Meine/unsere Geburt war wahrlich kein Honig-Schlecken.
Heute 69 Jahre danach hab´ ich nochmal dran gedacht, wie das so war damals, als wir beide, meine Schwester und ich, das Licht der Welt erblickten.
Unter Zeitdruck waren sie, die Ärzte damals, im Streik und da passte eine Zwillingsgeburt, auch wenn meine Mutter uns tapfer ohne Kaiserschnitt zur Welt brachte, so gar nicht herein.
Dann war ich draußen – „Die Erste ist ein Mädchen“ sagten sie zu meiner Mutter, die von einer Zwillingsschwangerschaft nichts wusste.
Meine Schwester ließ sich Zeit, da mussten sie mit härteren Bandagen arbeiten, draufsetzen auf den Bauch, dass was weitergeht. Dann zwanzig Minuten später war auch sie da.
Willkommen geheißen mit einer raschen Umdrehung, Kopf unten an den Füßchen gepackt. 1,2,3 Klapse auf den Po, damit auch das zügig geht, das erste Atmen.
Schnell einmal abgenabelt, da war nix mit Auspulsieren, warum auch immer alles so schnell gehen musste.
Ratz – Fatz, und schon war die Verbindung getrennt.
Alles im gleißenden Licht, von der Dämmerung, dem sanften, weichen Milieu, das warm ist in die Kälte.
Schnell einmal abgeschrubbt, kein liebevolles Gebrabbel, flüsternd gesprochen: „Oh Willkommen liebes Erdenkindchen! Schau mal, hier ist es schön. Wir lieben Dich, wir freuen uns über das Wunder, das durch Dich in die Welt kommt. Mögest Du geborgen und mit Liebe begleitet sein. Mögest Du erkannt und gefördert sein, mögest Du glücklich sein. Mögest Du Dich wohlig in Deinem Körper zuhause fühlen.
Mögest Du Dich selbst lieben in allen Facetten Deines So-Seins.
Mögest Du Deinen Ruf hören und Deiner Be-Stimm-ung folgen. Mögest Du frei sein.“
Nix von all dem.
Abgerubbelt mit kratzigen Tüchern. Angekleidet, abgelegt zu all den anderen alleingelassenen Menschenkindern. Hunger zur Unzeit, gefüttert wird, wenn die 4 Stunden um sind, schnell angelegt, Mutter im Stress, oh je da kommt nix raus. Stress verdirbt die Milch, und überhaupt wollte ich noch ein bisschen bleiben, bei der Mama, die sich mit solch einer Tapferkeit bemühte, uns beiden, die wir ja nur eine sein sollten, gerecht zu werden – ein Name, ein Bettchen, eine Ausstattung, 5.Stock, Einzelraumwohnung.
Ja, so war das.
Hier wird das Nein zur Welt konstituiert, sagt mein lieber Willi Reich.
Ja, so war das.
Diesem Nein ein Ja entgegenzusetzen war mein ganzes Leben mein Job.
Ich hab´ ihn oft nicht gut erfüllt, immer wieder erlag ich dem Nein zu meiner Existenz, zur Welt.
Gott Sei Dank bin ich mit einem Zugang zu überirdischen Welten ausgestattet, kann mich immer wieder vom Guten, Wahren, Schönen berühren lassen.
So will ich mir heute, an meinem 69.Geburtstag ein Versprechen geben:
Ich werde mich um das Baby kümmern, ihm keine Nahrung – zu welcher Zeit auch immer – versagen, weil irgendwelche Richtlinien dies verordnen.
Ich werde mich um meine Bedürfnisse kümmern.
Um das Bedürfnis nach Ruhe und Bewegung, die mir entspricht und um das Bedürfnis nach (schöpferischem) Ausdruck.
Um mein Bedürfnis nach Schönheit, indem ich mich an Orten aufhalte, die schön sind.
