Vom Sinn zur Sinnhaftigkeit

                                                                                                         Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
                                                                                                         Die sich über die Dinge ziehn.
                                                                                                         Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen
                                                                                                         Aber versuchen will ich ihn
                                                                                                          Ich kreise um Gott, um den uralten Turm
                                                                                                          Und ich kreise jahrtausendelang
                                                                                                          Und ich weiß noch nicht, 
                                                                                                          bin ich ein Falke, ein Sturm oder ein großer Gesang.

                                                                                                                                                                   Rainer Maria Rilke

                 

„Wer keinen Sinn im Leben findet, wird sich kaum heilen können“. Diesen Satz schreibt meine geschätzte Freundin Miriam Reichel in einem ihrer  fb Beiträge.

Miriam weiß, wovon sie spricht, konfrontiert mit einer 8-Wochen Überlebensprognose eines Lymphoms hat sie ihr Leben vollständig umgekrempelt, von der Ernährung bis zur Veränderung des Lebensmittelpunkts von Deutschland nach Südafrika hat sie radikal eine Wende vollzogen.

Vor allem hat sie ihren Beruf als Juristin an den Nagel gehängt und ist ihrer Berufung gefolgt, Autorin zu sein. Und sie wurde gesund und ist dies seit nunmehr 18 Jahren. https://krebscoaching.org/2020/06/30/krebs-leben-die-kombination-der-moeglichkeiten/

Viele andere Menschen hören einen derartigen inneren Auf-Ruf, und oft geschieht das nach einem großen Lebens-Einschnitt, wie nach einer Krebsdiagnose.

Ihre Biographien zeugen davon, wie sie Himmel und Erde in Bewegung setzten, um diesem Ruf gerecht zu werden. Sie riskierten bisweilen Geldnot, Trennung, Verurteilung und manchmal sogar eine (Gefängnis-)Strafe, um diesem Ruf zu folgen. Und oft hatten sie – wie Miriam – Erfolg.

Solche Vor-Bilder können uns inspirieren, bekräftigen und ermutigen, dass auch wir uns auf das besinnen, was und wie wir eigentlich leben wollen.

Lese ich Miriam`s Satz mit den Augen von Menschen, die ihr Leben vielleicht gerade ganz und gar sinnlos finden, die einfach überleben, oder wie auch ich schon öfter, gerade gar keinen Grund finden, zu leben, und schon gar keinen Sinn, ist ein derartiger Appell eine große Herausforderung.

Ich denke an etwas Besonderes, etwas Herausragendes, Spektakuläres. Das leitet eine (fieberhafte) Suche im Außen ein. Was könnte das sein – mein großer Traum, meine Aufgabe, meine Seelen-Pflicht? Und ich verbinde damit den Anspruch – diesen einen Sinn zu finden.

Und dann mühe ich mich, um dieses Ziel, zu erreichen – ein sinnvolles Leben zu schaffen. Und dabei orientiere ich mich an großen Vor-Bildern: ein Kinderhilfsprojekt in Indien etwa, oder Bäume pflanzen, Nein, nicht einen Einzelnen sondern eine ganze Plantage, oder etwas vollkommen Neues zu erschaffen, oder im Hospiz Sterbende zu begleiten.

Mit derart Herausragendem darf ich mir selbst Anerkennung geben und auf den Applaus der Welt hoffen – glaube ich.

Und in der Tat konnte Le Shan feststellen, dass Menschen, die unheilbar an Krebs erkrankten, genasen, wenn sie ihren (Kindheits-)Traum aufgriffen und in einer ihnen (noch) möglichen Form realisierten. https://krebscoaching.org/buchempfehlungen/bucher/

Diese Beispiele sind beeindruckend. Die Menschen griffen ihren innersten Lebensfaden auf und wurden gesund.

Es sind Zeugnisse von großem Mut und radikalen Wandlungen, die bis in die Biologie wirkten.

Diese Beispiele können uns jedoch auch blenden und wir könnten meinen, dass es derart spektakulär aussehen muss. Und vielleicht verhindert ja gerade diese Blendung, diese Aufforderung zum „Think Big“, (weil sonst ist das nichts und schon gar nicht hat es die Kraft der Heilung) eine persönliche Sinnfindung.

Auf der Suche nach diesem einen, das Leben überdauernden Sinn, übersehen wir vielleicht, dass jeder Moment sinnhaft erlebt werden kann. Dass ich die Sinnhaftigkeit meiner Existenz in kleinen Momenten erfahren kann, wo es mir zum Beispiel möglich ist, nett und freundlich und förderlich für andere Menschen zu sein, wo ich einen Kuchen backe, mich an den Zutaten, an meinem Tun und auch an der Freude der anderen erfreue, Momente, in denen ich etwas Tiefes erkennen kann oder einen Satz schreibe, der aus meinem Innersten kommt.

Dazu muss ich nicht Bäckerin werden, auch nicht Schriftstellerin oder Forscherin, wenngleich es gut ist, meinen „Freudenschaften“ zu folgen und ihnen Raum und Ausdruck zu geben, sodass aus den Knospen Blüten und Früchte werden können.

Als ich im November letzten Jahres auf der Intensivstation lag, und der Tod mir schon sehr nahe war, hatte ich eine Erkenntnis: Dass das Leben an sich wertvoll ist, dass es mir geschenkt wurde, dass ich leben darf ,und dass es einen Sinn hat, dass ich hier, zu dieser Zeit, an diesem Ort lebe. Das erste Mal habe ich diesen Sinn jenseits von äußerer Bewertung, dass meine Existenz nur einen Sinn hat, wenn ich etwas Großes leiste, erahnt.

Und so sitze ich hier in meinem Lieblingskaffee, dem Waldemar, und freu´ mich, diese Zeilen zu schreiben und weil ich ahnen kann, dass der Sinn meines Lebens vielleicht darin besteht, Aussagen, Gegebenheiten, Überzeugungen, Selbstverständliches zu hinterfragen und tiefer zu schauen.

Oder vielleicht in der Suche nach Wahrheit oder indem ich mein Leid als Basis für Mitgefühl anerkenne,  in der Befreiung von alten Belastungen oder in meinem eigenen Heilwerden…..

Vielleicht ist das ja so.

Vielleicht ist es aber auch so, dass ich in meinem Verbunden Sein mit meinem Tun, mit allem, was diesen Moment auszeichnet, auch wenn es nicht angenehm ist, in meinem Stillsein, das aus dem Einverstanden Sein entsteht, einfach die radikale Sinnhaftigkeit dieses, meines Lebens erspüren kann –  zart, unbeschreiblich vielleicht, und ganz und gar wahr.

Dann muss ich nicht wissen, ob ich, wie der liebe Rainer Maria Rilke es im oben zitierten Gedicht sagt, ein Falke bin, ein Sturm oder ein Gesang.

Dann lebe ich mit allem, was dazu gehört.

Ich koche, ich schreibe, ich gehe, ich spreche, ich meditiere, ich schaue, ich atme, ich leide – und Alles ist sinnvoll,

weil ich ganz dabei bin.

Das Leben vollzieht sich.

Einfach.

Fühlbar.

Sinnlich,

Und ganz und gar

Sinnvoll.














					

Die Hochschaubahn

Für mich ist das nichts – das Hochschaubahnfahren.

Wann man hinauffährt, weiß man schon, dass es bald einmal dem Abgrund entgegen geht.

Dann der höchste Punkt, da ist nichts von Aussicht genießen, ein kurzes Verweilen, dann geht´s  schon wieder in rasendem Tempo bergab.

Da könnte ich dann schon aussteigen – Boden unter den Füßen – einfach gehen auf einer Ebene.

Am 1.12. wurde ich aus dem Spital entlassen, nachdem ich in einen Abgrund stürzte, unerwartet und heftig – Mit dem Heimkommen konnte ich wieder Boden unter den Füßen spüren – da sein, mich spüren, Sicherheit. – UP

„Jetzt nach der schweren Corona-Erkrankung fängt ein neues Leben an, ein von Krankheit befreites Leben, eines, in dem das Wohlgefühl und die Freude vorherrscht“– dachte ich.

Ja die Lunge war noch geschädigt, verständlich, aber ich konnte Zeugin meiner Selbstheilungskräfte sein und schon bald ohne nachfolgenden halbstündigen Hustenanfall die Stiegen zu meinem Zimmer erklimmen – UP

„Zur Sicherheit machen wir ein CT, um etwaige profunde Schäden auszuschließen“, meinte der Lungenfacharzt Anfang Jänner.

