersehnte menschliche Kontakt stattfindet.

Nie sind Konzepte so wenig und menschliche Präsenz so gebraucht, wie in der allerersten und allerletzten Lebenszeit.

Dann kann die Natur machen, was sie angelegt ist, zu tun, dann kann sich das Leben – wozu ja auch das Sterben gehört – fortsetzen.

Und ich kann als Begleiterin in Fühlung mit dem Geschehen spüren, wann der Arm einer Sterbenden Unterstützung durch einen Polster braucht, der Kopf gehalten werden will, die Füße aufgestellt, die Lage verändert. Eine wunderbare Beschreibung der sogenannten basalen Stimulation und ihrer heilsame Wirkung auf Sterbende findet sich im Buch „Die sieben Geheimnisse guten Sterbens“ von Dorothea Mihm.

Bis jetzt bedaure ich es zutiefst, dass ich diese Selbstverständlichkeit, meine wissende Präsenz nicht voll zur Verfügung hatte, damals beim Sterben meiner lieben Cordula. War zu beeindruckt von ihrer Not, die sich bisweilen als fordernde Dominanz äußerte.

Genauso wie Babys, die den Halt der Eltern brauchen, wenn sie in Not sind, brauchen Sterbende diesen Halt, um durch den heftigen Prozess der Lösung aus dem Festen gehen zu können. Da braucht es eine Selbstanbindung, wie Thomas Harms sagt, ein bei mir sein. Dann kann eine Hingabe an den Prozess stattfinden.

Ganz einfach in meinen Bauch atmen – ein – aus – ein – aus… dann kann ich einfach dem Geschehen folgen, präsent wach in der gemeinsamen Energiesuppe schwimmend – bis das Kind/der Tod geboren ist.

Sterben dürfen – Leben wollen

„Leben dürfen – Leben wollen“

habe ich einmal einen Titel einer Lesung genannt.

Ich habe darin anhand meiner eigenen Biographie aufgezeigt, wie das frühe nicht Leben Dürfen ein Leben Wollen behindert.

Leben Dürfen heißt für mich, von liebevollen, achtsamen, feinfühligen Menschen im Leben willkommen geheißen zu werden, begrüßt zu werden in dem, wer ich bin, ruhig oder quicklebendig, neugierig und ausdrucksstark oder scheu und zurückhaltend.

Leben Dürfen heißt, dass ich mich ausdehnen darf ins Leben hinein, ohne darin behindert zu werden.

Leben zu dürfen heißt, dass ich meiner Berufung folgen kann und darin ermutigt werde, das zu leben, wozu ich angelegt bin zu sein, meiner Lebensmelodie zu folgen, wie das Le Shan in seinem sehr lesenswerten Buch „Diagnose Krebs Wendepunkt und Neubeginn“ (siehe dazu: https://krebscoaching.org/buchempfehlungen/bucher/ so wunderbar beschreibt.

Leider sind die Bedingungen jedoch allzu oft  gänzlich andere. Viele Menschen leiden lebenslänglich unter den Folgen von teilweise in der frühen Kindheit stattfindenden Traumatisierungen – zu diesen Folgen zählen ständiger Schmerz,  Übererregung, die Angst vor allem und jedem, die Schlaflosigkeit, die Unfähigkeit, Gefühle zu erleben….

Oftmals empfinden sie eine grenzenlose stumme Verzweiflung, sehen keinen Ausweg,  fühlen keine Berechtigung, dieses Leben zu einem ihnen gemäßen zu verändern.

Dann wollen sie weg von diesem derart bedrohlichen Ort. Und wenn man ihnen Gehör schenkt, dann „gestehen“ sie ihre Todessehnsucht.

So war das auch bei mir.

Dann die Diagnose: sie war ein Ausweg, eine Möglichkeit, sie gab Erlaubnis und Berechtigung. Endlich durfte ich mich um mich selbst kümmern, Termine absagen, Verpflichtungen – undenkbar zuvor – durften gelöst werden. Ich durfte mich pflegen und be-handeln lassen.

Kurz spürte ich das Leben in seiner Essenz, die Stille draußen im Wald, das bei mir Sein. Und Ausdehnung fand statt.

Geblieben ist das grundsätzliche Unwohlsein im Leiblichen. Nein, da will ich nicht bleiben, in diesem Körper, der schmerzvoll, eng und rasend ist.

„Du musst kämpfen, Du darfst jetzt nicht aufgeben, Du musst hoffnungsvoll und zuversichtlich bleiben“ wird krebskranken Menschen oft gesagt. Niemand fragt danach, ob der Mensch überhaupt leben will.

Auf einer oberflächlichen Ebene wird diese Frage zumeist auch bejaht. Jedoch gibt es  – das ist meine Erfahrung –  sehr oft in der Tiefe ein Nein zu diesem meinem Leben.

Dies gilt es, wie mein verehrter Carl Rogers sagt, un-bedingt wert zu schätzen. Zu allererst nur einmal das – ja, da gibt es ein Nein zu dieser leiblichen Existenz, ein Sterben Wollen, ein zurücklassen Wollen dieses ungemütlichen Körper-Wohnortes.

Behutsam gilt es zu erkunden, wo sich die Unerträglichkeit befindet. Was es auszuhalten gilt, was eigentlich unaushaltbar ist, wo die Verzweiflung über das eigene Leben wohnt. Dies kann eine schwierige Partnerschaft sein, wo eine Trennung unmöglich scheint, oder ein Job, der unbefriedigend oder überfordernd ist, wo ich jedoch Angst vor existentieller Not habe, oder es ist dieses oben angesprochene Unwohlsein im Körper, das das Leben schmerzvoll macht.

Auch hier  – einfach wahrnehmen, benennen, ohne gleich eine Veränderung  planen zu müssen –  weil das neuerlich Angst macht und verengt.

Sodann können wir nach der Sehnsucht fragen – was verheißt der Ort im Jenseits – Ruhe, Stille, Freisein von Schmerz, Aufruhr und Konflikt?

Oft ist die Sehnsucht nach dem Tod nämlich eine Sehnsucht nach dem (ungelebten) Leben – eine Sehnsucht nach Stille, dem unbelastet Sein, dem einfachen Sein, losgelöst von allem Zwang und Fremdbestimmtheit. Letztlich eine Sehnsucht nach mir selbst.

Und dann können wir vielleicht gemeinsam schauen, was in diesem Sinne zu verändern ist – nichts Großes, neuerlich Überforderndes.

Unmittelbar jetzt – wie mag ich mich setzen, vielleicht hinlegen, vielleicht eine Decke zum Schutz über mich nehmen, mich wärmen, gehalten werden, Ruhen….