Mein Bedürfnis nach Wahrheit, indem ich mich mit Menschen umgebe, die meine Wahrheit teilen und indem ich den Mut aufbringe, für diese meine Wahrheit einzutreten.
Um mein Bedürfnis nach Gutem, indem ich mich von schlechten Nachrichten fernhalte und mich von den vielen guten, die es ja auch gibt, nähre.
Ich will mich um mein Bedürfnis nach Zartheit kümmern, mich von groben Menschen fernhalten und mich mit zärtlichen, einfühlsamen umgeben.
Ich werde meinen Körper achten, wenn ich ihn auch vielleicht nicht lieben kann. Ihn anerkennen in seiner ihm eigenen Schönheit und Tüchtigkeit.
Ich werde mir mein sogenanntes Scheitern und Straucheln verzeihen und mich in Mitgefühl über die nach wie vor wiederkehrenden Zustände üben.
Ich werde den oben an das Baby gerichtete Worten lauschen.
Ich werde mich um mein Werk kümmern, um das, was ich hier bestimmt bin zu vollbringen.
Mein Eigenes.
Ja, all das will ich mir versprechen und mich daran erinnern, auf dass nichts mehr zurückbleibt von all dem Alten.
Eine unscheinbare Email von meinem Röntgenarzt, der mich seit 28 Jahren treu begleitet, dass er wieder mal nachgesehen hätte im System und keinen CT Befund von mir findet.
Das hab´ ich jetzt über Monate erfolgreich verdrängt, hatte bereits Verordnung und Bewilligung und einen Termin, dann wurde ich krank und damit durfte, musste ich es auf die lange Bank schieben.
Ich bin also hingegangen – ein letztes Mal – muss ja auch meinem Hausverstand – ein gar nicht so schlechtes Wort, der Verstand, der in meinem Körperhaus lebt – benutzen. Und der sagt, wenn nach 3 Jahren keine wesentliche Veränderung in Wachstum und Form passiert ist, dann kann da nichts sein, kein Krebs und schon gar keine Metastase.
Also, ich bin hingegangen am Dienstag und aufgeregt war ich wieder und zigmal kontrollierte ich, ob ich eh alle Zettel dabei habe, die Verordnung, die Bewilligung und den Blutbefund – alles nicht älter als 3 Monate.
Gerade noch ganz gesund, kann ja laufen, gehen, denken, meine Sachen machen und dann die Maschinerie – und schon (tod-)krank.
Überall können sie sein, die todbringenden Herde, sie lauern im Körper, sie gehören abgeklärt, reingestochen, angeschaut, ob man darin diese bösen Zellen findet.
Kann mich nicht dran gewöhnen und voller Mitgefühl denke ich an all meine lieben Krebs-Klientinnen, die das teilweise alle 3 Monate durchmachen müssen.
Reingeschoben in die Röhre, das Kontrastmittel im Arm, Hände hinter dem Kopf abgelegt, ausgestreckt, wie aufgehängt lieg´ ich da, den Platz nahezu wortlos zugewiesen, keine Anrede, kein sich Vorstellen.
Die Maschine ist es, worum es geht.
Mein Leben, das Urteil über mein Leben einer Maschine überantwortet, kein Gesicht zu einem Befund, unemotional und damit unbeeinflusst, nennt das mein Radiologe.
Ein Stück Fleisch liegt da, lieg´ ich da, gekreuzigt am Marterpfahl der Technik.
Einatmen – Ausatmen.
Einatmen.
Den Atem halten.
Weiter atmen.
Zuvor den Fragebogen ausfüllen, die Zeilen reichen nicht aus für die vielen Diagnosen, die ich bereits hatte.
1998 rechts
2002 links
2018 beidseits.
2022 links.
Dasselbe noch einmal für die OP´s und die Bestrahlungen.