Ganz sicher war ich nicht, ob ich das wollte, aber warum nicht.

Dann der Befund – da musste ich ein Wort lesen „suspekter blastomatöser Herd“.

Mittlerweile etwas kundig in der medizinischen Terminologie wusste ich sogleich, dass das wahrscheinlich nicht Gutes bedeutet.

Der Herr Lungenfacharzt bestätigte meine Befürchtung und drängte auf weitere Untersuchungsmaßnahmen – eine Biopsie und/oder ein PET-CT. Ich verhandelte mir 5 Wochen Regenerations- und Bedenkzeit aus.

Das gab mir erneut einen Boden unter den Füßen und so konnte ich beide Diagnoseoptionen  für 5 Wochen ausblenden.

Die tägliche Atemmeditation – sehr empfehlenswert – Quantum Light Breath von Jeru Kabal – trug mich in höchste Wissensgefilde. Ich wusste, dass alles gut ist und sein wird und war ruhig – UP

Der Tag des PET-CT rückte näher, ein mulmiges Gefühl beschlich mich schon im Vorhinein und dann wurden aus einem drei suspekte, weil stoffwechselaktive Herde – 2 in der Lunge und einer in meiner nicht mehr vorhandenen Brust (das gibt es auch).

Und wieder war es ein Wort, das mein Gefühlsgefährt hinunter stürzen ließ – SBL – „Sekundärblastomatöse Läsion“ – gar nicht gut, umgangssprachlich: eine Metastase.

Wow – damit hatte ich nicht gerechnet. Schwerkrank, ohne mich als solche zu fühlen. – DOWN DOWN

Dank meiner lieben Zwillingsschwester, die selbst Lungenfachärztin und Wissenschaftlerin ist, erhielt ich nähere Auskünfte. Leider musste ich erkennen, dass es ganz und gar nicht selbstverständlich ist, dass ich als Patientin mit der Nuklearmedizinierin selbst sprechen kann, wie es nicht mal selbstverständlich ist, dass der Befund nicht bloß dem zuweisenden Arzt sondern auch mir ausgehändigt wird. ,

Die Stoffwechselaktivität dieser drei Herde war nämlich zwar über dem Höchstwert, der als gesund gilt, aber dennoch nicht so hoch, dass mit Sicherheit ein höchst alarmierendes Krebsgeschehen sich in mir ausbreitet – UP

Schnell entschied ich mich für eine OP des Knotens am Brustrand, wollte ich doch keinen in die Rippe wachsenden Krebs riskieren.

Meine Chirurgin empfing mich im Aufwachraum mit der guten Botschaft – im Gefrierschnitt war kein (gravierendes) Krebsgeschehen zu sehen und auch im Entlassungsbericht stand „Exzision gutartiger Läsionen“

Welche eine Erleichterung – beflügelt verließ ich das Krankenhaus bereits am OP Tag. Jetzt nur noch die Narben verheilen lassen und dann einfach leben.

Die Histo stand zwar noch aus, dennoch war ich froh – UP

Dann der Anruf meiner Chirurgin – Leider ist es doch bösartig.

„Leider“ und „bösartig“ sind keine guten Worte im Zusammenhang mit Krebs und demensprechend erschüttert war ich von dieser Nachricht. Mittlerweile war ich bereits so verunsichert und entfernt von meiner inneren Stimme – die bis jetzt immer in genauem, intuitiven Wissen um das Geschehen war, dass ich mir alles vorstellen konnte – der Krebs, der ja bislang niemals kein wirklich böser war ist mutiert und es handelt sich um ein G3 und die Lungenherde sind wahrscheinlich doch Metastasen – DOWN.

Als der Befund dann tatsächlich da war, es ist wieder ein G1 – das heißt ein langsam wachsendes Geschehen – war die Erleichterung erneut groß – ein vorsichtiges UP.

Wie gesagt: Hochschaubahnfahren ist nicht so mein´s. Da schau ich lieber, was mir einen Boden unter den Füßen bereitet:

  • Wissen ist ein Boden
  • Eigene Forschung, mich nicht zufriedengeben mit dem Wissensstand der ÄrztInnen – ist ein Boden
  • Unbequeme Fragen stellen und lästig sein (dürfen) – ist ein Boden
  • Selbst entscheiden, wann, was richtig und stimmig ist, zu tun – ist ein Boden.
  • Menschen, die mich in der Gründlichkeit und Genauigkeit unterstützen – ist Boden
  • Menschen, die mir ihre Liebe bekunden und an meiner Seite gehen – ist ein Boden.
  • Dinge, zu tun, die mich anheben, ist ein Boden, ein Himmelsboden – zu meditieren, berührende Musik zu hören, zu schreiben, vor allem, wenn mein Schreiben aus einer höheren Ebene kommt.
  • Verantwortung zu übernehmen für mein Leben (mit Krebs) – ist ein Boden
  • Mein Leid, meine Sorgen, die Ratlosigkeit und Verzweiflung in göttliche Hände zu geben – ist ein himmlischer Boden.
  • In die Stille gehen, ist der profundeste Boden

Mit diesem Boden, der letztlich mein innerstes Zentrum ist, mit einem Bewusstsein über mein Ich, das durch alles durchzugehen vermag, kann ich mich den Bewegungen der Ups and downs (leichter) überlassen – mal mehr und mal weniger.

Ich muss den Atem nicht anhalten, kann das das Abenteuer des Lebens begrüßen, – mal mehr und mal weniger – und ich kann eine Sicherheit spüren, die nicht so leicht zu gefährden ist.

Dann wird die Achterbahn zur Hoch-Schau-Bahn und ich kann sehen, wie weit und groß das Leben ist.

Das Leben feiern!

Heute ist mein 4. Busenlos-Geburtstag.

Welch´ ein großes, freudiges Ereignis war das damals!

Vieles ist in der Zwischenzeit passiert, Vieles hat mir sehr zugesetzt, hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht und am Leben verzweifeln lassen.

Und dann Ende November, auf der Intensivstation, als ich einige Zeit zwischen Leben und Tod schwebte, habe ich zu tiefst erkannt, dass das Leben per se ein kostbares Geschenk ist.

So habe ich eine Entscheidung getroffen:

Den Flirt mit dem Tod zu beenden und das Leben, wie immer es sein mag, anzunehmen.

Diese Entscheidung wurde nach einer kurzen glückseligen Erholungszeit mit meiner Familie stark herausgefordert.

Ein CT und nachfolgend ein PET CT zeigte 3 suspekte Herde, 2 in der Lunge und einen in meiner nicht mehr vorhandenen Brust.

Das war ein schwerer Schlag.

Dennoch – Dank der liebevollen Unterstützung meiner Familie und FreundInnen hielt die Entscheidung für´s Leben – erstaunlich!

Und ich konnte unaufgeregt, nur hin und wieder unterbrochen von verschattenden Einbrüchen immer wieder ganz im Moment sein und das Leben, das ja – immer – ganz (für mich) da ist, erfahren.

Die Histo von der Brust-OP letzte Woche steht noch aus, und auch die beiden Herde werden wohl noch eine Weile da sein.

Dennoch – ich bin wild entschlossen, mich nicht von Befunden und meinen Stimmungen vereinnahmen zu lassen, meiner Entscheidung treu zu bleiben, und das Leben einfach zu leben, solange ich darf.

Und da ich mir, wie an jedem Geburtstag auch etwas wünschen darf, möchte ich das auch jetzt in buddhistischer Tradition tun:

  • Möge ich mich an meine Entscheidung fürs Leben erinnern, komme da, was wolle.
  • Möge ich mich an meinem Körper freuen, an seiner Lebendigkeit und wie lieb er mir dient und auch an seiner Schönheit.
  • Möge ich mir meine Wildheit, meine Lebendigkeit gönnen, auf dass ich das Lebenslicht in mir erleben kann.
  • Möge ich mit Jupiter (so habe ich den so leuchtend strahlenden Herd in meiner Lunge genannt) in friedlicher Koexistenz leben können.
  • Mögen meine Haare, die post-covid großzügig ausgefallen sind, erneut kräftig sprießen.
  • Möge ich mir meiner Weisheit bewusst sein und sie un-verschämt teilen.
  • Möge ich die Schöpferin in mir zum Ausdruck bringen, sei es im Schreiben, Malen, Tanzen…
  • Möge ich im Frieden sein mit allem, was geschieht.
  • Möge ich lieben und mich lieben lassen,
  • Möge ich oft und oft meine schützische Be-Geist-erung erleben dürfen.
  • Möge ich wissen, dass ich immer heil war, bin und immer sein werde.
  • Möge ich mich freuen am Leben!
  • Möge ich mich freuen am Leben!
  • Möge ich mich freuen am Leben!
  • Mögen alle Wesen glücklich, frei und im Frieden sein.