Wenn ich dann meinen Körper als einen wohligen Ort empfinde kann, und das Jetzt und Hier eine ewige Dimension gewinnt,  kann erneut Ausdehnung ins Lebendige stattfinden, es wird still und ruhig.

Und das Leben wird zu einem guten Wohnort, wo ich bleiben möchte.

Dann kann es sich wenden das Sterben Wollen zu einem Leben Dürfen und Wollen.

P.S. Zwei Empfehlungen, die sich auf die beiden Pole des Lebensanfangs und Lebensendes beziehen: Die Arbeit von Thomas Harms, welche im Film „Cry Baby Cry“ https://www.youtube.com/watch?v=V1G531Cn9Ek   dokumentiert wird, und wo spürbar gezeigt wird, wie wichtig es ist, dass Traumatisierungen, die sich in der Schwangerschaft und rund um die Geburt ereignet haben, behandelt werden. In seinem Buch „Körperpsychotherapie mit Säuglingen und Eltern“ werden dazu in umfassender Weise  therapeutische Wege aufgezeigt. Nichts ist Wichtiger als ein guter Lebensbeginn, davon bin ich überzeugt.

Und eine neue Webseite von meiner Freundin Manuela Pusker https://manuelapusker.com/, die einen furchtlosen Blick auf das Sterben richtet und Unterstützendes für diese, wie sie sagt, sensibelste Lebensphase zur Verfügung stellt.

Trotzdem und sowieso heil…..

Irgendwann werden sie länger die Antwortzeiten auf eine Nachricht, irgendwann bleiben sie ganz aus.

Irgendwann beginnt das Sterben, der Rückzug aus unserem Kontakt, und möge er noch so innig gewesen sein, bei den letzten Schritten bin ich oftmals nicht mehr dabei.

Und dann kommt die Nachricht „Ich möchte Ihnen mitteilen, dass meine Frau vergangenen Montag gestorben ist..“

Und jedes Mal ist es wieder ein Schock – die Tat-Sache, dass sie mir nicht mehr gegenüber sitzen wird, mit der ihr eignen Anmut, die Beine übereinander geschlagen, die schönen Hände das von ihr Gesagte unterstreichend.

Dankbar bin ich, dass ich diesen intensiven Weg begleiten durfte.

Dankbar bin ich über das Vertrauen.

Dankbar bin ich, dass wir miteinander in die höchsten geistigen Sphären vordringen konnten.

Dankbar bin ich, dass Du dann in unserer letzen Stunde von der Seligkeit sprachst, die Du manchmal erlebst, einfach liegen, keine Übungen mehr, einfach liegen,

Sein.

Da hab ich das Einverstanden-Sein wahrgenommen, dass Einverstanden-Sein, dass das irdische Leben zu Ende geht. Und dass das in Ordnung ist, weil es ein tiefes Wissen gibt, dass das Leben nicht aufhört, auch wenn wir diesen Körper ablegen.

Dankbar bin ich, dass Du Dich in Deiner Wesenhaftigkeit, in diesem kristallklaren, strahlenden Sein wahrnehmen konntest.

„Trotzdem und sowieso heil“, hab ich einmal nach einer unserer letzten Stunden über das Protokoll geschrieben.

Trotzdem und sowieso heil – das warst Du, das bist Du und das wirst Du immer sein.

DANKE, dass ich dabei Zeugin sein durfte.

https://www.youtube.com/watch?v=zAaJzTWX_Io

 

Für die Heilung ist es nie zu spät

Zumeist spricht man bei Krebs von Heilung, wenn ein Mensch gegen den Krebs angekämpft und den „Kampf“ gewonnen hat.

Er/ sie darf in diesem Prozess nicht aufgeben, die Hoffnung nicht verlieren, muss alles dran setzen, an der Heilung zu arbeiten, alles, was möglich ist, dafür tun, um gesund zu werden. So wird es an die Menschen herangetragen. Das ist ein enormer Druck.

So werden alle Möglichkeiten der Schul- und Komplementärmedizin in Anspruch genommen, Heiler und andere Helfer aufgesucht und Tausende Euro ausgegeben, um ja keine Möglichkeit auszulassen, „den Krebs zu besiegen.“  Das ist verständlich.

Es gibt jedoch eine Vielzahl von Beispielen, wo Menschen – wie es heißt – aufgegeben wurden, wo sie hören mussten, dass man nun leider wirklich nichts mehr für sie tun könne, und sie sich noch eine schöne letzte Zeit machen sollten,  und wo sie letztlich zum Sterben nach Hause entlassen wurden.

Und – die, ohne sichtbares Zutun, eine vollständige Heilung erfuhren.

Von drei Frauen, bei welchen eine derartige Totalremission wie eine Spontanheilung auch genannt wird, stattfand, will ich erzählen:

Teil 1 : Die heilende Kraft des Hier und Jetzt

Stefanie Gleising berichtet in ihrem gleichnamigen Buch von ihrer „wundersamen Heilung“.

Sie, die mit der Diagnose  Brustkrebs konfrontiert war, hat wirklich alles versucht, was an Möglichkeiten zur Verfügung stand – von der Operation, über Virenimpfung, Hyperthermie, Mistel, Infusionen mit Vitamin B17, Hormontherapie, Sport, Meditation, Lachtherapie bis zur Aufarbeitung von traumatischen Erlebnissen.

Und dennoch – der Tumor wuchs und streute, bis in die Knochen und ins Gehirn.

Jedoch –  immer wieder, bei all dem Stress und der Angst tat sich ein Feld des Friedens, der Stille und der Glückseligkeit auf.

Sie schreibt: „Ich musste so viel loslassen, meine Brust, Sport machen zu können, ein schmerzfreier Körper. Vor allem aber die Illusion, die Zukunft planen zu können. Im Grunde kann das keiner wirklich, auch die scheinbar Gesunden nicht. Dies alles katapultiert mich immer wieder direkt ins Hier und Jetzt. Manchmal kann ich dann weinen vor Liebe und Dankbarkeit, dass alles so ist, wie es ist.“ S. 199

Im sogenannten Endstadium ihrer Krankheit angelangt, kann sie nichts mehr zu sich nehmen, verliert dramatisch an Gewicht und dämmert immer länger einfach vor sich hin.

Sie ist mittlerweilen so schwach, dass sie einverstanden ist, diesen letzten Abschied – von ihrem Zuhause – zu vollziehen und in ein Hospiz zu kommen.

„Jeden Tag kamen Menschen, um sich von mir zu verabschieden. Doch anstatt zu sterben, geht es mir von Tag zu Tag etwas besser“. S. 205

Und sie – die Todkranke – kann nach einer Woche ein erstes richtiges Frühstück mit allem Drum und Dran, einem Ei, Saft, Kaffee, Topfen, Marmelade und Brötchen zu sich nehmen.