Mühsam ist das und fast geniere ich mich – das ist wahrlich keine Erfolgsstory. Vorsorglich trage ich einen Body und eine Hose ohne Metall dran, sonst müsste ich – Oberkörper nackt – in der Unterhose rein, mich entschuldigen für den Ablatio-Anblick, aber es schaut eh´ keine, der Fokus ist auf meinen Venen, pump, pump, klopf, klopf. Ist diese junge Frau überhaupt eine Ärztin, schließlich spritzt sie mir ein Kontrastmittel in die Venen. „Das möchte ich nicht im Gewebe haben“, sage ich scherzend, man will ja Kontakt haben.
Kontakt ist das Wichtigste.
„Reden Sie mit mir!“, hat sie gesagt, meine liebe Gundula, als sie ihr die Maske für die Kopfbestrahlung aufgesetzt haben.
„Reden Sie mit mir!“.
Da war er wahrscheinlich ganz schön erschreckt, der RT Mensch, dass diese Frau kein stummes Lamm auf der Schlachtbank ist, sondern ein Mensch, ein großer Mensch, der durch die Schlitze rausspricht, der vor-kommt, sich äußert mit einer Stimme, die ja hier eigentlich gar nicht angesagt ist.
„Reden Sie mit mir!“
Alle lassen wir uns sie gefallen, die Behandlung, die keine ist.
Massenmenschenhaltung.
Am Schalter den Schein abgeben, das ist das Wichtigste, die Bewilligung, die die Kohle garantiert, sonst geht gar nichts.
Code für den Befundabruf entgegennehmen.
Platz nehmen, auf einem der drei Sessel.
Aufgerufen werden, zwischen Tür und Angel Durchsprechen des Informationsblattes. Eigentlich ist mir das gar nicht recht, dass die Frau, die bereits an meinem Platz sitzt, das so alles detailliert mitbekommt.
„Da ist der Kopf“– einziger Begrüßungssatz. „Ich weiß“, schmunzle ich, „ich kenne es schon“ – so mein vorsichtiger Kontaktversuch.
„Reden Sie mit mir, bitte reden Sie mit mir!“
„Zeigen Sie mir, dass ich ein Mensch bin, dass Sie ein Mensch sind, der lächeln und antworten kann, der eine Ahnung, zumindest eine leise Ahnung hat, wie beschissen eine solche Situation ist, dass Menschen wie ich, die jetzt schon das 5. Mal auf das Urteil warten, ob der Herd, dieser hochsuspekte Herd mit dem Namen SBL – Abkürzung für Metastase- von mir liebevoll Jupiter getauft, größer geworden ist.
Größer ist nämlich ganz schlecht, oder vielleicht sind ja sogar noch welche dazu gekommen – Aufhellungen, Verdunkelungen, da ist ja viel Platz in so einem Körper.
„Reden Sie mit mir, bitte, ich flehe Sie an, lassen Sie mich nicht allein!““
„Reden Sie mit mir! Sagen Sie mir, dass Ihnen meine Haarfarbe gefällt, fragen Sie mich, welcher Art mein Doktortitel ist, und dass Sie auch immer schon Psychotherapeutin werden wollten.
Oder erzählen Sie mir von ihrem Hund oder dass Sie froh sind, dass es jetzt gleich zu Ende ist mit all dem Nadel-Setzen und Rein- und rausschieben und Sie jetzt endlich gleich die vom Foodora gelieferte Pizza essen können.
Oder sagen Sie mir – wieder geschafft! Haben Sie noch einen schönen Abend.“
Egal was, einfach mit mir reden, mir das Gefühl geben, dass ich nicht allein bin. Weil dann lässt sich sogar ein schlechter Befund besser verdauen.
Naja, so gesehen kann man sich schon auf mit passender KI programmierte Roboter freuen, die einen mit Namen ansprechen, die Hand halten, fragen, ob ich gut liege, mich beruhigen über liebe Worte.
Was ist Liebe und was ist sie nicht – für mich. Natürlich weiß ich das auch nicht. Aber einige Ideen dazu sind heute morgen in mir entstanden. Versteht es bitte als eine idealtypische Annäherung.