Der Corona/Krebs – Aufruf zum Selbst-Sein

Der Corona-Krebs – Aufruf zum Selbst-Sein

Mein Krebs wurde erstmals 1997 diagnostiziert, in der rechten Brust, ausgedehnt auf 10×8 cm zeigten Mikroverkalkungen, einem Sternenhimmel gleich, ein niedrig malignes Krebsgeschehen an.

Der erste Chirurg, den ich 3 Tage nach der Diagnose kontaktierte – ein honoriger Universitätsprofessor – machte gleich mal klar: „Da muss Alles weg – die ganze Brust, dann sei ich geheilt.“

Das war der eigentliche Schock – der Verlust meiner Brust mit 41 Jahren. Das wollte ich nicht. Soviel war sofort klar.

Glücklicherweise fiel mir das wunderbare Buch „Brustgesundheit – Brustkrebs“ von Susun S. Weed in die Hände. Dieses Buch wurde zu meiner Bibel. Hier las ich – und das tat ich im Bus, in der Straßenbahn, zwischen den Therapiesitzungen, abends, morgens, überall und immer – dass wir, die von einer Krebsdiagnose betroffen sind, uns Zeit lassen dürfen, zunächst einmal innehalten, nichts tun, auf die innere Stimme hören und diesen Eingebungen folgen.

Das tat ich. Und so fand ich meinen ersten Chirurgen, der mir meine Brust beließ und mich nur von dem betroffenen Teil befreite – mit einer derartigen Kunstfertigkeit und in Liebe zu mir als Frau, sodass schon nach kurzer Zeit nichts mehr zu sehen war. Wunderbar.

Man/frau möge meinen, dass die Zeit um die Krebsdiagnose verschattet war, dunkel, bedrückend. Das war sie nicht. Vielmehr fühlte ich mich in meinen Bewusstsein angehoben. Leben durfte ich endlich, mich zum Zentrum meines Lebens machen, Leben aus mir heraus.

20 Jahre später erhielt ich die nunmehr dritte Brustkrebsdiagnose. Wieder wurden multizentrische Krebsherde gefunden und erneut traf ich ganz klar eine Entscheidung: Ich trennte mich von beiden Brüsten nach nahezu 50 Jahren Zusammenleben.

Und es war gut und richtig. Auch das mit einer gnadenvollen Geistes-Klarheit, die mir jeden notwendigen Seelen-nahen Schritt zeigte.

Dieser Chirurg, diese Chirurgin, dieser Operationszeitpunkt, diese Ernährungsumstellung, dieser spirituelle Weg, diese Ayurvedakur, das Beenden von belastenden Beziehungen, das Zusperren meiner psychotherapeutischen Praxis usw. – all das, entstand aus meinem Innersten.

Und dann vor nahezu zwei Jahren: Corona.

Auch hier war und bin ich ganz klar, was für mich zu tun und zu lassen ist. Auch habe ich keine Angst vor der Krankheit – bei aller Um- und Vorsicht. Ich weiß, dass sie, wie auch mein Krebs, der ja mein Krebs ist, mit mir zu tun hat, mit meiner Lebensweise ebenso wie mit meinem Schicksalsweg.

So weit, so ähnlich.

Es gibt jedoch im wahrsten Sinne des Wortes gravierende Unterschiede.

Ja, ich hatte es auch in Bezug auf meine Therapieentscheidungen wie viele andere, die sich für einen nicht orthodoxen schulmedizinischen Weg entschieden, mit Kopfschütteln, Infragestellen meiner Entscheidungen zu tun, und viele meiner Krebsgeschwister werden deshalb angegriffen, fallen gelassen und manchmal sogar mit dem Tod bedroht – „dann, wenn Sie diese oder jene Therapie ablehnen,  sehen wir uns am Friedhof!“ Wie in der katholischen Kirche wird mit der Verdammnis gedroht, wenn man/frau sich vom einzig wahren Glaubensweg entfernt.

Aber: es war mein Körper, mein Weg und wenn ich mir ein Herz fasste und für mich und meine Entscheidungen eintrat, erfuhr ich oftmals auch Verständnis, Interesse und Respekt – auch von schulmedizinischer Seite.

Das, womit wir es jetzt seit nahezu 2 Jahren zu tun haben, ist ein anderes Kaliber.

Von Anfang an wurde diese Krankheit über Risikofaktoren hinweg generell dämonisiert und Menschen, die versuchten, diese Gefährlichkeit – auch mithilfe von wissenschaftlichen Untersuchungen – zu relativieren, wurden sogleich mit Titeln wie CoronaleugnerInnen, Covidioten, AluhutträgerInnen disqualifiziert und ja auch verfolgt.

Die Gehirne der Menschen wurden beständig mit der vermeintlich allumfassend tödlichen Realität der Erkrankung aller wissenschaftlichen Evidenz zum Trotz infiziert.

Sukzessive kamen Menschen, die gerade noch aufgeklärt, vernünftig zum Geschehen standen, von Sinnen. Sie verloren ihre organisimische Urteilsfähigkeit und letztendlich das, was mein lieber Wilhelm Reich als Wahrheitssinn bezeichnete.

Das – und ich sage das jetzt mal ganz unverblümt – ist das wahre Verbrechen.

Weil ohne diese Basis unserer organismischen Wahrnehmungsresonanz, unserer Einschätzungsfähigkeit, was wahr und angemessen ist, was wir als richtig und falsch für uns erachten, ein gesundes, der (inneren) Körper-Geist-Natur entsprechendes Leben schwer, wenn nicht unmöglich ist.

Die Krebsdiagnose führte mich durch alle Schichten meines verbiegenden Geworden-Seins geradewegs in mein Fundament, in das, was ich wesenhaft bin. Sie ließ mich in eine den Himmel und die Erde verbindende vertikale Ausrichtung kommen.

Und hier findet sich alles Wissen, das für das Jetzt und Hier gebraucht ist – ein Wissen, das aus der Erfahrung der Vergangenheit gespeist ist und den Möglichkeitsraum der Zukunft in sich trägt.

Diese Aufrichtigkeit, dieses Selbst-Bewusstsein, im Sinne eines Bewusstseins meines Selbst gilt es in einer Krise zu erwecken, das ist meine Erfahrung.

Ich könnte auch sagen, es bleibt uns nichts anderes übrig.

Und nein, dieser Prozess ist nicht schwierig, nicht anstrengend, nicht hart, vielmehr ist es eine riesige Befreiung, eine göttliche Freude.

Und hier in der Tiefe unserer Wahrheit findet Vernetzung statt zu Gleich-Gesinnten, Menschen, die gleich schwingen.

Wir ziehen über die Kraft unserer Authentizität Menschen an, wo eine Herzensverbindung, eine Vertrautheit spürbar und ein freudvolles gemeinsames Schaffen möglich ist.

Es tun sich Welten auf, Gutes strömt uns zu, und Neues entsteht.

Ganz einfach!

Meine Brüste – ein Abschiedsbrief

…..geschrieben am 27.2. 2018, eine Woche vor der Ablatio 1)

Meine lieben Brüste,

Bald ist der Tag der Verabschiedung gekommen.

Niemals habe ich mich mit Euch so intensiv beschäftigt, wie jetzt in der Vorbereitung unserer Trennung.

Nein, es ist nicht selbstverständlich, dass Ihr nicht mehr zu mir gehören werdet, wie es nicht selbstverständlich war, dass Ihr zu mir gehörtet.

Noch eine Woche und unsere irdische Beziehung ist Geschichte.

Eine Geschichte, die vor nahezu 50 Jahren begann.

Gut kann ich mich noch erinnern, wie Ihr zu wachsen begannt, und stolz war ich, als ich meinen ersten BH, einen gelben, kleinen mit weißen Punkten, kaufte.

Eigentlich war ich ganz zufrieden mit Euch, wäre da nicht die Tante Anna gewesen, die meinte, ich gerate ganz nach meiner Großmutter. Deren riesige Brüste lagen wie weiße Schwämme auf einem ebenso riesigen Bauch.