Bald kann sie in eine kleine Ferienwohnung im Hospiz übersiedeln, und nach ein paar Monaten sitzt sie wieder auf ihrem Pferd. Da sie seit 2014 keine schulmedizinische Behandlung mehr erhielt, gilt sie als geheilt.

Was trug zu dieser Heilung bei:

War es vielleicht der kathartische Traum vom KZ, den sie am Weg ins Hospiz hatte?

War es die Liebe und die unterstützenden Gedanken von vielen, vielen FreundInnen?

Oder das Absetzen eines Medikaments durch eine Hospizärztin, oder die Verdreifachung der Schmerzmitteldosis, wodurch sie leichter ins Hier und Jetzt zurückkehren konnte, da die Schmerzen sie nicht mehr vollständig bannten?

Oder war es das Auf- und Hingeben von allem Wollen, von den Illusionen dessen, was wir zu sein haben, oder wie sie selbst Markof Niemz Buchtitel zitiert: sich selbst verlieren und alles gewinnen.

Das Buch ist jedenfalls ein starkes Dokument dafür, dass egal, „wie schlimm die Umstände auch sind, es Hoffnung auf eine positive Entwicklung gibt“ S. 235

Und dass es immer wieder darum geht, ganz ins Hier und Jetzt zurück zu kehren und zu erkennen, „dass jede Situation, so schlimm sie auch nach außen sein möge, irgendwo auch einen Grund zur Freude bietet.“

Das können wir tun. Das ist unsere Wahl – zwischen einem Leben in Angst über eine unbestimmte Zukunft zu verharren oder uns für die Heilkraft des Moments zu öffnen.

Für mich ist es – das ist natürlich eine Interpretation, welche von der Autorin verifiziert werden müsste –  die Hingabe, das vollständige Ja zu allem Geschehen, ja auch das Aufgeben von Lebenswillen im Einverständnis für ein Hospiz, welche die Wende bringen kann.

Es ist damit nicht (nur) der oben genannte Kampf, wiewohl alle Beiträge zur Gesundung vielleicht doch auch eine Basis für die Heilung bildeten.

War es  letztlich vielleicht vielmehr das Ja zum Schicksal, an diesem Krebs sterben zu müssen, sich von allen lieben Menschen wirklich ein für allemal zu verabschieden, welche dann die Wendung brachte. Und dass es sich bei dieser Heilung um eine radikale Wendung handelte, kann man an der raschen Erholung – bereits nach wenigen Tagen – erkennen.

Diese radikale Wendung scheint sich für mich ganz von innen – aus dem innersten Zentrum heraus – ereignet zu haben. Ein Prozess, der sich vielleicht gerade nur in jenem Dämmerzustand, im vielen Schlafen, im mehr drüben als hier Sein ereignen kann.

Wenn wir diesen Gedanken glauben, was würde das wohl für unser Verständnis von Heilung und der dafür notwendigen Prozesse bedeuten? Wären wir dann nicht angehalten, die Menschen nicht zum weiteren dagegen Kämpfen, sondern zum Anerkennen und Sein Lassen, zur Tiefe  zu ermutigen?

Viele Fragen, auf welche nur die wirklich davon Betroffene Antworten finden werden. Dazu bräuchte es genaueste tiefgehende Fragen, nicht bloß einen Fragebogen, sondern prozessorientierte Untersuchungsmethoden, die vieles offen lassen, so dass nicht einfach Altbekanntes wiederholt, sondern Neues ergründet und erforscht wird. Und wo mein Organismus als Resonanzraum genutzt wird.

Zu-Ruf statt Nach-Ruf

„Wenn nur 1% dessen, was ehrlich und wertschätzend über Politiker/innen nach ihrem Tod gesagt wird, schon zu Lebzeiten gesagt wird, wär´s gut.Und das gilt für alle Menschen, nicht nur für Politiker/innen.“ postete Christoph Chorherr am 24.2. 2017 anlässlich des Todes der  österreichischen Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser.

Viel Gutes wurde über sie gesagt in den letzten Tagen – dass sie ein wertvoller, aufrichtiger, verbindlicher, positiv denkender Mensch war, der über die Parteigrenzen hinweg wertschätzende Beziehungen führte. Für mich rückten diese Wortmeldungen die mir unbekannte Frau in ein neues, angenehmes Licht.

Es zählt zu den lieb gewonnen Gepflogenheiten, dass man am Grab über die Verstorbenen Gutes sagt. Vielmehr noch – man bemüht sich, das Gute, das vielleicht zu Lebzeiten gar nicht so deutlich offenbar wurde, heraus zu streichen.

So wird beispielsweise in einem Nachruf aus einem konfliktscheuen ein verbindlicher Mensch, dem die Harmonie zwischen den Menschen über Allem stand, und aus einem  zuvor als streitsüchtig  geltendem Menschen wird  ein kompromissloser, der sich ganz und gar für eine Sache einsetzte.

Anhand dieser  Beispiele kann gesehen werden, wie unterschiedlich Sichtweisen sein können.

Und es wird darauf ankommen, wie wir eine Eigenschaft eines Menschen sehen wollen. Die Erfahrung zeigt, dass wir zu Lebzeiten mit den für uns schwierigen, unbehaglichen Seiten  eines Menschen leider oftmals  in einer be- und verurteilenden Weise umgehen.

Und das Bemühen um eine erweiterte Sicht, die das Gute im anderen sieht, findet oftmals erst anlässlich seines Todes statt – sozusagen in unserer Komfortzone.

Was würde es tatsächlich verändern, wenn wir dieses Bemühen schon zu Lebzeiten walten lassen. Wie würde sich diese Bereitschaft zur zärtlichen Offenheit für die andere in meinem Inneren auswirken, und wie würde es für die betroffen Person wirken, wenn wirkliche An-Erkennung stattfindet.

Wie würde es sich darüber hinaus auswirken, wenn ich von meinem größten Feind, der ich für mich bin, in dem  ich mich zum Beispiel  als eine sehe, die  sich immer so aufführt, die zu viel redet, immer im Mittelpunkt stehen will, zu meiner Freundin werde, die meinen Mut zur Unbestechlichkeit wahrnimmt, die einfach viel zu sagen hat, die nun mal nicht am Rand sondern in der Mitte zu stehen hat, weil das ihr Platz ist.

Ich getraue mich zu sagen, dass das das ganze Leben ändert.

Mich anzuerkennen in dem, wie ich (nein nicht halt so) angelegt bin,  zu sehen, welche Note ich dieser Welt mit meinem So-Sein hinzuzufügen haben, zu sehen, was und wie etwas durch mich zu geschehen hat – hier und jetzt.

