Flat is beautiful

Vor mittlerweile über zwei Monaten hat mich eine Journalistin angefragt, ob ich einen Beitrag zum Thema Veränderung/Trennung schreiben könnte.

Der Artikel ist dann Ende September unter dem Titel „Happy? End!“ in der österreichischen Zeitung Woman erschienen. Meine Antworten auf die Fragen von Nina Horcher sind dem begrenzten Raum geschuldet, jedoch sehr einfühlsam gekürzt worden, und so will ich an dieser Stelle meine vollständigen Antworten veröffentlichen.

Beim Schreiben wurde mir bewusst, wie groß der Schritt der Ablatio war und auch wie wesentlich.

Welche Veränderung/Trennung hat dein Leben rückblickend nachhaltig verändert?

Es war die Trennung von meinen Brüsten nach einem nahezu 50-jährigen Leben mit ihnen. 

Wann und warum / wie kam es dazu?

Ich war zu dem Zeitpunkt knapp 61 Jahre alt, hatte schon 2 Mal eine Brustkrebsdiagnose. Einen Tag vor meinem 61.Geburtstag wurde neuerlich ein suspekter Herd in der rechten Brust festgestellt.

Sofort, noch auf der Untersuchungsliege, im Zuge des Ultraschalls wusste ich, wenn es wieder Krebs ist, dann lasse ich mir beide Brüste abnehmen, auch wenn es nur ein einziger Herd ist. Das war eine intuitive Eingebung, wie ich sie auch schon davor bei den zwei anderen Diagnosen in Bezug auf meinen Therapie-Weg hatte. 

Was war die größte Herausforderung dabei, diese Entscheidung zu treffen? Wer oder was hat dir geholfen, es durchzuziehen?

Die größte Herausforderung war, dass es sich ja wirklich um eine endgültige Entscheidung handelte, die mein Aussehen unwiederbringlich verändern würde, anders als bei den anderen beiden Diagnosen, wo ja nur der Krebsbereich entfernt wurde.

Es war ein sehr großer Abschied, der auch viel Trauer und Wehmut mit sich brachte. Ich ging also immer wieder innerlich zahlreiche Entscheidungsrunden durch, ob es wirklich notwendig sei, noch dazu, wo es medizinisch nicht als indiziert galt, handelte es sich zu diesem Zeitpunkt doch nur um einen einzigen Herd – also warum gleich sogar beide Brüste abnehmen lassen. Ich wusste jedoch genau, ohne dass ich es erklären konnte, dass es sich hier um ein systemisches Geschehen handelt, und dass – in meinem intuitiven Wissen – wahrscheinlich beide Brüste betroffen sind.

Diese Vermutung hat sich durch den postoperativen histologischen Befund bestätigt, was meine Chirurgin sehr erleichterte, weil die beidseitige Ablatio damit im Nachhinein betrachtet auch medizinisch indiziert war. Ich hätte mir auch nur eine Brust abnehmen lassen können, doch es war für mich klar, dass ich keinen Aufbau will und auch keine Prothesen tragen möchte. Ich fand es auch schöner, symmetrisch flach zu sein als auf einer Seite.

Geholfen hat mir mein Mann, der meine Entscheidung unterstützte und Menschen, die nicht an einem Konzept festhielten, dass es für eine Frau katastrophal ist, ohne Brüste zu sein. Das war für mich nämlich zu keinem einzigen Zeitpunkt so. Außerdem war die Reaktion meiner Chirurgin sehr unterstützend, die zunächst natürlich nicht gleich ein potentiell gesundes Organ entfernen wollte, aber dann erkannte, dass meine Entscheidung aus der Tiefe kam und wohlüberlegt ist – immerhin ließ ich mir fast 3 Monate von der Diagnose bis zur Operation Zeit -, sodass sie meinem Wunsch nachkam. 

Inwiefern hat dein Alter dabei eine Rolle gespielt?

Natürlich hat das Alter eine Rolle gespielt. Bei meiner ersten Diagnose mit 41 Jahren war eine Totaloperation der einen Brust indiziert, weil das Krebsgeschehen, das sich in Mikroverkalkungen zeigte, sehr ausgedehnt war. Für mich war klar, dass das zu diesem Zeitpunkt keine Option ist. Ich habe dann auch einen wunderbaren Chirurgen gefunden, der die Operation so machte, dass trotz des großen Volumens nahezu nichts zu sehen war. Für die letzte Entscheidung, 20 Jahre danach, war wahrscheinlich auch ausschlaggebend, dass ich in einer sehr stabilen, innigen Beziehung mit meinem Mann seit mittlerweile 43 Jahren lebe.

Wenn du heute zurückblickst: Was hat sich seitdem positiv verändert?

Ich fühle mich freier, ich fühle mich unbelasteter, auch weil ich keine Mammographien mehr über mich ergehen lassen muss. Auch brauche ich nicht ängstlich auf das Ergebnis zu warten. Ein gar nicht so kleiner Benefit ist, dass ich auch beim Sport keinen BH tragen muss, das war mir nämlich immer sehr unangenehm. 

Ich fühle mich jedoch nicht nur befreit von der Angst vor einer neuerlichen Diagnose, sondern in einem viel übergreifenderen Sinn. Sofort am ersten Tag nach der OP, als ich mich, den Verband noch eng um meine Brust gebunden, im Spiegel sah, jauchzte etwas in mir.