Das war ein Schock, das wollte ich nicht. Vielleicht war das ja die erste Abspaltung, die erste Ablehnung, der Beginn einer grundsätzlichen Zurückweisung.

Und dann das Exponiert Sein.

Ich sehe mich, die Brüste verbergend an Baustellen vorbeigehen. Es war eine Initiation ins Frau Sein.

Brüste ist gleich sichtbarlich Frau Sein und das ist nicht gut, weil gefährlich, ausgesetzt dem männlichen Blick, ausgesetzt dem männlichen Zugriff.

Nie spielten sie eine wesentliche Rolle, was die Sexualität betraf. Zu intim das Ganze, nein, rührt sie nicht an.

Dann kam meine Tochter zur Welt und siehe da, sie lehnte meine linke Brust ab, nein daraus wollte sie nicht trinken. Da fühlte ich mich als Versagerin, wusste ich doch, dass es unbedingt zu einer Mutterschaft dazu gehört, das Kind über die Brust zu nähren.

Ihr lieben Brüste: Ich habe Euch wahrlich nicht gut behandelt, war weder stolz über, noch lieb zu Euch. Wären da nicht die beiden Krebsdiagnosen gewesen mit all den Behandlungen, die mir eine Beschäftigung mit Euch abverlangten, hätte ich Euch nie bewusst berührt und liebgehabt.

Jetzt, wo ich Euch mit einem Abschiedsblick ansehe, tut Ihr mir leid, das habt Ihr nicht verdient, sterben zu müssen vor der Zeit.

Es ist eine Opfergabe, Ihr seid eine Opfergabe und ich bitte Euch um Euer Einverständnis, dass diese Trennung unser „Ding“  hier ist, unsere gemeinsame Sache.

Und vielleicht kommen wir ja nochmal zusammen, als ein gutes Dreieck – Ihr zwei und ich – voll zu mir gehörig, mich erwürdigend und mit Brust-Potenz in einem weiblichen Sinne ausgestattet, nicht in einem pervertieren Verständnis von Macht und Attraktivität, sondern mit dem vollkommenen, würdigen Ausdruck meiner (unserer) Frauenmacht.

Von mir ausgehend, (mich) nährend und erkraftend.

Ja so soll es sein!

1)das Bild zeigt mich, meine liebe Tochter stillend am 2. Tag nach ihrer Geburt

Krebs Leben – die Kombination der Möglichkeiten

Das Buch von Miriam Reichel ist ein Schatz!

Es ist nicht nur ein Bericht über eine spektakuläre Heilungsgeschichte, die im 1. Teil beschrieben wird, und bleibt nicht nur bei einem persönlich getönten Erfahrungsbericht, sondern geht weit darüber hinaus.

So findet sich in 2/3 des Buches eine auf profunden Daten beruhende Analyse zu vielen Aspekten um eine Krebserkrankung und ihre Therapie.  Es zeigt damit auf, wie viel Unwissenheit im Zusammenhang mit Krebs und seinen Therapiemöglichkeiten nach wie vor herrscht.

Es gibt damit eine grundlegende Basis für einen bewussten, eigenverantwortlichen Weg,  der aus einer Kombination der Möglichkeiten besteht. Erholsamer weise verdammt die Autorin weder das eine – die Schulmedizin – noch das andere – die alternativmedizinischen Möglichkeiten.

Es sollte unbedingt am Beginn des Krebsweges und vor einer Therapieentscheidung gelesen werden, weil die hier gegebenen Informationen entscheidend sein können, ob und auch wie man den einen oder anderen Weg antritt.

Bereits im persönlichen Bericht, finden sich viele wertvolle Hinweise und Botschaften, von welchen ich die für mich Wesentlichsten beschreiben will.

Die aller wichtigste ist wohl folgende:

1. „Meine eigene Geschichte ist der beste Beweis dafür, dass Krebs heilbar ist.“

Wohlgemerkt handelte es sich um ein Morbus Hodgkin Lymphom in Stadium 4b, mit einer Überlebensprognose von 8 Wochen.

  1. Man braucht, um den Weg zu gehen, einen kundigen Begleiter, der gleichzeitig die Verantwortung ganz bei dem betroffenen Menschen lässt. Das hatte Miriam in ihrem homöopathischen Arzt.
  2. Beginne da, wo Du beginnen kannst, eigenständig. Das war bei Miriam ihre Kohl- Diät, die sie über lange Zeit aufrecht erhielt.
  3. Halte Dich fern von Menschen, welche ihr – unüberprüftes – Wissen ungefragt an Dich heran tragen! Halte Dich fern von Menschen, welche Dich mit mitleidigen Augen betrachten, die nicht an eine Heilung glauben und Dir mit Drohungen und moralischen Appellen („Bist ja Mutter von kleinen Kindern“) nahe treten!
  4. Orientiere Dich an Krebsgeschichten mit einem wirklichen Happy End!
  5. Bevor Du in einen diagnostischen, oft auch belastenden Prozess eintrittst, sei Dir bewusst, welchen Therapieweg Du auf der Basis dieser Diagnose einschlagen willst!
  6. Sei Dir Deines persönlichen Heilungsziels bewusst! Miriam wollte nicht einfach ein paar mehr Monate überleben, sie wollte wirklich gesund sein mit allem, was dazu gehört.
  7. Stell Dir die Frage, was Du von Deinem Leben wolltest und was Du gerne verwirklichen willst!
  8. Nimm die Diagnose wahr, nicht jedoch alles was dran hängt – Statistik, Stigma, Prognose!
  9. Forsche, forsche, forsche – mach´ Deinen Krebs zu Deinem Forschungsprojekt!
  10. Wähle Ärzte, mit welchen ein dialogischer Prozess stattfinden kann, die Dich würdigen in Deiner Expertise, in Deiner Gründlichkeit und dies nicht als nervende Lästigkeit abtun!
  11. Lege Deine Marschroute fest und bleibe ihr beharrlich treu!
  12. Untersuche Deine grundlegenden Überzeugungen zum Beispiel zum Krebs und zum Tod und korrigiere sie, wenn sie einer Heilung nicht förderlich sind!
  13. Nicht jeder Krebs muss eine psychische Ursache haben, lass´ Dich also nicht beirren, wenn es Dir gut geht in Deinem Leben, Du mit Deinem Mann und Deiner Familie glücklich bist, was nicht heißt, dass Du etwas verändern kannst im Sinne eines Dir gemäßen Lebens! Miriam hat Ihre Juristerei an den Nagel gehängt, und ist in ein weit entferntes Land gezogen, wo sie mit ihrem Pferd – wunschgemäß – über den Strand galoppieren kann und Bücher schreibt.
  14. Sei nicht zu zimperlich mit Dir selbst in den Anforderungen, z.B. der disziplinierten Einhaltung der Diät!

Im 2. Teil geht Miriam anhand von ausführlicher Dokumentation von Forschungen auf  sehr wesentliche Fragen ein – z.B. welche Wechselwirkungen sich aus der Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln, Vitaminen usw. mit einer Chemotherapie ergeben.

Sie geht weiters auf Nahrungsmittel und für Krebs spezifische Diäten,   wie die Budwig oder Gerson Diät ein, und wie sie eine heilsame Wirkung entfalten können.

In Bezug auf die Chemotherapie werden Tests für Tumorprofile vorgestellt, mit welchen man feststellen kann, welche im konkreten Fall überhaupt wirksam sein können.

Es werden die Nebenwirkungen ebenso beschrieben wie Möglichkeiten, sie gering zu halten. Alles sehr detailliert, gründlich und übersichtlich.

Es wird beschrieben, wie wesentlich ein basisches Milieu ist und was man dazu beitragen kann.

In diesem Sinne ist es auch ein Nachschlagwerk, in dem man sich immer wieder vertiefen und damit neu motivieren kann.

Also, ich bin voll begeistert, wie man wahrscheinlich schon festgestellt hat.

Ich möchte nur einen Aspekt erwähnen, der mir wichtig erscheint bei der Lektüre:

Auch wenn alles Sinn macht, was Miriam zu ihrer Heilung unternahm, es sind wohl fundierte Entscheidungen, die da getroffen wurden und das wird auch sehr schlüssig dargelegt, ist es dennoch ihr Weg. Jeder Krebs ist anders und vor allem jeder Mensch ist anders. Bei Miriam war der Krebs ein existentiell bedrohliches Geschehen – es ging ums Überleben. Da geht es nicht darum, ein bissl von dem und ein bissl von dem zu machen, sondern um radikale Maßnahmen.