Dann würde die Energie, welche ich mein Lebtag aufbiete, um mich in meiner Essenz zurück zu drängen für mich und mein Lebenswerk zur Verfügung stehen.

Der große Lawrence Le Shan schreibt in seinem wertvollen Buch „Diagnose Krebs – Wendepunkt und Neubeginn“ (siehe dazu auch die Buchempfehlungen auf dieser Seite) darüber, wie das grundsätzliche Problem der Verzweiflung, das zum Leben von krebskranken Menschen seiner Erfahrung nach zu gehören scheint, zu lösen sei. „Die Lösung liegt darin, mehr und mehr der Mensch zu werden, der Sie wirklich sind.“

Die/der zu werden, die/der ich bin, braucht die Unterstützung meiner Umgebung, es braucht den liebevollen Blick von mir und den anderen.

Dann kann das Leben gut werden und ich kann, wie Le Shan schreibt, ein Leben führen, das mich wirklich befriedigt, bei dem ich jeden neu Tag freudig begrüße und mit Hoffnung in die  Zukunft schaue.

„Krebs lehrt uns viel über das Leben – Langversion

Das ist ein wunderbares Gespräch. Corinna Schöps und Claudia Wüstenhagen haben in der Online Zeit Ausgabe vom 14.Oktober 2016 einen Onkologen, einen Hämatologen und eine Palliativmedizinerin zu den verschiedensten Aspekten rund um die ärztliche Betreuung von krebskranken Menschen befragt.

Die Antworten berühren mein Herz und lassen mich Hoffnung schöpfen, dass es neben der Apparatemedizin und einem medizinischen Vorgehen, das sich nicht an der Individualität des Einzelnen orientiert, MedizinerInnen gibt, die den Menschen im wirklichen Sinne in den Mittelpunkt stellen

Die drei MedizinerInnen sprechen von gestiegenen Heilungsraten bei Kindern, von Erfolgen, was neue Operationstechniken, aber auch die Früherkennung betrifft und dem erfolgreichen Einsatz von Medikamenten bei bestimmten Krebsarten.

Sie sprechen aber auch über den Preis einer Chemotherapie im Sinne von Nebenwirkungen und Langzeitschäden.

Sie sprechen über die in der Fachwelt gefeierten Immuntherapien. Sie relativieren diesbezügliche Hoffnungen, da diese Therapien nur bei einigen Formen von fortgeschrittenem Krebs in Haut, Lunge und Niere und bei einer bestimmten Art von Leukämie wirken und die Überlebensdauer im Schnitt nur um einige Monate verlängert werden kann und dass davon „bloß eine kleine Gruppe von Patienten“ (Hämatologe) profitiert.

Ich finde es wesentlich diese Daten zu veröffentlichen, glauben viele Krebskranke doch – und so wird es ja von der Pharmaindustrie großflächig vermittelt -,  dass die Immuntherapie auch bei Brustkrebs eine Option ist, und dass damit Heilung erfahren werden kann.

Demgegenüber sagt der Onkologe im vorliegenden Interview, dass „wir immer noch nicht gut gerüstet (sind), wenn sehr häufige Krebsarten wie Darmkrebs oder Brustkrebs nach einer zunächst erfolgreichen Therapie wiederkommen.“

Sukzessive geht das Gespräch auf eine essentielle Ebene, es wird über die Machbarkeitsideologie gesprochen, die den Tod (durch Krebs) aus dem Leben ausschließen möchte.

Wertvolle Gesprächsimpulse kommen dazu naturgemäß von der Palliativmedizinerin.

Besonders berührend finde ich, wenn sie über den Umgang mit schwierigen Fragen oder Situationen mit Krebskranken berichtet. Dann wenn sie zum Beispiel über den Umgang mit Prognosen spricht:

Wir haben immer wieder Patienten in einem weit fortgeschrittenen Stadium, die uns fragen, wie viel Zeit bleibt mir denn? Die Frage fürchtet jeder von uns. Ich warne davor, konkrete Zahlen zu nennen. Ich gebe diese Frage immer an den Patienten zurück: „Was haben Sie selbst denn für ein Gefühl? Was sagt Ihr Bauch?“

Auch andere schwierige Aspekte innerhalb eines Krebsweges werden offenherzig benannt. Zum Beispiel der Umstand, dass oftmals bis zuletzt massive Therapien angewandt werden.

Es berührt mich, wenn der Onkologe ein Beispiel aus seiner Praxis beschreibt, wo ein Patient, mit einem fortgeschrittenen Magenkarzinom, Lebermetastasen, Bauchfellkrebs zu ihm kam und nach drei maliger palliativen Chemotherapie zwar eine „tolle Remission“ hatte, über die sich der Onkologe sehr gefreut hat, andererseits aber mit Hilfe einer selbst erstellten Kurve zeigen konnte, dass „mit zunehmendem Erfolg der Chemo wir seine Lebensqualität ruiniert (hatten). Er war ein Turniertänzer ….und am Ende seiner zweiten Chemo war er fix und fertig. Wir haben zwar den Krebs kleiner bekommen, aber der Patient hatte seiner Ansicht nach wenig davon. Ich habe das als Glücksfall empfunden, dass mir ein Patient das mal so krass mitteilt, auch wenn ich enttäuscht war. Ich hatte ihm doch helfen wollen.“

Wie schön, wenn ein Arzt den Patienten in seiner Ganzheit wahrnimmt und ihn darin respektiert. Wie schön auch, dass er sich davon anrühren lässt und dies auch ehrlich ausdrückt.

Das spricht auch ein anderes heikles Kapitel an – das der subjektiven Realität z.B. der Lebensqualität und wie sich ein Patient fühlt gegenüber den Daten, die man aus Röntgenbildern, Tumormarkern, Tumorgröße, gewinnt.

Und es wird auch angesprochen, dass der direkte Kontakt zwischen Ärztin und Patientin im Gespräch und im Erkunden dieser Lebensrealität aber auch die konkrete klinische Untersuchung-  face to face – gegenüber diesen technischen Daten sukzessive zu kurz kommt.