Konflikte vermeiden um des sogenannten lieben Friedens Willen.
Für die eigene Klarheit sorgen und in kontaktvoller Verbundenheit dafür eintreten.
Den anderen schonen aus Angst, ihn zu verletzen
Ihm, ihr Halt geben durch das Geschenk der eigenen Wahrnehmung, auch wenn diese vielleicht schmerzlich ist. Die Wahrheit, so sie eine schmerzliche ist, ist es sowieso.
Romantische Gefühle
(Bemühen) den anderen zu sehen und entdecken, wer er ist jenseits von Gefühlsgetönten Zuschreibungen, was er für uns ist.
Sehnsucht
Da sein, wo ich bin und mich freuen, dass der andere da ist, wo er ist, wissend, dass wir verbunden sind über Zeit und Raum.
Haben wollen
Geben
Die eigenen Grenzen überschreiten aus „Liebe“
Der eigenen Grenzen bewusst sein und sie grundsätzlich bewahren, auch wenn wir sie im gemeinsamen Eintauchen und Verschmelzen bisweilen überschreiten. Damit eine Einladung geben, dass der andere auch die seinen beachtet und bewahrt.
Vernebelung
(Bemühen um) Klarheit, Gewissheit, Da Sein
Illusion
(Bemühen um ein) radikales in die Tiefe gehendes Wissen um mich und den anderen.
Verklärung
Pragmatismus: die sogenannten Schwächen des anderen liebevoll zur Kenntnis nehmen und sich damit nicht aufhalten.
Verliebt-Sein
Den, die andere/n als andere/n an-erkennen.
Deals
Geben, empfangen, empfangen, Geben, Geben, Geben, Empfangen, Empfangen, Empfangen, Empfangen, Geben, Geben, Geben, Geben, Geben. Und somit die gegenseitige Anhebung unterstützen.
Investition
Ich bin Geschenk genug in meinem So Sein, wie auch der andere Geschenk genug ist in seinem So Sein.
Wir haben einander gefunden.
Das ist kein Zufall.
Und damit ist es genau richtig so.
Und hier noch das Lieblingszitat von meinem Mann von Rainer Maria Rilke – damit hat er mich ein paar Mal ganz schön gequält ;-))
Denn das ist Schuld, wenn irgendeines Schuld ist: die Freiheit eines Lieben nicht vermehren um alle Freiheit, die man in sich aufbringt. Wir haben, wo wir lieben, ja nur dies: einander lassen; denn daß wir uns halten, das fallt uns leicht und ist nicht erst zu lernen
Wahrscheinlich haben wir als Kinder Gedichtchen aufgesagt und Bilder gemalt und waren schon früh auf, um an diesem einen Tag ein Frühstück für unsere Mama, die wir Judy nannten, vorzubereiten.
Und besonders artig mussten wir natürlich auch sein, damit sie sich ja nicht kränkt, da hat unser Vater drauf geschaut.
Wahrscheinlich hat sie sich da gefreut. Dann war er wieder vorbei – der Tag der Mutter.
Am Montag danach war wieder alles wie immer.
Unsere Mutter stand als Erste auf – so gegen halb sechs –, um ihrem Mann die Kleidung von der Unterhose bis zur Krawatte zu richten, und den Tee und das Frühstück zu zubereiten, die Kinder aufwecken, die Schuljause einpacken.
Dann, als alle aus dem Haus waren, hat sie sicher mal ausgeatmet, denk ich mir.
Zusammenräumen, Einkaufen, Mittagessen zubereiten, auf die Kinder warten, zu Hause bleiben, immer zuhause bleiben, weil mein Vater niemals einen Schlüssel mitnahm, sie war ja ohnehin immer da. Den Beruf beim Steffl, wo sie mit ihren geliebten Stoffen zu tun hatte, hat sie längst aufgegeben für die klassische Rolle der Haus-Frau.