Bei mir selbst handelte es sich um einen langsam wachsenden Tumor, ein In situ Carcinom. In meiner subjektiven Kranheitstherorie war das Krebsgeschehen ein Ausdruck der erbarmungslosen Härte gegen mich und meine Bedürfnisse. Jahrelang hielt ich mich an diverse, „gesunde“ Diäten und befolgte sie mit großer Strenge.

Für mich war die Krebsdiagnose ein Aufruf, mehr Milde und Mitgefühl im Umgang mit mir walten zu lassen, damit endlich Ausdehnung stattfinden kann. Eine weitere strikte Diät hätte mein Lebenslicht gehörig gedimmt und mich in ein lichtloses Verließ gebracht, weshalb zwar eine grundlegende Orientierung an einer gesunden Ernährungsweise – in meinem Fall die ayurvedische Ernährung – gut war, nicht jedoch eine radikale Einschränkung, wie sie Miriam vornahm.

Ich möchte dies zu bedenken geben, weil ich weiß, dass Menschen, die in einer Krebs-Not sind, sich allzu schnell einem fremden Weg anschließen, wenn er einmal zum Erfolg geführt hat – für jemandem in einer anderen Situation, mit anderen Voraussetzungen.  Oder wie Miriam selbst sagt: „Jeder Weg kann der richtige sein, wenn er selbstbestimmt und aus Überzeugung beschritten wird – und nicht aus Unwissenheit und Angst.“

Das Buch endet mit einer wunderschönen, märchenhaft anmutenden wahren Geschichte von einem Mann, der Heilung erfuhr, indem er sich von der Welt zurückzog, ein rhythmisches, immer gleich bleibendes Leben führte, indem er täglich literweise Säfte trank, viel lief und an seinem (Lebens-)Projekt arbeitete.

Wie das ganze Buch zeigt diese Geschichte, dass alles möglich ist – wenn wir die Verantwortung für unsere Heilung übernehmen, wenn wir beharrlich und treu unseren Heilungsweg gehen, und wenn wir uns nicht vom Außen und dem, was über den Krebs so gedacht wird, beirren lassen.

Das Buch ist ein Booster für Mut, Tatkraft, Ernsthaftigkeit, Genauigkeit und auch einer Prise Strenge, wie sie nur jemand äußern darf, der es mit einem derartigen Krebsgeschehen zu tun hatte.

Das Buch entfaltet so viel Kraft, weil es von einem wirklichen Krebsprofi geschrieben ist, von einer Frau, die weiß, wovon sie redet, weil sie es selbst erlebt hat und den  Weg gegangen ist. Es ist in diesem Sinne wirklich ein „verständnisvoller Ratgeber, geistiger Leitfaden und seelische Unterstützung. “

 

Danke liebe Miriam für dieses wertvolle Werk!

 

Die wissende Lücke….

Der folgende Artikel ist erstmals im  FocusingJournal (Nr. 24, S. 20-23, 2010) erschienen. Er ist die Zusammenschrift eines Vortrages im Rahmen einer Psychoonkologietagung

Die wissende Lücke.

Zur Weisheit des Organismus im Leben mit Krebs

von Beatrix Teichmann-Wirth

Es war vor einem Jahr, im September 2008[1], als ich einer Einladung folgte, im Rahmen eines Psychoonkologie-Kongresses einen Vortrag zu halten. Ich wählte den oben genannten Titel.

Mein Vortrag sollte am letzten Tag des Kongresses stattfinden. Ich hatte in den Tagen zuvor Gelegenheit zu erfahren, wie sehr auch die Psychoonkologie – bei aller Anreicherung durch Menschlichkeit – in naturwissenschaftlichem Denken befangen ist.

Referiert wurden Ergebnisse basierend auf Untersuchungen an vielen Menschen. Die Psychoonkologie stellte sich auf diesem Kongress als eine „third person science“ dar, wie Gendlin all jene Wissenschaften bezeichnet, in denen die Person, das Subjekt, herausfällt. Dabei habe ich, inspiriert durch die Lektüre des Buches „Focusing und Philosophie“ (Wiltschko, 2008) die „Person“ vermisst.

Es war eine große Herausforderung, mich als diese „Erste Person“, die selbst von der Diagnose Krebs zweimalig betroffen war, zu zeigen. Der vorliegende Beitrag ist eine Abschrift meines Vortrages. Über große Strecken habe ich den Wortlaut des Gesprochenen beibehalten, um der Lebendigkeit des Moments Rechnung zu tragen.

Heute morgen, als ich mich entschieden hatte, zu Hause zu bleiben, um mich noch auf meinen Vortrag vorzubereiten, erhielt ich eine SMS von Birgit Konteh, einer Freundin und Mitreferentin: „Deinem Thema gemäß musst du dich wohl ganz persönlich heute der ‚Lücke’ aussetzen, um wissend zu werden – eine Absicherung gibt es nicht…“

Das hat mich sehr berührt. Eigentlich wäre es ja wirklich konsequent, jetzt die Situation hier zu „beantworten“. Das bräuchte Mut – Mut mir meine Zeit zu nehmen, auch wenn sie die mir zugestandenen 20 Minuten überschreitet; Mut für gute Bedingungen zu sorgen, also beispielsweise die Sessel umzustellen und mich um einen guten Platz zu kümmern; es bräuchte Mut zur Blöße, mich nicht hinter meinen Konzepten und Vorstellungen zu verstecken. Es bräuchte Mut, zu verzichten – darauf zu verzichten, alles, was ich an Gescheitem vorbereitet habe, auch vorzubringen. Letztlich bräuchte es Mut, dem Prozess zu folgen.

Durch all das ist auch ein krebskranker Mensch herausgefordert – mit der Notwendigkeit, für sich zu sorgen, und dem Mut, für sich einzutreten und oftmals auch Tabus zu brechen, wenn man die engen Grenzen der Konvention sprengt.

Und zuallererst bräuchte es Vertrauen – Vertrauen, dass alles da ist.

Ja, das bräuchte es jetzt: mich dieser wissenden Lücke auszusetzen, es darauf ankommen zu lassen, was sich jetzt offenbaren will – und – ich fühle, dass ich mich das jetzt gar nicht so ganz traue in diesem Kreis der vielen klugen Menschen.

So will ich sanft-mütig sein, mir und dem Ganzen Genüge tun und das geben, was mir jetzt angemessen erscheint.

So will ich im Sinne des Vortragstitels die noch verbleibenden Wissenslücken nicht mit Inhalten „stopfen“, sondern die „wissende Lücke“ offenhalten und in der Öffnung eines Erfahrungsraumes die Möglichkeit geben, mit diesem Wissen, das hinter einem vermeintlichen Unwissen liegt, in Berührung zu kommen.

Ich möchte Sie also einladen, mir mit einem – ich nenne es – „Ganzkörperohr“ zuzuhören.

 

Von einem inneren Ort

Der Ort, von dem aus ich spreche, ist ein innerer Ort. Es ist ein Platz, an dem ich jetzt, nach 10 Jahren Leben mit Krebs, angekommen bin. Das, was ich sage, gründet auf intensiver Selbsterforschung in dieser Zeit. Ich sage es im Vertrauen darauf, dass, wie Carl Rogers sagte, das Persönlichste das Allgemeinste ist.

Ich spreche auch von einem Ort, der meiner Krebserkrankung sehr dankbar ist, weil sie mir ermöglicht hat, mich auf den Weg zu machen und herauszufinden, dass es ein Leben hinter dem Erfüllen von Ansprüchen und äußeren Bewertungen gibt, mein Leben neu auszurichten nach diesem unsicheren und doch so ganz sicheren inneren organismischem Wissen.

 

Zwei „Felt Shifts“ – zwei Entscheidungen

Der Ausgangspunkt meiner Erkenntnisse über das Vorhandensein eines umfassenderen Wissens waren zwei Erfahrungen im Zuge meines Krebs-Ganges: Die erste Diagnose war zunächst ein großer Schock, der massive Angst in mir auslöste. Zugleich bemerkte ich, dass mein Bewusstsein angehoben war, sich mein Blick weitete und ich plötzlich sehr klar wusste, was jetzt zu tun ist. Diese unerschütterliche Gewissheit war mir unerklärlich, aber sie sagte mir unmissverständlich: „Ja genau, das tue ich jetzt. Von diesem Chirurgen lasse ich mich operieren, zu diesem Zeitpunkt, in diesem Krankenhaus.“

Die zweite eindrückliche Erfahrung: Nach der zweiten Brustkrebsdiagnose und im Zuge der starken unvorhersehbaren Nebenwirkungen der Bestrahlung erkannte ich, diesmal während meiner täglichen Meditation und wieder zweifelsfrei, eindeutig, mit absoluter Gewissheit, dass es darum geht, meine psychotherapeutische Praxis zuzusperren – was ich dann auch für eineinhalb Jahre tat.