Die Palliativmedizinerin bringt es auf den Punkt: „In unserem perversen System wird auch noch das zwanzigste CT vergütet, aber kaum mal ein Gespräch. Das ist unser Dilemma in der Palliativmedizin. Wir sind sehr zurückhaltend und hinterfragen kritisch, was nötig ist. Aber für ein nicht gemachtes CT kriegen Sie kein Geld.“

Und der Onkologe fügt hinzu dass das fürsorgliche Unterlassen, wo nicht auch noch die nächste Chemotherapie gegeben wird, nicht belohnt wird. “ Wo im Übrigen (so der Hämatologe) Forschungsergebnissen gemäß „manchmal der dritte oder vierte Durchgang mit jeweils anderen Chemotherapeutika schadet, und man darauf verzichten sollte. Da setzt langsam ein Umdenken ein. Aber es wird nicht so systematisch überprüft wie zum Beispiel die Todesrate nach chirurgischen Eingriffen oder Probleme nach dem Einsetzen von Hüften“

Was für ein wunderbares Wort: Fürsorgliches Unterlassen. Ein Unterlassen, das eine Gabe ist im Sinne des Menschen. Und es braucht  viel Behutsamkeit und Feingefühl, die die drei interviewten ÄrztInnen walten lassen, wenn es darum geht die richtigen Worte und Taten zu finden, um den Menschen dort abzuholen, wo er ist – auch in seiner/ihrer vielleicht unrealistischen Hoffnung und ihm nicht das Gefühl zu vermitteln, dass er fallen gelassen wird.

„Diese Taten können auch ein bisschen im Grenzbereich liegen. Man kann zum Beispiel eine Infusion geben, die gar keine Chemo enthält. Für viele Patienten sind die Infusionen über die Jahre zur Gewohnheit geworden, die sind ja manchmal wöchentlich gekommen. Eine Infusion ist für sie identisch mit Therapie. Ich finde, in solchen Fällen ist es nicht falsch zu sagen: „Wir machen keine Chemotherapie mehr, aber wir geben Ihnen etwas anderes, wir gucken jetzt mal, wie wir Sie stärken.“ Ich würde den Patienten damit nicht betrügen. Und dann kann man Vitamine oder Kortison geben.“ so der Onkologe.

Und es zeigt sich, dass, wenn die Ärztin klar machen kann, dass sie den Patienten nicht fallen lässt, den Prozess sorgsam bis zuletzt begleitet, dass diese dann nicht mehr auf eine weitere Chemotherapie besteht.

Ich habe die schönsten Briefe von Angehörigen bekommen, nicht weil ich Patienten geheilt habe, sondern weil ich ihnen unnötige Dinge erspart habe. Das ist kein Therapieabbruch, sondern eine Änderung des Therapieziels. Die Bezeichnung „Therapie abbrechen“ ist ein furchtbarer, ein saudummer Begriff.“ so der Hämatologe.

Das Interview lässt in wunderbarer Weise durchklingen, dass die ÄrztInnen dem Fluss des Lebens folgen, auch wenn es sich um das Sterben handelt, und dass auch Aspekte, wie zum Beispiel das Verdrängen der furchteinflößenden Realität einer Krebsdiagnose als eine Ressource, eine Schutzfunktion gesehen wird.

Verdrängung ist wie eine Wand, aber meistens ist die irgendwo löchrig, und ich schaue dann immer vorsichtig, wo sie ein bisschen brüchig ist. Ich sage dann: „Lassen Sie uns mal überlegen, was wäre, wenn es jetzt nicht so gut laufen würde, haben Sie mal darüber nachgedacht? Wissen Sie, ich kenne Patienten, die hoffen auch ganz stark, aber manchmal haben sie doch ein paar Zweifel zwischendurch. Ist das bei Ihnen auch so?“ Und es ist erstaunlich, wie weit man da kommt. So führen wir Patienten behutsam an die Realität heran, damit sie Entscheidungen treffen können.“ so die Palliativmedizinerin.

Die Palliativmedizin erfährt in dem Gespräch explizit eine Würdigung, die über ihren Stellenwert am Ende des Lebens hinausreicht.

So sagt der Onkologe: „Die Palliativmedizin wurde ja lange Zeit gar nicht richtig ernst genommen und von manchen sogar verachtet. Ich denke aber, sie könnte den Medizinbetrieb still und unterschwellig revolutionieren. Hier herrscht ein anderes Verhältnis zwischen Arzt und Patient, eine andere Ethik, die die Grenzen des Machbaren anerkennt. Dieses subversive Potenzial sollten wir mehr nutzen.“

Was für eine Aussage!  Wie würde ein Medizinbetrieb wohl aussehen, wenn die Bedürfnisse des Patienten berücksichtigt würden, wenn darauf geachtet wird, dass die Bedingungen so freundlich sind, dass sich ein Wohlbefinden, ein Wohlgefühl einstellen kann.

Wie absurd, dass diese Art der Fürsorge so oft erst zum Ende des Lebens stattfindet. Und ich könnte mir vorstellen, dass sich derartige Bedingungen zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht sogar lebensverlängernd auswirken, dann nämlich, wenn ein Aufatmen, ein Aufgehoben sein stattfindet, dann kann vielleicht auch ein Auf-Leben stattfinden.

Das ganze Gespräch zwischen den drei MedizinerInnen ist sehr differenziert, es gibt kein plakatives Entweder-Oder, kein Schwarz – Weiß. Es wird das Leben (mit Krebs) so vielschichtig beantwortet, wie es ist.

Auch wenn es sich um den Akt des Sterbens handelt. „Sterben ist so individuell wie das Leben.“ sagt dazu die Palliativmedizinerin und meint weiter, dass sich zwar viele Menschen wünschen zu Hause zu sterben, dass damit aber oftmals die Verwandten überfordert sind und damit nicht die Unterstützung geben können, die es braucht.

Es wird betont, wie wesentlich es ist, auf Fragen über das Sterben zu antworten, aufzuklären, welche Möglichkeiten der Linderung es gibt.

Und es ist heilsam zu lesen, dass  „die Erfahrung lehrt, dass wir doch ein relativ friedliches Sterben ermöglichen können. Diese Vorstellung, die immer in den Köpfen herumschwirrt, Sterben ist Agonie, ist Kampf, ist immer mit Schmerzen verbunden – stimmt überhaupt nicht. “ so die Palliativmedizinerin.

Dann, wenn Klarheit über den Vorgang und die Hilfen beim Sterben besteht, und wenn der Mensch schmerzfrei ist und auch seine Wünsche nach einem würdevollen Sterben berücksichtigt werden, dann erübrigt sich auch der Wunsch nach einer Sterbehilfe. „Die (welche ursprünglich einen Wunsch nach Sterbehilfe hatten; Anm. BTW) hatten eigentlich gemeint: Ich möchte so nicht mehr leben, ich kann diese Schmerzen nicht aushalten, diese Atemnot, die Angst. Wenn Sie das lindern, ist das kein Thema mehr.“

und weiter

„Es gibt Prozesse zum Ende des Lebens, die wir nicht absehen können, die wir auch nicht beurteilen können, da ist noch viel möglich, sodass ein Leben vielleicht doch ein Stück weit vollendet ist. Es gibt psychologische Phänomene, wie sich der Mensch an Situationen anpasst. Das nennt sich response shift. Ich kalibriere mein Wertesystem so, dass etwas für mich wertvoll ist oder Lebensqualität bekommt, von dem ich früher gesagt hätte, das ist für mich inakzeptabel.“ so die Palliativmedizinerin.

