Feier – Tag

Heute vor einem Jahr, am 18.11.2021 um 9 Uhr früh hat mein Mann die Rettung gerufen.

Am Abend davor sind meine beiden Liebsten an meinem Bett gesessen, von dem ich nur mehr schwer aufstehen konnte und wir haben beschlossen, dass dies der nächste Schritt ist – morgen früh.

Lisa, meine Süße, packte noch Einiges zusammen – ich hab es nicht gebraucht, weggesperrt in Schränken bis zum letzten Tag meines Aufenthalts, warteten sie darauf, einfach wieder nach Hause gebracht zu werden.

Dann, am 18,11. 2021 wurde ich abtransportiert. So kann man das sagen.

Die nächsten 15 Tage und besonders das tagelange Schweben zwischen Leben und Tod waren eine eindrückliche Erfahrung.

Irgendetwas in mir hat sich dann doch für das Leben entschieden.

Ich habe mich für das Leben entschieden.

Hab´ noch was zu tun, zu erleben hier auf Erden.

Heute, am 18.11.2022 um 12 Uhr Ortszeit hat meine Tochter Lisa die Defensio ihrer Dissertation. Nach 7 Jahren PhD Studium an der McGill University in Montreal.

Sie wird das nicht einfach überleben, sondern bravourös meistern. Davon bin ich überzeugt.

Oft meinen Eltern, dass sie stolz auf ihre Kinder sind. Ich scheue mich, das zu sagen. Stolz auf – da ist mir zu viel Eigenes, Besitz und auch zu viel Hierarchie dabei.

So suchte ich nach einem Wort, das meine Empfindungen ausdrückt.

Groß sind sie, meine Gefühle. Ich kann sie in meiner Brust spüren.

Vielleicht bin ich ja doch stolz, auf sie, wie sie sich, meine schöne, weise, liebe Tochter all das erarbeitet und oft auch errungen hat.

Sie ist durch Tiefen des Selbstzweifels gegangen, sie hat sich furchtlos und oft auch ängstlich Vielem gestellt, was ihr den Weg verbaute.

Und letztlich hat sie sich ihre Größe erobert.

Und wurde – endlich – gesehen.

Welch´ eine wunderbare Gelegenheit, all dieses tapfer erworbene Wissen zu offenbaren, zu zeigen, wer Du bist, meine Liebe.

Und wie schön, dass ich noch da bin, um dieses wunderbare Ereignis zu erleben.

Mein gutes Leben

Das gute Leben fängt mit dem Aufhören an – aufhören mit all den Angewohnheiten.

Ange-Wohn-heiten.

Welch ein Wort!

Da hat sich was rAn an mich gemacht, und dann dringt es ein in mich, was zuvor noch draußen war als eine Möglichkeit, eine von vielen Möglichkeiten.

Es freut sich, diese eine Möglichkeit, die ich fortan immer und immer wieder wähle – „Ja, nimm mich, ich bin gut für Dich“, sagt es, flüstert, schreit es, „ich nehme Dir Deine Unruhe, Deine Verzweiflung, Deine Langeweile, Deinen Zorn, Deine Angst – ruhig mach ich Dich, beschäftigen tu´ ich Dich und schon ist es weg, was Dich grad „gebissen“ hat.

Versprochen, Deal!

So kommt es näher und näher und schon verstellt es den Blick für all die anderen Möglichkeiten, –  für mich und das, was eigen-tlich da ist in mir.

Langsam zieht es ein, mit all den Möbelstücken, die nicht meine sind, und so wird meine Körper-Geist-Wohnung langsam ent-eignet. Nicht mehr meine.

Meine – mit all den vielen schönen Zutaten, die mein Leben reicher machen und erfreuen.

Kein Platz.

Kein Raum.

Alles verstellt.

Kein Ausdehnen, kein Atmen, renn´ mir dem Kopf an – bald einmal ausweglos.

Jetzt

Ausräumen, Zupacken, Schleppen, Stemmen oder einfach all das Gerümpel beim Fenster rausschmeißen, wie sie das in Neapel so tun zu Silvester.