Beide Erkenntnisse waren körperlich stark spürbar, im Sinne einer Öffnung, einer Erdung, so wie ein Ruck nach unten durch den Körper. Eugene Gendlin, nennt das „felt shift“.

Es gibt also etwas, das mehr weiß als ich, und dieses Etwas äußert sich, wenn ich ihm Raum gebe, in spürbaren körperlichen Reaktionen.

 

Die zweifache Realität

Im Hinblick auf die Realität einer Krebsdiagnose sind zwei Aspekte bedeutsam:

Durch den Einbruch der Diagnose in die Lebensrealität, in das Festgefügte, das immer schon so Gewusste eröffnet sich eine Lücke, und durch diese Lücke scheint ein Bewusstseinslicht – wenn es gelingt, sie offenzuhalten, ihr Raum und Zeit zu geben und somit hinter die Angst, die Wut, die Verzweiflung, das Anklagen und Hadern zu gelangen.

Das ist die eine Realität: die Eröffnung eines nicht determinierten, freien, offenen Bewusstseinsfeldes.

Die zweite, ebenso wesentliche Realität ist die äußere: die Reaktionen der Angehörigen in ihrer verständlichen Angst und Sorge, aber auch die Zugangsweisen der Betreuer, der Ärzte, die die Diagnosen mitteilen, und all der Betreuungspersonen, die rund um die Diagnosestellung an den Patienten herantreten.

Da gibt es also eine Lücke, einen Einbruch in das Strukturgewordene durch die Diagnose, ein, wenn auch erschrecktes Erwachen. Und dann gibt es eine Maschinerie, einen Ablauf, der eigenen Gesetzen folgt und der aus sich heraus erklärt auch verständlich ist.

Der von einer Krebsdiagnose betroffene Patient wird mit einer Vielzahl von Informationen konfrontiert, er ist vielen für ihn unbekannten Situationen ausgesetzt, und dies alles oftmals unter großem Zeitdruck. „Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit!“, ist eine der wesentlichen Botschaften. Alles drängt, zwingt, verengt.

Was bewirkt das? Die Lücke, gerade geöffnet, schließt sich erneut, und der Mensch kommt im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr vor.

Beim Schreiben merke ich, wie ich mich eingeladen fühle zu werten: „Ja, aber das ist doch auch notwendig und das muss man ja von ärztlicher Seite auch so machen“. Das ist es gerade, was ich vermitteln möchte: dass es hier nicht um ein Entweder-Oder geht.

Was ich sagen möchte, ist: Da gibt es ein tieferes, höheres Wissen darüber, was gut und heilsam für mich ist und welche Menschen, Orte, Behandlungsmaßnahmen von meiner Seele begrüßt werden. Dieses Wissen ist, so behaupte ich, in jedem Menschen vorhanden.

 

Mein „Spür-Wissen“ weiß mehr als ich

Dieses Wissen ist ein aus dem Körper Kommendes, es ist ein Spür-Wissen. Es ist der „Felt Sense“, dieser im Körper gefühlte Bedeutungsgehalt, der immer abrufbar ist. Man kann es auch Körperintelligenz nennen oder organismische Weisheit, zelluläres Wissen, Lücke des Impliziten, Intuition oder gefühltes Wissen.

Es ist ein Wissen, das über das, was ich weiß, hinausreicht. Es ist neu, noch nie gedacht, überraschend und ganz gewiss. Es ist ein Wissen, dass alle Umstände, alle Fakten, alle relevanten Bezüge einschließt. Es schließt die vergangenen Erfahrungen ebenso ein, wie auch die weiterführenden Schritte, die mein Leben auf „richtige“ Weise fortsetzen.

Wie Gendlin sagt: „Der Felt Sense hat in sich implizit eine ganze Menge Verbindungen“ (in Wiltschko 2008, S. 88). Carl Rogers (1959/1987) nennt dies „organismische Bewertung“ – im Gegensatz zur Bewertung, die aufgrund von Konzepten und äußeren Bewertungskriterien erfolgt.

Mein Organismus weiß, und er weiß mehr als Ich.

 

Innehalten, um sich zu spüren

Damit sich dieses Wissen entfalten kann, braucht es zuallererst Zeit-Räume – „Frei-Raum“ wird das im Focusing genannt. Ein Verweilen mit dem, was jetzt ist. Und das ist ja auch ganz natürlich. Wenn wir uns verirren, wenn unsere Landkarte des Lebens nicht mehr gilt, wie das bei einer Krebsdiagnose der Fall ist, halten wir zunächst an, wir halten inne, wir folgen sodann unserer Intuition.

Es gilt also, den Menschen einzuladen innezuhalten, mit sich in Fühlung zu kommen, sich in seiner inneren Antwort auf die Komplexität der Situation wahrzunehmen. Diese Antwort wird sich vielleicht nicht sofort einstellen, und dann ist sie da, diese Lücke des vermeintlichen Unwissens.

„Wenn man eine ganz komplizierte Situation hat, die noch nie jemand ganz genau so gehabt hat, und daher das, was in der Blaupause vorgesehen ist, nicht mehr passt – es geht nicht mehr, so wie gewohnt weiterzuleben, und das, was geht, weiß man noch nicht; der Atem ist angehalten und dann impliziert der Körper einen nächsten Schritt. Der ist so wie Ausatmen. Und doch ist er ganz neu“ (Gendlin in Wiltschko 2008, S. 119).

Wir sind nicht gewohnt, unser Inneres, unseren Körper zu befragen. Wir versuchen viel eher, über Gedanken und innere Dialoge herauszufinden, was richtig ist zu tun.

 

Verweilen im Un-ge-wissen

Verweilen im Ungewissen braucht Vertrauen, Vertrauen eben in jenes dahinterliegende Wissen. Gendlin sagt einen schönen Satz: „Es ist immer jemand drinnen“ (in Wiltschko 2008, S. 136).

Da ist immer jemand drinnen hinter dem Krebs, im Krebs, um den Krebs herum. Und diese Person, dieser Mensch, den gilt es aufzusuchen, dieses Ich, das den Krebs hat. Oft scheint es so, als ob nur der Krebs da wäre oder nur die Gefühle zu der Diagnose.

Krebs jedoch war zumindest für mich eine wunderbare Möglichkeit zu erfahren, dass ich mehr bin als meine Geschichte, meine Rollen, meine Definitionen, meine Beziehungen, mein Beruf, mein Determiniert­sein, und selbst mehr als meine Erkrankung. Dahinter, darüber hinaus, darunter bin ich, wer ich wesenhaft bin.

 

Was braucht das von uns Betreuern/­Therapeuten/Ärzten?

Zuallererst die Bereitschaft, mit sich in Fühlung zu kommen, ebenso innezuhalten, mir meiner Gefühle, meiner Gedanken, meiner Konzepte zu dieser Diagnose dieses Menschen bewusst zu sein. Das ist nicht analytisch zu erfassen, sondern nur im Wahrnehmen des Felt Sense, dieses körperlichen Gespürs über das Ganze, über die ganze Situation zu erfahren.

Es braucht sodann eine Bereitschaft, sich dem Kontakt jetzt zu öffnen, in Verbindung mit diesem betroffenen Menschen zu treten und mich von ihm anstimmen zu lassen, jetzt, im Bewusstsein, dass es nicht meine Gefühle sind, sondern die des Patienten, welche ich über meine „organismische Resonanz“, wie Wiltschko (1992) es nennt, über diese tiefe körperliche Empathie in mir wahrnehme. Wilhelm Reich (1948/1989) nannte das „vegetative Identifikation“.

Dann ist es möglich zu spüren, ob der Patient die Behandlungsmethode ablehnt, weil er aufgrund von Mitteilungen oder Vorurteilen Angst vor ihr hat, oder weil dieses tiefe Etwas in ihm weiß, dass sie ihm nicht zum Heil gereicht. Dies gilt es auszuhalten – auch im Wissen, dass das Ja des Patienten zur Therapie ein heilsamer Faktor ist (Teichmann-Wirth, 2002).