Abschließend – als eine Art Credo –  des Gesprächs möchte ich den Onkologen zitieren:

Man lernt so viel über das Leben, wenn man mit Krebskranken arbeitet. Das ist der Grund, warum ich mich mit der Onkologie beschäftige. Und ich denke, das neue Zeitalter könnte darin bestehen, dass man beharrlich weiterforscht, die Therapien verbessert, aber gleichzeitig akzeptiert, dass es Grenzen gibt, da kann eine gute Palliativmedizin trösten und helfen. Aber dass man Krebs als Teil unseres Lebens versteht, denn er ist ein Teil davon.“

Das einzig Irritierende an diesem wunderbaren, hoffnungsstiftenden Gespräch ist der Umstand, dass nirgends eine Namensnennung dieser ÄrztInnen zu finden ist.

Ist es vielleicht ein Tabu, vielleicht sogar existenzgefährdend als Arzt/ Ärztin, sich derart freimütig über den Umgang im Medizinbetrieb, über die übermäßige Großzügigkeit in der Anwendung von Chemotherapeutika, über die noch gar nicht so große Wirksamkeit von neuen Therapien zu äußern.

Ist es vielleicht gefährlich, den Krebs als Arzt nicht in erster Linie ausrotten zu wollen sondern ihn und  auch das Sterben zum Leben gehörig zu sehen und demgemäß zu behandeln .

Das ganze Interview ist unter  www.zeit.de/2016/38/chemotherapie-krebs-immuntherapien-palliativmedizin-onkologie-haematologie

 

„Krebs lehrt uns viel über das Leben“ – Kurzversion

Das ist ein wunderbares Gespräch. Corinna Schöps und Claudia Wüstenhagen haben in der Online Zeit Ausgabe vom 14. Oktober 2016 einen Onkologen, einen Hämatologen und eine Palliativmedizinerin zu den verschiedensten Aspekten rund um die ärztliche Betreuung von krebskranken Menschen befragt.

Die Antworten berühren mein Herz und lassen mich Hoffnung schöpfen, dass es neben der Apparatemedizin und einem medizinischen Vorgehen, das sich nicht an der Individualität des Einzelnen orientiert, MedizinerInnen gibt, die den Menschen im wirklichen Sinne in den Mittelpunkt stellen

Die drei MedizinerInnen sprechen von gestiegenen Heilungsraten bei Kindern, von Erfolgen, was neue Operationstechniken, aber auch die Früherkennung betrifft und dem erfolgreichen Einsatz von Medikamenten bei bestimmten Krebsarten.

Sie sprechen aber auch offen über den Preis einer Chemotherapie im Sinne von Nebenwirkungen und Langzeitschäden.

Sie sprechen über die in der Fachwelt gefeierten Immuntherapien. Sie relativieren diesbezügliche Hoffnungen, da diese Therapien nur bei einigen Formen von fortgeschrittenem Krebs in Haut, Lunge und Niere und bei einer bestimmten Art von Leukämie wirken und die Überlebensdauer im Schnitt nur um einige Monate verlängert werden kann und dass davon „bloß eine kleine Gruppe von Patienten“ (Hämatologe) profitiert.

Ich finde es wesentlich, diese Daten zu veröffentlichen, glauben viele Krebskranke doch – und so wird es ja von der Pharmaindustrie großflächig vermittelt -,  dass die Immuntherapie (bislang) auch bei Brustkrebs eine Option ist, und dass damit Heilung erfahren werden kann.

Demgegenüber sagt der Onkologe im vorliegenden Interview, dass „wir immer noch nicht gut gerüstet (sind), wenn sehr häufige Krebsarten wie Darmkrebs oder Brustkrebs nach einer zunächst erfolgreichen Therapie wiederkommen.“

Sukzessive geht das Gespräch auf eine essentielle Ebene, es wird über die Machbarkeitsideologie gesprochen, die den Tod (durch Krebs) aus dem Leben ausschließen möchte.

Wertvolle Gesprächsimpulse kommen dazu naturgemäß von der Palliativmedizinerin.

Besonders berührend finde ich, wenn sie über den Umgang mit schwierigen Fragen oder Situation mit Krebskranken berichtet. Dann wenn sie zum Beispiel über den Umgang mit Prognosen spricht oder andere schwierige Aspekte innerhalb eines Krebsweges offenherzig benannt werden. Zum Beispiel der Umstand, dass oftmals bis zuletzt massive Therapien angewandt werden.

Wie schön ist es zu hören, wenn ein Arzt (in diesem Fall der Onkologe, der aus seiner Praxis spricht) den Patienten in seiner Ganzheit wahrnimmt und ihn darin respektiert. Wie schön auch, dass er sich davon anrühren lässt und dies auch ehrlich ausdrückt.

Das spricht auch ein anderes heikles Kapitel an – das der subjektiven Realität z.B. der Lebensqualität und wie sich ein Patient fühlt gegenüber den Daten, die man aus Röntgenbildern, Tumormarkern, Tumorgröße, gewinnt.

Und es wird auch angesprochen, dass der direkte Kontakt zwischen Ärztin und Patientin im Gespräch und im Erkunden dieser Lebensrealität aber auch die konkrete klinische Untersuchung –  face to face – gegenüber diesen technischen Daten sukzessive zu kurz kommt.

Und es wird auch darüber gesprochen,  dass „das fürsorgliche Unterlassen nicht belohnt (wird) “ (so der Onkologe), wo nicht auch noch die nächste Chemotherapie gegeben wird, wenn absehbar ist, dass sie weder Linderung noch Heilung verspricht.

Was für ein wunderbares Wort: „Fürsorgliches Unterlassen.“ Ein Unterlassen, das eine Gabe ist im Sinne des Menschen. Diese Gabe gilt es mit Feingefühl und Behutsamkeit zu vermitteln, damit sich der Patient nicht fallen gelassen fühlt. Es gilt auch Taten zu setzen, die vielleicht im Grenzbereich liegen, wo eine Infusion ohne Chemo nur mit Vitaminen und Kortison gegeben wird, um dem Menschen nicht den letzten Strohhalm an Hoffnung zu nehmen.

Und es zeigt sich, dass, wenn die Ärztin klar machen kann, dass sie den Patienten nicht fallen lässt, den Prozess sorgsam bis zuletzt begleitet, dass dann die Patienten nicht mehr an der Chemotherapie festhalten..

