Die Wahl

Wenn ich im Internet surfe, lese ich kein Buch.

Wenn ich Zeitung lese, lese ich kein Buch.

Wenn ich fernsehe, kann ich zwar gleichzeitig stricken, aber nur etwas Einfaches.

Wenn ich etwas höre, kann ich stricken, aber nur etwas Einfaches.

Wenn ich in den Wald gehe und dabei ein, wenn auch wertvolles Interview höre, kann ich keine Vogerln und schon gar nicht die Stille hören.

Wenn ich Zeit mit anderen verbringe, bin ich nicht allein.

Ich schreibe in dieser Zeit keine Blogbeiträge, ich lese nicht, ich stricke meistens nicht, nur manchmal in ganz vertrauten Kreisen.

Wenn ich fernsehe, schreibe ich nicht.

Ich höre keinen Bach, keinen Beethoven und auch keinen Mozart.

Wenn ich mich mit Zores beschäftige, bin ich ärgerlich und nicht freudig.

Wenn ich eine Topfengolatsche esse, esse ich nichts Frisches, Grünes, Belebendes.

Wenn ich in Gesprächen jammere und mich über dies und das ereifere, werde ich danach eher ab- als aufgebaut sein, ich werde beim Rausgehen den Kopf hängen lassen und nicht erfreut in den Himmel blicken – „Ach ist das Leben schön.“

Wenn ich allein schlafe, schlafe ich nicht neben meinem Liebsten.

Und wenn ich neben meinem Liebsten schlafe, schlafe ich nicht allein.

Wenn ich am Sofa gnotze, tanze ich nicht.

Wenn ich die Arbeit von anderen mache, mache ich in dieser Zeit nicht meine Eigene.

So ist alles ganz einfach.

Und ich habe die Wahl.

Und auch wenn jede Wahl grundsätzlich gleich-gültig ist, so weiß ich doch, dass ich meinem Leben Gutes tue, wenn ich Bücher lese, schreibe, tanze, Nährendes zu mir nehme, still bin, lausche und schaue, wenn ich oft allein und zeitweise mit anderen bin.

Dann ist auch das Leben gut zu mir – erhebt und erfreut mich, ich spüre meine Kraft und Lebendigkeit, meine Freiheit und Freude.

Mit jeder guten Wahl – oder wie mein lieber Carl Rogers sagt, mit jeder organismischen Wahl – bekräftige ich mein eigenes Leben.

Ich eigne es mir an.

Mache es mir zu eigen.

Muss nicht mehr gegen Fremdes angehen.

Keine Verbiegung.

Keine mühsame Verdauungstätigkeit von Unverdaulichem.

Öffnen – Schließen

Öffnen – Schließen

Oder vielmehr

Schließen – Öffnen

Schließen – Öffnen

Ganz einfach.

Eine Tür schließen

Eine andere öffnen

Verweilen

Mich freuen,

bis mich ein neuer Ruf ereilt.

La Mamma – der Muttertag

Wahrscheinlich haben wir als Kinder Gedichtchen aufgesagt und Bilder gemalt und waren schon früh auf, um an diesem einen Tag ein Frühstück für unsere Mama, die wir Judy nannten, vorzubereiten.

Und besonders artig mussten wir natürlich auch sein, damit sie sich ja nicht kränkt, da hat unser Vater drauf geschaut.

Wahrscheinlich hat sie sich da gefreut. Dann war er wieder vorbei – der Tag der Mutter.

Am Montag danach war wieder alles wie immer.

Unsere Mutter stand als Erste auf – so gegen halb sechs –, um ihrem Mann die Kleidung von der Unterhose bis zur Krawatte zu richten, und den Tee und das Frühstück zu zubereiten, die Kinder aufwecken, die Schuljause einpacken.

Dann, als alle aus dem Haus waren, hat sie sicher mal ausgeatmet, denk ich mir.

Zusammenräumen, Einkaufen, Mittagessen zubereiten, auf die Kinder warten, zu Hause bleiben, immer zuhause bleiben, weil mein Vater niemals einen Schlüssel mitnahm, sie war ja ohnehin immer da. Den Beruf beim Steffl, wo sie mit ihren geliebten Stoffen zu tun hatte, hat sie längst aufgegeben für die klassische Rolle der Haus-Frau.

