1998 zeigten sich bei einer Routinemammographie Mikroverkalkungen in einem großen Teil meiner rechten Brust. Auf Drängen meines Mannes, der 5 Jahre in einer komplementärmedizinischen Krebs-Ambulanz mitarbeitete, ließ ich eine dieser Mikroverkalkungen abklären und man fand ein Carcinom in situ. Natürlich war die Diagnose ein Schock, jedoch war es für mich im Gegensatz zu vielen Menschen, die mich kannten und mich so ganz und gar nicht als einen Krebs-Typ – den es im Übrigen nicht gibt, eingeschätzt haben – keine Überraschung. Seit geraumer Zeit tauchte ein Satz wiederkehrend in mir auf „Ich will nicht mehr“ – Ich wollte dieses Leben, das von einem engen Leistungskorsett geprägt war und wo zeitlicher und emotionaler Raum auf eine winzige Lücke zusammengeschrumpft war, nicht mehr und konnte mir gleichzeitig nicht vorstellen, das Recht und die Kraft zu haben es zu ändern.
So war die Diagnose auch Möglichkeit und Erlaubnis. Durch die Notwendigkeit, für mich zu sorgen, durfte ich mich mir selbst zuwenden. Erstmalig seit Jahren ging es zu allererst um mich.
Ich ließ mir sehr viel Zeit für Entscheidungen, die die nächsten Schritte betrafen – ich kontaktierte einige Chirurgen und wählte einen, der mir, obwohl State of the Art die ganze Brust zu entfernen gewesen wäre, nur den betroffenen Teil entfernte. Ich wählte ihn nicht nur auf Grund seiner hohen Kompetenz auf diesem Gebiet und seiner Menschlichkeit, sondern weil „etwas“ in mir sagte dass er der Richtige sei. Dieses tiefere innere Wissen, das mich leitete, wurde sowohl durch das Operationsergebnis bestätigt als auch durch seine Begleitung über all die Jahre. Ich freute mich auf die Kontrolltermine bei ihm, weil es nicht nur um die Mammographie Ergebnisse sondern um meinen Weg, um mich ging und darüber hinaus um Gott und die Welt. Ich fühlte mich eingeladen, ihm zu erzählen, welche Heilungs-Schritte ich unternahm und diese wurden immer interessiert und wertschätzend angenommen. Das ist sehr wesentlich. Da Krebs in vielen Fällen eine chronische Erkrankung ist, braucht es eine Begleitung, die wohltuend und vor allem frei von Angst ist. Zu oft getrauen sich Krebskranken ihrem schulmedizinischem Onkologen nicht zu sagen, dass sie ihre Gesundung durch komplementärmedizinische Maßnahmen, durch Meditation und Lebensveränderung oder Psychotherapie unterstützen. Die Reaktionen reichen leider oftmals von Abwertung und Ignoranz bis zu Drohungen.
Auch für den nächsten indizierten Schritt – die Bestrahlung – ließ ich mir trotz des allgemeinen Drängens über 4 Monate Zeit und entschied mich erst dazu, als ich den Sinn voll einsehen und ich mich gut vorbereitet auf die Behandlung einlassen konnte. Auch diese Erfahrung war – so komisch das klingen mag – eine bereichernde. Es gab mir Gelegenheit, mich noch länger mit meiner Krebserkrankung auseinanderzusetzen, ich begegnete Menschen, die in unterschiedlichem Ausmaß von Krebs betroffen am Ort der Bestrahlung zusammen kamen und ich sah mit welcher Würde das je besondere Schicksal getragen wurde.
Die ebenso aufgrund meines hormonrezeptorpositiven Tumorbefundes indizierte Therapie mit Tamoxifen lehnte ich nach längerer Reflexion ab. Es ergab für mich keinen Sinn, bei einer Erkrankung, die offensichtlich mit meiner gekränkten und unheilvollen Beziehung zu meiner Weiblichkeit zusammenhing, diese Beziehung noch weiterhin zu stören, indem ich in den hormonellen Kreislauf so vehement eingreife. Unmittelbar nach der Diagnose konnte ich erkennen, dass es darum ging, mich in jeder Zelle zu lieben, also auch in meiner weiblichen Gestalt, in meinen Rundungen und Kurven und allem was mich als Frau ausmacht. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Selbst-Annahme in allen Aspekte meines Frau und darüber hinaus Mensch Seins der Beitrag zur Heilung ist. Dieser Prozess der Selbst-Annahme ist ein nach wie vor stattfindender und wahrscheinlich ja lebenslänglicher.
