Nach-Wehen

Meine/unsere Geburt war wahrlich kein Honig-Schlecken.

Heute 69 Jahre danach hab´ ich nochmal dran gedacht, wie das so war damals, als wir beide, meine Schwester und ich, das Licht der Welt erblickten.

Unter Zeitdruck waren sie, die Ärzte damals, im Streik und da passte eine Zwillingsgeburt, auch wenn meine Mutter uns tapfer ohne Kaiserschnitt zur Welt brachte, so gar nicht herein.

Dann war ich draußen – „Die Erste ist ein Mädchen“ sagten sie zu meiner Mutter, die von einer Zwillingsschwangerschaft nichts wusste.

Meine Schwester ließ sich Zeit, da mussten sie mit härteren Bandagen arbeiten, draufsetzen auf den Bauch, dass was weitergeht. Dann zwanzig Minuten später war auch sie da.

Willkommen geheißen mit einer raschen Umdrehung, Kopf unten an den Füßchen gepackt. 1,2,3 Klapse auf den Po, damit auch das zügig geht, das erste Atmen.

Schnell einmal abgenabelt, da war nix mit Auspulsieren, warum auch immer alles so schnell gehen musste.

Ratz – Fatz, und schon war die Verbindung getrennt.

Alles im gleißenden Licht, von der Dämmerung, dem sanften, weichen Milieu, das warm ist in die Kälte.

Schnell einmal abgeschrubbt, kein liebevolles Gebrabbel, flüsternd gesprochen: „Oh Willkommen liebes Erdenkindchen! Schau mal, hier ist es schön. Wir lieben Dich, wir freuen uns über das Wunder, das durch Dich in die Welt kommt. Mögest Du geborgen und mit Liebe begleitet sein. Mögest Du erkannt und gefördert sein, mögest Du glücklich sein. Mögest Du Dich wohlig in Deinem Körper zuhause fühlen.

Mögest Du Dich selbst lieben in allen Facetten Deines So-Seins.

Mögest Du Deinen Ruf hören und Deiner Be-Stimm-ung folgen. Mögest Du frei sein.“

Nix von all dem.

Abgerubbelt mit kratzigen Tüchern. Angekleidet, abgelegt zu all den anderen alleingelassenen Menschenkindern. Hunger zur Unzeit, gefüttert wird, wenn die 4 Stunden um sind, schnell angelegt, Mutter im Stress, oh je da kommt nix raus. Stress verdirbt die Milch, und überhaupt wollte ich noch ein bisschen bleiben, bei der Mama, die sich mit solch einer Tapferkeit bemühte, uns beiden, die wir ja nur eine sein sollten, gerecht zu werden – ein Name, ein Bettchen, eine Ausstattung, 5.Stock, Einzelraumwohnung.

Ja, so war das.

Hier wird das Nein zur Welt konstituiert, sagt mein lieber Willi Reich.

Ja, so war das.

Diesem Nein ein Ja entgegenzusetzen war mein ganzes Leben mein Job.

Ich hab´ ihn oft nicht gut erfüllt, immer wieder erlag ich dem Nein zu meiner Existenz, zur Welt.

Gott Sei Dank bin ich mit einem Zugang zu überirdischen Welten ausgestattet, kann mich immer wieder vom Guten, Wahren, Schönen berühren lassen.

So will ich mir heute, an meinem 69.Geburtstag ein Versprechen geben:

Ich werde mich um das Baby kümmern, ihm keine Nahrung – zu welcher Zeit auch immer – versagen, weil irgendwelche Richtlinien dies verordnen.

Ich werde mich um meine Bedürfnisse kümmern.

Um das Bedürfnis nach Ruhe und Bewegung, die mir entspricht und um das Bedürfnis nach (schöpferischem) Ausdruck.

Um mein Bedürfnis nach Schönheit, indem ich mich an Orten aufhalte, die schön sind.

Mein Bedürfnis nach Wahrheit, indem ich mich mit Menschen umgebe, die meine Wahrheit teilen und indem ich den Mut aufbringe, für diese meine Wahrheit einzutreten.

Um mein Bedürfnis nach Gutem, indem ich mich von schlechten Nachrichten fernhalte und mich von den vielen guten, die es ja auch gibt, nähre.

Ich will mich um mein Bedürfnis nach Zartheit kümmern, mich von groben Menschen fernhalten und mich mit zärtlichen, einfühlsamen umgeben.

Ich werde meinen Körper achten, wenn ich ihn auch vielleicht nicht lieben kann. Ihn anerkennen in seiner ihm eigenen Schönheit und Tüchtigkeit.

Ich werde mir mein sogenanntes Scheitern und Straucheln verzeihen und mich in Mitgefühl über die nach wie vor wiederkehrenden Zustände üben.

Ich werde den oben an das Baby gerichtete Worten lauschen.

Ich werde mich um mein Werk kümmern, um das, was ich hier bestimmt bin zu vollbringen.

Mein Eigenes.

Ja, all das will ich mir versprechen und mich daran erinnern, auf dass nichts mehr zurückbleibt von all dem Alten.

Und Neues geschehen kann.

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