Angereichert durch die fachlichen Informationen kann sodann ein Kreuzen stattfinden zwischen dem Felt Sense und den relevanten Fakten. Und auf dieser ganzheitlichen Basis kann dann das Verhalten „implizit gesteuert“ sein[2].

 

Der nächste kleine Schritt

Eigentlich ist alles ganz einfach. Es fängt ganz basal und damit banal anmutend an. Es ist wie mit dem Sitzen auf diesen Sesseln hier im Raum. Da gibt es einen Sessel, der mich mit seinen Lehnen begrenzt, und es gibt eine Freiheit, eben in dieser Begrenzung die jetzt stimmigste Haltung einzunehmen. Jene Haltung, die ein gesamtorganismisches Ausatmen auslöst: Ja, genau so ist es richtig. Das ist die Freiheit in der Determiniertheit.

Gendlin sagt, der Körper impliziert den nächsten Schritt. Dieser nächste Schritt trägt den Lebens-Prozess weiter; das ist ganz selbstverständlich, weil das Leben das so will oder, um mit Gendlin zu sprechen: „Das Ziel ändert sich, aber dass man leben will, ändert sich nicht. Es will leben, von Anfang an“ (in Wiltschko 2008, S. 120).

Krebskranke Menschen sind oft mit einer Vielzahl von Ratschlägen konfrontiert und auch mit der angstgetönten Überzeugung, dass sie ihr Leben zu ändern haben und zwar radikal und sofort. Das ist oft nicht zu machen.

Aber was ich tun kann, ist, zunächst dieses Nicht-mehr-weiter-Wissen, diese Lücke zu würdigen, sie da sein zu lassen und mich dann zu fragen, was ein guter nächster, vielleicht kleiner Schritt wäre.

Mit jedem kleinsten angemessenen, guten Schritt bekräftigen wir unsere Lebenskompetenz und fördern eine lebensbejahende Qualität. Um mit Le Shan (1989) zu sprechen: All diese Schritte sind wie Noten unserer Lebensmelodie, einer Melodie, die wir so vielleicht noch nie vernommen haben und in der immer wieder neue Harmonien, Obertöne und Bassstimmen hinzukommen, die aber immer unsere ureigenste Melodie ist.

In all der Endlichkeit, die uns im Leben mit Krebs so bewusst wird, eröffnet der gute Schritt, das „stimmige Jetzt“ ein zeitloses Fenster, in welchem die zeitliche Grenze unbedeutend wird.

Es ist eine große Herausforderung für den (psychotherapeutischen) Begleiter, immer wieder für die Bedingungen zu sorgen, die ermöglichen, dass die nächste Gedichtzeile im Leben des von Krebs betroffenen Menschen geschrieben werden kann. Dies erfordert eine Würdigung des Stockens, eine Würdigung des Steckenbleibens und des Noch-nicht-Wissens. Es erfordert Vertrauen. Vertrauen in dem von meinem Lehrer Michael Smith ausgedrückten Sinn, der einmal zu mir sagte: „Life is bigger than you.“ Letztlich geht es um ein tief verankertes Wissen, dass das Leben nicht mit dem Tod des Körpers endet, sondern sich immer weiter über den physischen Tod hinaus fortsetzt, sich weiter-lebt.

 

Literatur

Le Shan, L. (1989). Diagnose Krebs. Wendepunkt und Neubeginn. Stuttgart: Klett-Cotta

Reich, W. (1948/1989). Charakteranalyse. Köln. Kiepenheuer&Witsch

Rogers, C.R. (1959/1987). Eine Theorie der Psychotherapie, der Persönlichkeit und der zwischenmenschlichen Beziehungen. Entwickelt im Rahmen der des klientenzentrierten Ansatzes. Köln. GwG

Teichmann-Wirth, B. (2006). Von der Seele begrüßt. Das Ja zur Therapie als heilender Faktor. Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (Hrsg.), Mitteilungen der Sanitätsverwaltung, 107, 11, 9-13

Teichmann-Wirth, B. (2008 ). (M)eine Krebserkrankung. Eine personzentrierte Wegbeschreibung. In M. Tuczai, G. Stumm, D. Kimbacher & N. Nemeskeri (Hrsg.). Offenheit und Vielfalt. Wien: Krammer

Wiltschko, J. (1992). Von der Sprache zum Körper. Focusing Bibliothek. Bd 2. Würzburg: DAF

Wiltschko, J. (Hrsg.) (2008). Focusing und Philosophie. Eugene T. Gendlin über die Praxis körperbezogenen Philosophierens. Wien: Facultas

 

 

 

 

 

[1] Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Psychoonkologie (ÖGPO) vom 3.-6.9. 2008 in Baden bei Wien

[2] „Kreuzen“ und „implizit gesteuert“ sind zwei Termini in Gendlins körperbezogener Philosophie (siehe Wiltschko 2008, S. 102ff)

Mein Krebs ist kein böser….

Bösartig nennt man gemeinhin die Krankheit Krebs.

Bösartig, schädlich und zerstörerisch. Er gilt als der Feind im Inneren, von dem eine existentielle Bedrohung ausgeht. (Siehe dazu auch das wunderbare Buch von Susan Sontag „Krankheit als Metapher).

Überhaupt wird so getan, als gäbe es diesen einen Krebs, dessen Gesetzmäßigkeiten über alle individuellen Bedingungen hinweg sich unweigerlich in immer der gleichen, letztlich todbringenden Art vollziehen.

Dem steht gegenüber, dass Krebs nicht eine Krankheit ist, und die Erfahrung zeigt, dass es selbst bei ein und demselben Krebs und ein und derselben Behandlung und ein und derselben Prognose, verschiedene Ausgänge gibt.

Diese Konnotation von Krebs hat weitreichende Folgen. Es ist der bewusstseinsmäßige Boden, auf den eine Krebs-Diagnose fällt, ein Boden, der irrational, undifferenziert einen unheilvollen Weg vorzeichnet, wo das Schicksal von vornherein besiegelt scheint. Die natürliche Reaktion ist verständlicherweise eine Abwehr, eine Wegbewegung, ein Wegsehen, ein Weghaben wollen –  so schnell wie möglich.

Nein, bösartig ist er nicht, mein Krebs. Schon im Ultraschall schaut er nicht aggressiv aus. Ja, da sind einige graue Schleier, wo es, wenn es eine harmlose Zyste wäre, ganz schwarz sein müsste. Das ist eine Andeutung, ein An-Zeichen.

Er, mein Krebs, lädt mich ein, hinzuschauen auf das, was nicht in Ordnung ist, was eine Eigendynamik entwickelt hat, etwas, was sich aus dem Ganzen herausgelöst hat.

Nein, (noch) wuchert er nicht, nein, noch überschreitet er nicht Grenzen und dringt  ins umliegende Gewebe. Er ist in situ – „unmittelbar am Ort“.

Still zeichnet er, wie man diesen Prozess nennt:  „Schau hin“, sagt er mir, „was aus der Ordnung gefallen ist, was in Deinem Leben wuchert, wo Du das ordnende Zentrum verloren hast, wo Du die Verbindung zur inneren (spirituellen) Heimat verloren hast, die Wurzeln, das Stillsein, wo zu viel Aufruhr, Veräußerung, Ent-Fremdung, Peripherie und Ent-Eignung stattfindet.

„Hej, da gibt es einen Prozess“, sagt er mir, „um den solltest Du Dich kümmern.“ Und das ist eigentlich ganz einfach – nichts Großes, in der Zukunft liegendes.

Step by Step: Informationen einholen, die wissende Lücke offen lassen, mit Allem sein, was stattfindet, mit den Emotionen, den Up and Downs, den Gewissheiten und Unsicherheiten, all die Therapieoptionen bewegen, sie vor-kosten, gleich-gültig da sein lassen, sich von Drängern entfernen, zu mir kommen, mich in meiner Antwort auf diese Situation wahrnehmen, auch die vielen Konzepte, dass ich eine bestimmte Maßnahme auf keinen Fall ergreifen darf, oder eine andere auf jeden Fall machen muss.

Dann der organismischen Wahl Gehör schenken, diesem Ja meiner Seele, wo sich mein Inneres weitet und ein Interesse an der Erfahrung, die ich mit dieser Therapiewahl machen werde, spürbar ist.

Und dann die Erfahrung machen, sie sodann verdauen und integrieren, mir Zeit und Raum nehmen, ungestört, so lange, wie es braucht.