4 1/2 Jahre nach der ersten Diagnose wurde in der linken Brust eine Mikroverkalkung festgestellt. Vielleicht hätte sich ein weiteres Krebs-Geschehen nicht entwickelt , hätte ich die Medikamente eingenommen. Aber es war damals eine genau befühlte und von der Seele begrüßte Entscheidung, so haderte ich nicht mit der Tatsache. Wie es mir überhaupt durch die bereits fest etablierte Meditationspraxis gelang, wie Carl Rogers, einer meiner wesentlichsten Psychotherapie-Lehrer es ausdrückte, nahezu jede Tatsache als freundlich anzuerkennen. Natürlich war auch das ein Schock, vielleicht sogar noch stärker, hatte ich doch schon sehr viele Lebensveränderungen vorgenommen – ich ernährte und lebte nach Kriterien der ayurvedischen Medizin, meditierte, gönnte mir Auszeiten und hatte mich auch schon von einigen eingebrannten Glaubenssätzen gelöst, wie zum Beispiel, dass nur die Leistung meinen Selbstwert bestimmt. Dennoch war vor der Diagnose eine Erschöpfung spürbar und damit auch eine neuerliche Schwächung des Lebenswillens.
Es war eine eindrückliche Erfahrung, dass ich – obwohl ich den gleichen Behandlungsweg – Operation beim selben Chirurgen und Bestrahlung am selben wohltuenden Radioonkologie Institut beschritt, von massiven, unüblichen Nebenwirkungen betroffen war. Hohe Infektanfälligkeit, Ausschläge bis zu den Knöcheln, Fieber und eine immense Schwäche, wo bereits einige wenige Schritte zur Straßenbahn eine Herausforderung waren. Und dann – während meiner täglichen Meditation – konnte ich klar erkennen, dass es darum ging, die psychotherapeutische Praxis zu zu sperren, ich konnte den Schlüssel in meiner Hand spüren und den Akt des Zusperrens und gleich darauf die Erleichterung – ja das ist es, darum geht es, mich von dieser nahezu 20 jährigen belastenden psychotherapeutischen Tätigkeit zu befreien. Und augenblicklich konnte ich bemerken, wie Kräfte zurück kehrten, der Lebenswille spürbar wurde und damit das Ja zum Leben.
Die Praxis blieb für 1 1/2 Jahre geschlossen und ich habe nun einen Modus gefunden, wie ich die therapeutische Arbeit, die ich an und für sich liebe, tun kann, ohne dass sie mich schwächt.
Mittlerweilen ist die Angst vor einer neuerlichen Diagnose gewichen, ich habe die Krebserkrankung als Lehrerin anerkannt, die mich spüren lässt, wenn ich aufgrund meines Befindens, meinem Ausmaß an Lebensfreude und Lebenskraft aus dem Gleichgewicht gerate und es ermöglicht mir – den Tod an die Seite gestellt – mutig die nötigen Schritte vor zu nehmen.
Gerne hätte ich den Text zu meinem Krebsweg mit den letzten Zeilen beendet. Dezember 2018 wurde ich jedoch neuerlich mit einer Krebsdiagnose konfrontiert.
Habe mich für eine Totaloperation beider Brüste entschieden, um nach 20 Jahren das Kapitel, so weit es in meinem Einflussbereich steht, zu beenden. Auch diesmal nahm ich mir lange Zeit für die Entscheidung, und auch sie ist von meiner Seele begrüßt. In einem längeren Prozess habe ich mich von meinen Brüsten nach 52 Jahren verabschiedet und allem Raum gegeben, was dazu gehört. Trauer, Bedauern, Angst, vorweggenommene Erleichterung usw.
In diesem Sinne war die kürzlich erfolgte OP ohne große Nebenwirkungen, und ich heiße mich in meinem neuen Erscheinungsbild willkommen.
Ein Gedanke zu “Mein Krebsweg”