Zuhause sein, Hausfrau sein, Nähen, Bügeln, Wäsche waschen, spielen, dem Mann dienen.
In erster Linie dem Mann dienen.
Dafür sorgen, dass die Kinder ruhig sind, wenn er gestresst von der Arbeit heim kommt, Gsch Gsch…schnell ins Kinderzimmer, der Papa braucht seine Ruh.
Wenn er weg war, auf einer seiner Geschäftsreisen hatten die Mädels Kirtag – Fisch essen, aber nur am 1. Tag, damit er ihn ja nicht riechen konnte.
Schwimmen und Eislaufen gehen und keine Angst vor seinen Zuständen und seinem Gebrüll haben.
Ein bisschen frei und frech sein. Weil frech, keck war sie auch – meine Mama – lang vor der Sozialisation als Ehefrau.
Schade eigentlich, hätte sie gerne besser kennengelernt die freche, kleine, pfeifende Erni, die den Kopf noch nicht einzog, immer mal eine Ansage macht, auf den Tisch haut, zurückbrüllt, dass es ihr jetzt wirklich reicht, ihre starken Mädels packt, den Alten sich ausspinnen lässt, ab in die Kondi, Sachertorte mit Schlag und Kaffee oder Kakao und lachen, viel lachen und frei sein.
Schluss mit den Vorwürfen.
Die habe ich ihr schon zu Lebezeiten oft genug gemacht.
Dann hat sie schuldbewusst den Kopf gesenkt und sich flehentlich an ihren geliebten Schwiegersohn gewandt mit der Frage: „Thomas, war ich wirklich so eine schlechte Mutter?“ Das konnte er natürlich nicht wissen und überhaupt hat er sie sehr lieb gehabt. „Aber nein, liebe Erni, Du warst sicher eine gute Mutter.“
Wahrscheinlich würde ich sie nach wie vor im Regen stehen lassen mit der Frage, ärgern würde ich mich, wenn sie immer, wenn ich endlich etwas Unbequemes ausspreche, mit dieser Killerfrage antwortet statt sich anrühren und erschüttern zu lassen.
Jetzt 3 Jahre nach dem 1. Muttertag ohne sie möchte ich sie beantworten, und auch wenn das jetzt vielleicht abgeschmackt klingt: Du hast Dein Bestes gegeben.
Du warst immer großzügig – meintest bei jedem neuen schönen Kleidungsstück, „ich kauf Dir den schönen Rock, kann ja das Geld nicht mitnehmen und geb´ lieber mit einer warmen Hand.
Witzig warst Du und nicht nur, wenn Du den Judy Affen nachgemacht hast.
Und bemüht – bist mit uns, den Zwillingen durch halb Wien zum Eislaufverein oder ins Laabergbad oder täglich ins Amalienbad, damit ich mich beruhige, wenn ich wieder ganz im Schulstress war.
Hast uns die schönsten Kleider genäht und fürs Christkind die Puppen-Röckchen und Jäckchen.
Hast unser Lieblingsessen gekocht und warst auch nicht besonders beleidigt, wenn wir doch wieder nicht oder zu spät nach Hause kamen.
Hast Dich nicht aufgelehnt, schon gar nicht geschimpft oder mich auch nur den Schmerz spüren lassen, als ich mit 16 von einem Tag auf den anderen ausgezogen bin – jetzt selbst Mutter einer sehr selbständigen Tochter weiß ich, wie hart es ist, den Kindern die Freiheit zu gewähren.
Hast mich getröstet, wenn ich es zuließt.
Und hast Dein Schicksal als Zwillingsmutter ohne Murren und Hadern angenommen, wie Du so viele Zumutungen des Lebens angenommen hast.
Danke liebe Mama für Alles.
Und ehrlich: Ich war sicher auch keine gute Tochter. Oft tut mir das leid, auch wenn ich nicht weiß, ob ich jetzt liebe- und verständnisvoller zu Dir sein könnte.