Radikal.

So!

Das ist jetzt vollbracht.

Jetzt

Neu-Beginnen.

Keine unverrückbaren (Zucker, Rauch, Alkohol, Trägheits,….)- Einbauschränke mehr – unveränderbar für Jahrzehnte.

Ein leichtes, lindgrünes Sofa, vielleicht mitten im Raum, und dann mal sehen, Sitzen und Schauen, von diesem guten Platz der Freiheit aus.

Braucht´s noch was, ist´s genug?

Wären da nicht diese Ideen vom Brauchen und Müssen, ist es meistens mit wenig, manchmal, oft mit Nichts genug.

Sitzen – hier auf meinem lindgrünen OrganismusSofa.

Platz nehmen in mir.

Still sein.

Sitzen.

Schauen.

Und den unendlichen Reichtum des Lebens fühlen.

Jetzt

Vom Sinn zur Sinnhaftigkeit

                                                                                                         Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
                                                                                                         Die sich über die Dinge ziehn.
                                                                                                         Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen
                                                                                                         Aber versuchen will ich ihn
                                                                                                          Ich kreise um Gott, um den uralten Turm
                                                                                                          Und ich kreise jahrtausendelang
                                                                                                          Und ich weiß noch nicht, 
                                                                                                          bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.

                                                                                                                                                                   Rainer Maria Rilke

                 

„Wer keinen Sinn im Leben findet, wird sich kaum heilen können“. Diesen Satz schreibt meine geschätzte Freundin Miriam Reichel in einem ihrer  fb Beiträge.

Miriam weiß, wovon sie spricht, konfrontiert mit einer 8-Wochen Überlebensprognose eines Lymphoms hat sie ihr Leben vollständig umgekrempelt, von der Ernährung bis zur Veränderung des Lebensmittelpunkts von Deutschland nach Südafrika hat sie radikal eine Wende vollzogen.

Vor allem hat sie ihren Beruf als Juristin an den Nagel gehängt und ist ihrer Berufung gefolgt, Autorin zu sein. Und sie wurde gesund und ist dies seit nunmehr 18 Jahren. https://krebscoaching.org/2020/06/30/krebs-leben-die-kombination-der-moeglichkeiten/

Viele andere Menschen hören einen derartigen inneren Auf-Ruf, und oft geschieht das nach einem großen Lebens-Einschnitt, wie nach einer Krebsdiagnose.

Ihre Biographien zeugen davon, wie sie Himmel und Erde in Bewegung setzten, um diesem Ruf gerecht zu werden. Sie riskierten bisweilen Geldnot, Trennung, Verurteilung und manchmal sogar eine (Gefängnis-)Strafe, um diesem Ruf zu folgen. Und oft hatten sie – wie Miriam – Erfolg.

Solche Vor-Bilder können uns inspirieren, bekräftigen und ermutigen, dass auch wir uns auf das besinnen, was und wie wir eigentlich leben wollen.

Lese ich Miriam`s Satz mit den Augen von Menschen, die ihr Leben vielleicht gerade ganz und gar sinnlos finden, die einfach überleben, oder wie auch ich schon öfter, gerade gar keinen Grund finden, zu leben, und schon gar keinen Sinn, ist ein derartiger Appell eine große Herausforderung.

Ich denke an etwas Besonderes, etwas Herausragendes, Spektakuläres. Das leitet eine (fieberhafte) Suche im Außen ein. Was könnte das sein – mein großer Traum, meine Aufgabe, meine Seelen-Pflicht? Und ich verbinde damit den Anspruch – diesen einen Sinn zu finden.

Und dann mühe ich mich, um dieses Ziel, zu erreichen – ein sinnvolles Leben zu schaffen. Und dabei orientiere ich mich an großen Vor-Bildern: ein Kinderhilfsprojekt in Indien etwa, oder Bäume pflanzen, Nein, nicht einen Einzelnen sondern eine ganze Plantage, oder etwas vollkommen Neues zu erschaffen, oder im Hospiz Sterbende zu begleiten.