Und dann freudig den nächsten Lebens-Schritt tun, welcher er immer ist.

So gibt uns das Leben die Richtung vor.

Und der Krebs, mein Freund, ist dabei eine Wegmarke.

 

P.S. Zur wissenden Lücke siehe meinen Artikel (2010). Die wissende Lücke. Zur Weisheit des Organismus im Leben mit Krebs. In FocusingJournal Nr. 24, S. 20-23).

 

 

Taumel Taumel….klingelingling

Welch´ eine Zeit! Keine Spur von der viel gerühmten Besinnlichkeit und Stille.

Ein Rauschen und Tosen ist das seit dem ersten Krebsverdacht, einen Tag vor meinem Geburtstag.

Seit dem geht´s rund.

Mein ohnedies schon zur Aufregung neigendes Nervensystem ist außer Rand und Band.

Ja, ich weiß, grad dann sollte ich keinen Kaffee trinken, nicht mal einen einzigen. Besänftigende Kräutertees wären da indiziert. Stattdessen nütze ich jede Gelegenheit  – Untersuchung, Befund abholen, Bewilligung hinbringen, um mich in das nette Kaffee Franze http://xn--kaffeersterei-omb.wien/am Rande des Kutschkermarkts zu setzen.

Wie eine Oase ist das, und da könnte ich mir gleich einen zweiten bestellen, was ich natürlich dann doch nicht tue.

Ich sollte vieles tun oder nicht tun, wenn ich meinen Ansprüchen gerecht werden will. Natürlich meine Yoga-  und Meditationspraxis konsequent fortsetzen, wie ich es über Jahrzehnte getan habe. In die Stille gehen käme jedoch einer Vollbremsung eines Lastwagens gleich, und so mache ich das jetzt mal nur, wenn es mich wirklich danach verlangt.

Und dann ist es gut und besänftigend, aber nicht, wenn ich gleich einen neuen, mich stressende Auftrag draus mache – dass ich das jetzt wirklich wieder regelmäßig aufgreife, weil es mir doch gut tut.

Auch sollte ich natürlich weiterhin Sport machen, und manchmal zieht es mich auf den Rathausplatz, um meine Runden am Eis zu ziehen. Oft bleibe ich jedoch lieber zuhause, wo kein Wind und die Masse der Menschen mich noch mehr durcheinander bringt.

Ja, da gibt es so einiges, was nicht meinen hehren und auch wohl erprobten Anforderungen an mich gehorcht.

So ist das jetzt.

Sehr anders ist es, als es bei den letzten beiden Malen war, als ich mit einer Krebsdiagnose konfrontiert war, und ich spüre auch eine leise Enttäuschung (über mich) und ein Bedauern, dass es mich diesmal nicht sogleich an diesen inneren Ort bringt, wo es still und zentriert ist.

Diese Vor-Stellung, dass es so sein muss, damit es heilsam ist, möchte ich jetzt einmal hingeben und mich dem (jetzt halt reißenden) Strom der Erfahrung überlassen – im Vertrauen, dass alles gut ist, so wie es ist, wenn man es da sein lässt, oder wie mein lieber Lehrer Michael Smith sagte: „Life is bigger than you“ – sowieso.

So will ich jetzt aufstehen, vielleicht den Sauhaufen am Schreibtisch beseitigen, dann vielleicht einen Kaffee trinken, den restlichen Teig zu Vanillekipferl formen – sehr beruhigend! – und dann weitersehen, was ich bis zum heutigen nachmittäglichen Termin bei der Chirurgin noch mache – vielleicht doch raus in die Sonne gehen?

Wenn der Krebs wiederkehrt….

Und wieder war da dieser besorgte Blick beim Ultraschall, das Stillwerden, kein plätscherndes Geplauder mehr, konzentriertes Schauen. „Bin ich gesund?“  Nochmal ein Blick auf die Mammographieaufnahmen. „Das muss ich mir nochmal genauer im Schall anschauen“.

Unklarer Befund, ein Grau, wo ein Schwarz sein sollte. Noch bin ich cool, doch dann, als mir mein lieber Arzt einen Termin beim MR in 5 Tagen gibt, fängt dieser „Zustand“ wieder an, das durcheinander und aus-der-Welt Sein, muss darauf achten,  nicht blind über die Straße zu laufen.

Wie gut, dass mein Mann in meinem Leben ist, den ich sogleich anrufen kann, ihm erzählen, dass ich diesmal nicht beruhigt und entlastet von der Untersuchung komme, wo ich alles benennen kann, was für und gegen einen Karzinomverdacht spricht.

Wie gut, dass sich zwischen mir und dem Röntgenologen mittlerweile eine Art freundschaftlicher Kontakt entwickelt hat. So kann ich ihn – jetzt schon gar nicht mehr cool – gleich nochmal anrufen, Fragen stellen, und er wehrt nicht ab,  ist beruhigend, ohne beschwichtigend zu sein.

Das Schlimmste ist das Warten, da gilt es die Anspannung auszuhalten, die Wenn und Dann´s auszuloten.

Und da gibt es noch etwas, was ich mich fast nicht getraue, einzugestehen. Da ist in einem innersten Winkel meiner Seele eine Sehnsucht, dass es wieder Krebs ist, weil das bedeutet, dass ich wieder „aus dem Verkehr gezogen“  werde, mich um mich selbst drehen muss und darf.

Offenbar ist das in den nahezu zwanzig Jahren nach meiner ersten Diagnose noch immer nicht selbstverständlich. Noch immer braucht es eine derartige – Not-Wendigkeit, um mein Leben radikal mir gemäß gestalten zu dürfen. Unnötiges auszuräumen, wie zum Beispiel einem von vielen inneren Ansprüchen gehorchend sechs verschiedene Kekssorten backen zu müssen – generalstabsmäßig geplant – um die ganze große Familie damit zu beglücken, dort und da Geschenke zu kaufen, Basare zu besuchen, weil FreundInnen dort ausstellen – hetzen, unterwegs sein.

So ist die Sehnsucht nach einer drastischen Diagnose die Sehnsucht nach der Möglichkeit eines selbstzentrierten unmittelbaren Seins.

Still.

Eine Sehnsucht, mir zu folgen, von mir auszugehen, eine Sehnsucht nach einem schöpferischen Raum, nach Kreation, nach mir selbst.

Dann kommt der MR Befund und die Biopsie, und nun wird es sehr real – die Diagnose – wieder Krebs, multizentrisch. Und dann spüre ich sie, die Angst – Angst vor dem, was jetzt folgt, Angst vor dem Krankenhausaufenthalt, Angst vor dem Schmerz, Angst vor einer brustlosen Brust.

Und auch, wenn es befremdlich klingen mag –  ich finde es gut, dass ich mittlerweile Angst wahrnehmen kann, zeigt es mir doch, dass ich nicht mehr derart von mir entfernt bin, dass nur die tapfere, mutige Frau am Werk ist, stolz, dass sie etwas wegstecken kann, was andere als eine große Belastung sehen würden, die immer (nur) das Positive sieht und sehen muss, die strahlende Heldin, unantastbar, bewundernswert, weil sie ja so toll damit umgeht.

Wären da nicht die Nächte, in welchen die Dämonen der Angst hochkriechen, wo alles groß und unüberwindbar scheint, wo ich mich fürchte wie ein Kind.

So ist es Vieles, was gleichzeitig in dieser Zeit stattfindet – neuerlich die Sehnsucht nach einer Da-Seins-Berechtigung meiner Selbst, nach einem Selbst-zentrierten Leben, das mich meint, und das es nur zu geben scheint, wenn ich mit einer unmittelbaren Sorge um meine leibliche Existenz beschäftigt bin.

Dann die Angst, Angst vor dem Unkontrollierbaren, davor, dass ich zu unachtsam war mit mir selbst und meiner Gesundheit.

Und es gibt auch das Schöne in dem Prozess – die Fürsorge meiner Ärzte, die  am Abend nach der Biospsie anrufen, um sich nach meinem Befinden zu erkundigen und deren wissendes Bemühen.

Das Gehaltenwerden durch meinen Mann und die Liebe meiner Tochter, das warmherzige Interesse meiner FreundInnen, welches mir zeigt, dass ich wertvoll bin als die, die ich bin, und nicht nur als die, dich ich glaube, sein zu müssen.

Für all dies und dass mir das Schreiben als Ausdrucksmittel zur Verfügung steht und damit eine Möglichkeit der Vertiefung, Klärung und Distanzierung, bin ich  sehr dankbar.