Entschieden auf der Basis meiner organismischen Weisheit, gründlich die Trennung und den Verlust betrauert, lebe ich ein Busenloses Leben, das meinem Gefühl von Weiblichkeit keinen Abbruch tut.
Cut and Go war meine Devise damals, und vieles hab ich seit damals abgeschnitten, abgetrennt, manchmal auch gelöst, und bisweilen ist diese Veränderung, der Wandel wie von selbst passiert.
Wenn es eine Erkenntnis gibt in all den Jahren, die ich als die wesentlichste erachte, so ist es diese:
Eine Krebserkrankung oder ein anderes sogenanntes Krankheitssymptom, ob es akut oder chronisch ist, ob es sich auf der Ebene des Körpers oder der Psyche zeigt, alles, was sich auf der menschlichen Ebene als belastend, kränkend, verstörend äußert, trägt bereits einen Heilungsimpuls, einen Heilungsversuch, einen Heilungsaufruf in sich. All das – und das konnte ich oftmals spürbar erfahren – dient unserer Seele, sich in ihrer Ganzheit zu erfahren.
Es ist eine Einladung, mich dem, was in meinem Leben aus der Ordnung gefallen ist, zuzuwenden.
Endlich darf und kann ich all das Leid, das sich im Symptom birgt, aufsuchen, berühren, umarmen, das Heilungspotential erkennen, die Essenz zu mir nehmen und es dann ent-lassen.
Das ist ein Geschenk.
Cut and Go – das klingt jetzt vielleicht widersprüchlich zu dem oben Gesagten.
Trennen und Verbinden?
Mir die Brüste abnehmen zu lassen, war damals am 6. 3. 2018 der nächste gute Schritt. Und auch wenn ich die Komplexität der Entscheidung nach wie vor nur erahnen kann, so war sie genau richtig.
Der nächste gute Schritt, um ganz heil zu werden auf allen Ebenen meines Seins.
Und jetzt noch eines meiner Lieblingsgedichte von Rainer Maria Rilke:
Mandelbäume in Blüte
Unendlich staun ich euch an, ihr Seligen, euer Benehmen, wie ihr die schwindende Zier traget in ewigem Sinn. Ach wer´s verstünde zu blühn: dem wär das Herz über alle schwachen Gefahren hinaus in der großen getrost.
Vor mittlerweile über zwei Monaten hat mich eine Journalistin angefragt, ob ich einen Beitrag zum Thema Veränderung/Trennung schreiben könnte.
Der Artikel ist dann Ende September unter dem Titel „Happy? End!“ in der österreichischen Zeitung Woman erschienen. Meine Antworten auf die Fragen von Nina Horcher sind dem begrenzten Raum geschuldet, jedoch sehr einfühlsam gekürzt worden, und so will ich an dieser Stelle meine vollständigen Antworten veröffentlichen.
Beim Schreiben wurde mir bewusst, wie groß der Schritt der Ablatio war und auch wie wesentlich.
Welche Veränderung/Trennung hat dein Leben rückblickend nachhaltig verändert?
Es war die Trennung von meinen Brüsten nach einem nahezu 50-jährigen Leben mit ihnen.
Wann und warum / wie kam es dazu?
Ich war zu dem Zeitpunkt knapp 61 Jahre alt, hatte schon 2 Mal eine Brustkrebsdiagnose. Einen Tag vor meinem 61.Geburtstag wurde neuerlich ein suspekter Herd in der rechten Brust festgestellt.
Sofort, noch auf der Untersuchungsliege, im Zuge des Ultraschalls wusste ich, wenn es wieder Krebs ist, dann lasse ich mir beide Brüste abnehmen, auch wenn es nur ein einziger Herd ist. Das war eine intuitive Eingebung, wie ich sie auch schon davor bei den zwei anderen Diagnosen in Bezug auf meinen Therapie-Weg hatte.
Was war die größte Herausforderung dabei, diese Entscheidung zu treffen? Wer oder was hat dir geholfen, es durchzuziehen?