Mit derart Herausragendem darf ich mir selbst Anerkennung geben und auf den Applaus der Welt hoffen – glaube ich.

Und in der Tat konnte Le Shan feststellen, dass Menschen, die unheilbar an Krebs erkrankten, genasen, wenn sie ihren (Kindheits-)Traum aufgriffen und in einer ihnen (noch) möglichen Form realisierten. https://krebscoaching.org/buchempfehlungen/bucher/

Diese Beispiele sind beeindruckend. Die Menschen griffen ihren innersten Lebensfaden auf und wurden gesund.

Es sind Zeugnisse von großem Mut und radikalen Wandlungen, die bis in die Biologie wirkten.

Diese Beispiele können uns jedoch auch blenden und wir könnten meinen, dass es derart spektakulär aussehen muss. Und vielleicht verhindert ja gerade diese Blendung, diese Aufforderung zum „Think Big“, (weil sonst ist das nichts und schon gar nicht hat es die Kraft der Heilung) eine persönliche Sinnfindung.

Auf der Suche nach diesem einen, das Leben überdauernden Sinn, übersehen wir vielleicht, dass jeder Moment sinnhaft erlebt werden kann. Dass ich die Sinnhaftigkeit meiner Existenz in kleinen Momenten erfahren kann, wo es mir zum Beispiel möglich ist, nett und freundlich und förderlich für andere Menschen zu sein, wo ich einen Kuchen backe, mich an den Zutaten, an meinem Tun und auch an der Freude der anderen erfreue, Momente, in denen ich etwas Tiefes erkennen kann oder einen Satz schreibe, der aus meinem Innersten kommt.

Dazu muss ich nicht Bäckerin werden, auch nicht Schriftstellerin oder Forscherin, wenngleich es gut ist, meinen „Freudenschaften“ zu folgen und ihnen Raum und Ausdruck zu geben, sodass aus den Knospen Blüten und Früchte werden können.

Als ich im November letzten Jahres auf der Intensivstation lag, und der Tod mir schon sehr nahe war, hatte ich eine Erkenntnis: Dass das Leben an sich wertvoll ist, dass es mir geschenkt wurde, dass ich leben darf ,und dass es einen Sinn hat, dass ich hier, zu dieser Zeit, an diesem Ort lebe. Das erste Mal habe ich diesen Sinn jenseits von äußerer Bewertung, dass meine Existenz nur einen Sinn hat, wenn ich etwas Großes leiste, erahnt.

Und so sitze ich hier in meinem Lieblingskaffee, dem Waldemar, und freu´ mich, diese Zeilen zu schreiben und weil ich ahnen kann, dass der Sinn meines Lebens vielleicht darin besteht, Aussagen, Gegebenheiten, Überzeugungen, Selbstverständliches zu hinterfragen und tiefer zu schauen.

Oder vielleicht in der Suche nach Wahrheit oder indem ich mein Leid als Basis für Mitgefühl anerkenne,  in der Befreiung von alten Belastungen oder in meinem eigenen Heilwerden…..

Vielleicht ist das ja so.

Vielleicht ist es aber auch so, dass ich in meinem Verbunden Sein mit meinem Tun, mit allem, was diesen Moment auszeichnet, auch wenn es nicht angenehm ist, in meinem Stillsein, das aus dem Einverstanden Sein entsteht, einfach die radikale Sinnhaftigkeit dieses, meines Lebens erspüren kann –  zart, unbeschreiblich vielleicht, und ganz und gar wahr.

Dann muss ich nicht wissen, ob ich, wie der liebe Rainer Maria Rilke es im oben zitierten Gedicht sagt, ein Falke bin, ein Sturm oder ein Gesang.

Dann lebe ich mit allem, was dazu gehört.

Ich koche, ich schreibe, ich gehe, ich spreche, ich meditiere, ich schaue, ich atme, ich leide – und Alles ist sinnvoll,

weil ich ganz dabei bin.

Das Leben vollzieht sich.

Einfach.

Fühlbar.

Sinnlich,

Und ganz und gar

Sinnvoll.