Zuhause sein, Hausfrau sein, Nähen, Bügeln, Wäsche waschen, spielen, dem Mann dienen.

In erster Linie dem Mann dienen.

Dafür sorgen, dass die Kinder ruhig sind, wenn er gestresst von der Arbeit heim kommt, Gsch Gsch…schnell ins Kinderzimmer, der Papa braucht seine Ruh.

Wenn er weg war, auf einer seiner Geschäftsreisen hatten die Mädels Kirtag – Fisch essen, aber nur am 1. Tag, damit er ihn ja nicht riechen konnte.

Schwimmen und Eislaufen gehen und keine Angst vor seinen Zuständen und seinem Gebrüll haben.

Ein bisschen frei und frech sein. Weil frech, keck war sie auch – meine Mama – lang vor der Sozialisation als Ehefrau.

Schade eigentlich, hätte sie gerne besser kennengelernt die freche, kleine, pfeifende Erni, die den Kopf noch nicht einzog, immer mal eine Ansage macht, auf den Tisch haut, zurückbrüllt, dass es ihr jetzt wirklich reicht, ihre starken Mädels packt, den Alten sich ausspinnen lässt, ab in die Kondi, Sachertorte mit Schlag und Kaffee oder Kakao und lachen, viel lachen und frei sein.

Schluss mit den Vorwürfen.

Die habe ich ihr schon zu Lebezeiten oft genug gemacht.

Dann hat sie schuldbewusst den Kopf gesenkt und sich flehentlich an ihren geliebten Schwiegersohn gewandt mit der Frage: „Thomas, war ich wirklich so eine schlechte Mutter?“ Das konnte er natürlich nicht wissen und überhaupt hat er sie sehr lieb gehabt. „Aber nein, liebe Erni, Du warst sicher eine gute Mutter.“

Wahrscheinlich würde ich sie nach wie vor im Regen stehen lassen mit der Frage, ärgern würde ich mich, wenn sie immer, wenn ich endlich etwas Unbequemes ausspreche, mit dieser Killerfrage antwortet statt sich anrühren und erschüttern zu lassen.

Jetzt 3 Jahre nach dem 1. Muttertag ohne sie möchte ich sie beantworten, und auch wenn das jetzt vielleicht abgeschmackt klingt: Du hast Dein Bestes gegeben.

Du warst immer großzügig – meintest bei jedem neuen schönen Kleidungsstück, „ich kauf Dir den schönen Rock, kann ja das Geld nicht mitnehmen und geb´ lieber mit einer warmen Hand.

Witzig warst Du und nicht nur, wenn Du den Judy Affen nachgemacht hast.

Und bemüht – bist mit uns, den Zwillingen durch halb Wien zum Eislaufverein oder ins Laabergbad oder täglich ins Amalienbad, damit ich mich beruhige, wenn ich wieder ganz im Schulstress war.

Hast uns die schönsten Kleider genäht und fürs Christkind die Puppen-Röckchen und Jäckchen.

Hast unser Lieblingsessen gekocht und warst auch nicht besonders beleidigt, wenn wir doch wieder nicht oder zu spät nach Hause kamen.

Hast Dich nicht aufgelehnt, schon gar nicht geschimpft oder mich auch nur den Schmerz spüren lassen, als ich mit 16 von einem Tag auf den anderen ausgezogen bin – jetzt selbst Mutter einer sehr selbständigen Tochter weiß ich, wie hart es ist, den Kindern die Freiheit zu gewähren.

Hast mich getröstet, wenn ich es zuließt.

Und hast Dein Schicksal als Zwillingsmutter ohne Murren und Hadern angenommen, wie Du so viele Zumutungen des Lebens angenommen hast.

Danke liebe Mama für Alles.

Und ehrlich: Ich war sicher auch keine gute Tochter. Oft tut mir das leid, auch wenn ich nicht weiß, ob ich jetzt liebe- und verständnisvoller zu Dir sein könnte.

Das musste auch mal gesagt werden.