Das Interview lässt in wunderbarer Weise durchklingen, dass die ÄrztInnen dem Fluss des Lebens folgen, auch wenn es sich um das Sterben handelt, und dass auch Aspekte, wie zum Beispiel das Verdrängen der furchteinflößenden Realität einer Krebsdiagnose als eine Ressource, eine Schutzfunktion gesehen wird.

Sensationell finde ich die Aussage des Onkologen, der die Palliativmedizin als revolutionäre Kraft im Medizinbetrieb würdigt, weil „hier ein anderes Verhältnis zwischen Arzt und Patient (herrscht), eine andere Ethik, die die Grenzen des Machbaren anerkennt.“

Was für eine Aussage!  Wie würde ein Medizinbetrieb wohl aussehen, wenn die Bedürfnisse des Patienten berücksichtigt würden, wenn darauf geachtet wird, dass die Bedingungen so freundlich sind, dass sich ein Wohlbefinden, ein Wohlgefühl einstellen kann.

Wie absurd, dass diese Art der Fürsorge so oft erst zum Ende des Lebens stattfindet. Und ich könnte mir vorstellen, dass sich derartige Bedingungen zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht sogar lebensverlängernd auswirken, dann nämlich, wenn ein Aufatmen, ein Aufgehoben sein stattfindet, dann kann vielleicht auch ein Auf-Leben stattfinden.

Das ganze Gespräch zwischen den drei MedizinerInnen ist sehr differenziert, es gibt kein plakatives Entweder-Oder, kein Schwarz – Weiß. Es wird das Leben (mit Krebs) so vielschichtig beantwortet, wie es ist.

Auch wenn es sich um den Akt des Sterbens handelt, wird der Individualität Rechnung getragen

Es wird betont, wie wesentlich es ist, auf Fragen über das Sterben zu antworten, aufzuklären, welche Möglichkeiten der Linderung es gibt.

Und es ist heilsam zu lesen, dass  „die Erfahrung lehrt, dass wir doch ein relativ friedliches Sterben ermöglichen können. Diese Vorstellung, die immer in den Köpfen herumschwirrt, Sterben ist Agonie, ist Kampf, ist immer mit Schmerzen verbunden – stimmt überhaupt nicht. “ so die Palliativmedizinerin.

Dann, wenn Klarheit über den Vorgang und die Hilfen beim Sterben besteht, und wenn der Mensch schmerzfrei ist und auch seine Wünsche nach einem würdevollen Sterben berücksichtigt werden, dann erübrigt sich auch der Wunsch nach einer Sterbehilfe.

Abschließend – als eine Art Credo, des Gesprächs möchte ich den Onkologen zitieren:

Man lernt so viel über das Leben, wenn man mit Krebskranken arbeitet. Das ist der Grund, warum ich mich mit der Onkologie beschäftige. Und ich denke, das neue Zeitalter könnte darin bestehen, dass man beharrlich weiterforscht, die Therapien verbessert, aber gleichzeitig akzeptiert, dass es Grenzen gibt, da kann eine gute Palliativmedizin trösten und helfen. Aber dass man Krebs als Teil unseres Lebens versteht, denn er ist ein Teil davon.“

Das einzig Irritierende an diesem wunderbaren, hoffnungsstiftenden Gespräch ist der Umstand, dass nirgends eine Namensnennung dieser ÄrztInnen zu finden ist.

Ist es vielleicht ein Tabu, vielleicht sogar existenzgefährdend als Arzt/Ärztin, sich derart freimütig über den Umgang im Medizinbetrieb, über die übermäßige Großzügigkeit in der Anwendung von Chemotherapeutika, über die noch gar nicht so große Wirksamkeit von neuen Therapien zu äußern.

Ist es vielleicht gefährlich, den Krebs als Arzt nicht in erster Linie ausrotten zu wollen, sondern  ihn, und ja auch das Sterben, zum Leben gehörig zu sehen und ihn dementsprechend zu behandeln.

Das ganze Interview ist unter  www.zeit.de/2016/38/chemotherapie-krebs-immuntherapien-palliativmedizin-onkologie-haematologie

Geburt-Sterben

Das ist eigentlich gar kein Thema – das Sterben zu Weihnachten – könnte man denken.

Aber so hat sie es sich ausgesucht, meine liebe Marianna*.

Damals vor 2 Jahren, am 24. Dezember in einem Wiener Krankenhaus.

Es war dies ein strahlender Wintertag, der Himmel wolkenlos blau, die Atmosphäre erwartungsvoll ausgerichtet auf die Christgeburt, als sie ihren letzten Atemzug tat.

Lange hatten wir einander nicht gesehen, nur manchmal noch telefoniert, auch das immer seltener.

Vieles hatten wir aufarbeiten können zusammen – Belastendes aus ihrer Kindheit, Operationen, Einsamkeit, Gewalt. Und immer fand im Zuge der EMDR Sitzungen eine Öffnung zum Spirituellen statt, zu dem, was größer war als sie selbst und das Schicksal.

So fand Versöhnung statt. Stück um Stück.

Sie, die ihr Leben lang sehr leise ihre Arbeit und ihre Liebesdienste verrichtete, wurde in den letzten Monaten noch stiller, eingekehrter in sich.

Dann war es klar, dass sie nicht mehr alleine zu Hause bleiben konnte, und so wurde ich ein paar Tage vor ihrem Tod von ihrer Tochter in Kenntnis gesetzt, dass sie nun in einem Krankenhaus sei, um ihre letzten Tage dort zu verbringen.

Sie, die sich stets mit oberflächlichen Kontakten und Gesprächen schwer tat, war nun in einem Zimmer mit 2 älteren Frauen untergebracht und sie, die immer Angst vor allem Ärztlichen hatte – kein Wunder bei all den traumatisierenden medizinischen Erlebnisse in ihrer Kindheit – erfuhr nun eine liebevolle, schmerzlindernde ärztliche Hilfe.

Ja sie wollte mich noch einmal sehen, da freute ich mich,  ist es mir doch immer wichtig, mich persönlich zu verabschieden von meinen lieben Krebsklientinnen, speziell wenn die Beziehung wie bei Marianna so zart und innig ist.

Es wurde vereinbart, dass ich am 24.12. auf dem Weg zum Weihnachtsfest bei meiner Mutter vorbeikommen sollte.

Dann in der Früh merkte ich einen „Ruf“,  und so machte ich mich nicht erst am Nachmittag sondern schon am späten Vormittag auf den Weg.

Wie immer empfand ich eine Scheu und auch eine Unsicherheit, wie ich diesen sterbenden Menschen wohl vorfinden werde.