Das Flachsein, die Brustlosigkeit spürte sich so richtig für mich an, warum auch immer. Ich fühlte mich nicht weniger als ich selbst, sondern mehr. In meinen darauffolgenden Forschungen zur Bedeutung der Brust im Leben von uns Frauen, konnte ich erkennen, dass die Brust mich immer sehr exponiert hat den Blicken und dem Zugriff, und dass hier auch viel Traumatisierung stattgefunden hat, und so war die Brustabnahme auch eine Befreiung vom Ort des Geschehens. 

Ein weiteres positives Erlebnis war, dass ich am eigenen Leib und Seele erfahren konnte, wie wichtig die innere Vorbereitung auf eine OP ist, um die Nachwirkungen gering zu halten und nicht von einem Verlusterleben nachträglich emotional überrascht zu werden. So verließ ich das Krankenhaus bereits am 4. postoperativen Tag mit dem freudigen Gefühl, eine schöne, intensive, bereichernde Erfahrung gemacht zu haben.

Kein Bedauern, kein Hadern, kein Zweifeln.

Es war eine Wahl getroffen, für die besten Bedingungen der Umsetzung gesorgt, dann war es vollbracht und das war ein großes dankbares Glücksgefühl.

Letztlich – und das ist auch eine Bereicherung für mich – bin ich mir der Endlichkeit noch einmal deutlicher bewusst geworden und habe in diesem Sinn mein Leben noch mal radikaler ausgerichtet, meine Praxistätigkeit sehr reduziert und ich schaue sehr genau, was in meinem Leben Platz haben soll und was nicht. 

Wo gab es hinsichtlich dessen die größte Umstellung / den größten Bruch im Vergleich zu früher?

Dass ich zwei sehr lange und deutlich sichtbare Narben habe, die mir nicht so gut gefallen. 

Wie nimmst du diese Veränderungen (z.B. in deiner Einstellung/Persönlichkeit) auch im Alltag war?

Eigentlich nur, wenn es darum geht, dass ich mich nackt zeigen „muss“, da kann ich noch nicht so gut dazu stehen, so warne ich die Menschen immer vor, dass sie nicht erschrecken. Im angekleideten Zustand merken es die meisten Menschen gar nicht, obwohl ich eben keine künstlichen Körbchen trage, außer wenn ich ein Dirndl anziehe. Ich glaube, das ist deshalb, weil ich so selbstverständlich damit bin. 

Wie hat sich auch dein Umfeld dadurch verändert? (Freunde, Familie, Job…)?

Manche Menschen haben meine Entscheidung nicht verstanden. Ich konnte sehen, wo die Grenzen bei Einzelnen sind. In der Familie hat die letzte Diagnose neuerlich die Beziehung zu meiner Zwillingsschwester belebt und ich habe eine große Innigkeit und ein Mittragen von meinem Mann und meiner bereits erwachsenen Tochter erlebt. Es hat generell eine Art Reinigungsprozess in Bezug auf Beziehungen stattgefunden. 

Was ist dir heute wichtig, was dir früher (vor dieser Entscheidung) nicht so klar war? 

Ich kann so deutlich spüren, dass meine Weiblichkeit nicht an meine Brüste gebunden ist. Diese Botschaft möchte ich auch anderen Frauen weitergeben, vor allem, wenn sie von Brustkrebs betroffen sind. Deshalb habe ich auch eine Initiative mit dem Titel „Flat is beautiful. Breast Cancer is not the end of femininity“ ins Leben gerufen. Unter diesem Titel haben wir, eine Gruppe von Frauen im Jahr 2019 am Frauenlauf teilgenommen. Es tut mir noch immer im Herzen weh, wie unsere Brüste missbraucht werden im Sinne eines Schönheitsideals und als sexueller Reiz. Sie sind soviel mehr. 

Was hättest du rückblickend gerne schon früher gewusst oder gemacht?

Meine Brüste mehr geliebt, sie als meine Brüste gesehen, die so schön und wertvoll, lebensspendend und kräftig sind.

Ich hätte gerne radikaler auf meine Grenzen geachtet, die vielen Neins, die ich nicht gesagt habe, ausgedrückt und damit ein freudvolleres, nicht so braves, angepasstes, leistungsorientiertes Leben gelebt. Vielleicht hätte ich dann auch keinen Krebs bekommen, auch wenn ich in einem größeren Ganzen sehen kann, dass Alles gut und richtig ist, wie es ist.

2 Gedanken zu “Flat is beautiful

  1. "Benita" (Pseudonym schreibt:
    Avatar von "Benita" (Pseudonym

    liebe Beatrix,

    ich kann die Erleichterung sehr gut nachvollziehen. Wir selbst hadern aufgrund zahlreicher Übergriffe ja auch schon sehr viele Jahre mit unseren Brüsten. Wir versuchen sie anzunehmen, es ist dennoch meist eine vom Verstand geleitete Achtung des Körpers. Oft spalten wir sie einfach ab, ignorieren die Existenz.

    Der Text klingt wunderbar und lebendig. Danke für diesen wertvollen Einblick in deinen Entscheidungsprozess und die Folgen, dieser „Trennung“.

    herzliche Grüße

    „Benita“

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