Da lag sie, Marianna, noch zarter als ich sie erinnerte und tat ihre „Arbeit“ – ich empfinde es immer als eine (Geburts-) Arbeit, das Sterben.

Sie tat das unaufgeregt, wie das so ihre Art war und ganz und gar konzentriert.

Einatmen – Ausatmen. Immer weniger Einatmen, immer länger Ausatmen.

Wir – ihre Tochter und ich – saßen am Bettrand und sprachen über sie, über das, was wir mit Marianna erfahren hatten, und wer sie war.

Daneben im Zimmer waren ihre zwei Zimmergenossinnen, mit Lockenwicklern im Haar, wollten sie doch schön sein, wenn sie von ihren Angehörigen abgeholt wurden. Sie sprachen Belangloses, schienen die Größe des Ereignisses im Raum nicht zu bemerken.

Wie wunderbar, dachte ich, dass Leben auf so vielen Ebenen gleichzeitig stattfindet und wie schön, dass dieses selbstverständlich, einfach Menschliche den Hintergrund für Marianna´s letzte Lebensmomente bildete.

Dann eine Stunde nach meinem Weggehen tat sie ihren letzten Atemzug, so unscheinbar, dass es zunächst gar nicht bemerkt wurde.

Auch das so ganz Marianna.

Danke.

 

*den Namen habe ich aus Diskretionsgründen geändert.

 

Sterben ist anders.

Sterben ist anders. Das war Cordulas*  letzte Lektion an mich.

Sterben ist anders als ich dachte, als wir dachten, damals als sie mich bat, sie bei diesem ihrem Sterben zu begleiten. Was für ein Geschenk, was für eine Liebesgabe!

Damals im Oktober – 2 Monate vor ihrem Tod-  machten wir uns gemeinsam auf  ihre letzte Reise. Alles wurde geplant. Das Kleid, das sie nachtodlich zu tragen wünschte (das Hechterle!), die handgestrickten Socken an den Füßen, schön wollte sie sein, das war ihr, die ihr Leben dem Schauspiel widmete wichtig.

Gemeinsam mit ihrer lieben Schwester saßen wir zu dritt und gingen das Begräbnis durch. Die Musik wurde ausgewählt und zusammen gehört – Bohemians Rhapsody von den Queen sollte es sein – „Und dann werden alle weinen,“ sagte sie, sitzend in ihrem Bett – „aber Du darfst nicht, weil jetzt ist dein Auftritt, Beatrix!“ Ich sollte, ebenso wie ein Schauspielkollege und ihr Schwager einen Nachruf halten, in diesen Nachrufen die verschiedenen Seiten von Cordula beschreiben. Mein Part war dabei die Innenseite, das Zarte, Feine, Stille und Spirituelle zu zeichnen.

Eine Cordula, welche viele nicht kannten, eine Cordula, die erst in den letzten Monaten im Leben mit Krebs zum Vorschein kam. Eine, die sich um die ganz einfachen Dinge kümmerte, wie es das Reinigen der Badfliesen war, die das Suppenkochen zu ihrer Meditation machte. Eine Cordula, die versuchte, ihren Frieden mit den Menschen zu machen und dazu einen um den anderen einlud – zu sich nach Hause für ein letztes Zusammensein.

So macht man das, dachte ich damals – verzeihen, sich wirklich verabschieden, Altes ziehen lassen, Dinge verschenken, dem Tod ins Auge sehen, glasklar wissen, dass es jetzt nur mehr um das Sterben geht.

Eindrücklich ist mir in Erinnerung, wie sie mir auf meine Frage, was heute gemeinsam zu tun sei, antworte, dass es um ihr Sterben ginge, das sie nun antritt und bei dem ich sie begleiten möge. Damals musste ich sie bereits zuhause besuchen, die Schmerzen in den Knochen ließen keine Wege mehr zu, sukzessive nicht mal mehr den Weg zur Haustür oder ins Bad.

So saß ich bei ihr am Bett, massierte ihre Füße und wir sprachen über Gott und die Welt.

Sie wollte es gut machen –  ihr Sterben – und so übte sie auch dies nach einem Besuch einer Schamanin. Es war eine Qual für mich anzusehen, wie sie sich plagte, die Schwelle zu überschreiten. Es war eine Qual mit anzusehen, wie sie nichts mehr behalten konnte und sich dennoch so unbändig nach ihrem geliebten Mangosaft sehnte.

Das schnitt mir ins Herz, ebenso oder vielleicht noch mehr ihre Schroffheit, ihre Schärfe und Ungeduld. Und auch, wenn ich verstehen konnte, dass es ihre Schmerzen und ihr Ringen um ein Sterben Können waren, die dies verursachten, so fühlte ich mich persönlich angegriffen, verletzt und in unserer Beziehung verraten.

Wie schön und versöhnlich war es dann, als sie mir, die bereits keine Anrufe mehr tätigte und auch keine SMS versandte, ein paar Tage vor ihrem Tod ein SMS schickte, mit der Bitte dringend zu kommen – es sei so weit. Hier nahmen wir Abschied voneinander, und es war eine Versöhnung und ein Wissen um die Liebe in unserer Beziehung spürbar. Dafür bin ich dankbar.

3 Tage später starb sie – an meinem Geburtstag. Noch einmal kamen wir zusammen, um uns von ihr – die nachtodlich noch schöner schien als zu Lebzeiten – zu verabschieden.

Vieles hat mich ihr Sterben gelehrt – dass der Körper ein eigenes Gesetz hat, das leben will und an diesem Leben festhält, und dass dies großen Schmerz verursacht, und dass es zwar gut ist, sich bewusst vorzubereiten, den Abschied zu vollziehen, dass es aber dennoch etwas Unbekanntes, nicht zu Kontrollierendes in diesem Prozess gibt.

Genauso wie die Geburt meiner Tochter so ganz anders verlief, als ich es plante und mich auch in diesem Sinne vorbereitete, so scheint auch diesem Tod-Gebärens-Prozess etwas Unbekanntes inne zu wohnen.

Vielleicht ist ja dieses Bewusstsein um das Unbekannte, nicht zu Planende, Neue in diesem Prozess die einzige und wesentliche Vorbereitung auf das je eigene Sterben.

Liebe Cordula, Danke, dass ich dabei sein durfte!

*den Namen habe ich aus Gründen der Diskretion geändert.

Is this the real life, is this just fantasy
Caught in a landside, no escape from reality
Open your eyes, look up to the skies and see
………
Nothing really matters, anyone can see
Nothing really matters, nothing really matters to me
Any way the wind blows

Aus Bohemians Rhapsody von den Queen