Die größte Herausforderung war, dass es sich ja wirklich um eine endgültige Entscheidung handelte, die mein Aussehen unwiederbringlich verändern würde, anders als bei den anderen beiden Diagnosen, wo ja nur der Krebsbereich entfernt wurde.
Es war ein sehr großer Abschied, der auch viel Trauer und Wehmut mit sich brachte. Ich ging also immer wieder innerlich zahlreiche Entscheidungsrunden durch, ob es wirklich notwendig sei, noch dazu, wo es medizinisch nicht als indiziert galt, handelte es sich zu diesem Zeitpunkt doch nur um einen einzigen Herd – also warum gleich sogar beide Brüste abnehmen lassen. Ich wusste jedoch genau, ohne dass ich es erklären konnte, dass es sich hier um ein systemisches Geschehen handelt, und dass – in meinem intuitiven Wissen – wahrscheinlich beide Brüste betroffen sind.
Diese Vermutung hat sich durch den postoperativen histologischen Befund bestätigt, was meine Chirurgin sehr erleichterte, weil die beidseitige Ablatio damit im Nachhinein betrachtet auch medizinisch indiziert war. Ich hätte mir auch nur eine Brust abnehmen lassen können, doch es war für mich klar, dass ich keinen Aufbau will und auch keine Prothesen tragen möchte. Ich fand es auch schöner, symmetrisch flach zu sein als auf einer Seite.
Geholfen hat mir mein Mann, der meine Entscheidung unterstützte und Menschen, die nicht an einem Konzept festhielten, dass es für eine Frau katastrophal ist, ohne Brüste zu sein. Das war für mich nämlich zu keinem einzigen Zeitpunkt so. Außerdem war die Reaktion meiner Chirurgin sehr unterstützend, die zunächst natürlich nicht gleich ein potentiell gesundes Organ entfernen wollte, aber dann erkannte, dass meine Entscheidung aus der Tiefe kam und wohlüberlegt ist – immerhin ließ ich mir fast 3 Monate von der Diagnose bis zur Operation Zeit -, sodass sie meinem Wunsch nachkam.
Inwiefern hat dein Alter dabei eine Rolle gespielt?
Natürlich hat das Alter eine Rolle gespielt. Bei meiner ersten Diagnose mit 41 Jahren war eine Totaloperation der einen Brust indiziert, weil das Krebsgeschehen, das sich in Mikroverkalkungen zeigte, sehr ausgedehnt war. Für mich war klar, dass das zu diesem Zeitpunkt keine Option ist. Ich habe dann auch einen wunderbaren Chirurgen gefunden, der die Operation so machte, dass trotz des großen Volumens nahezu nichts zu sehen war. Für die letzte Entscheidung, 20 Jahre danach, war wahrscheinlich auch ausschlaggebend, dass ich in einer sehr stabilen, innigen Beziehung mit meinem Mann seit mittlerweile 43 Jahren lebe.
Wenn du heute zurückblickst: Was hat sich seitdem positiv verändert?
Ich fühle mich freier, ich fühle mich unbelasteter, auch weil ich keine Mammographien mehr über mich ergehen lassen muss. Auch brauche ich nicht ängstlich auf das Ergebnis zu warten. Ein gar nicht so kleiner Benefit ist, dass ich auch beim Sport keinen BH tragen muss, das war mir nämlich immer sehr unangenehm.
Ich fühle mich jedoch nicht nur befreit von der Angst vor einer neuerlichen Diagnose, sondern in einem viel übergreifenderen Sinn. Sofort am ersten Tag nach der OP, als ich mich, den Verband noch eng um meine Brust gebunden, im Spiegel sah, jauchzte etwas in mir.
Das Flachsein, die Brustlosigkeit spürte sich so richtig für mich an, warum auch immer. Ich fühlte mich nicht weniger als ich selbst, sondern mehr. In meinen darauffolgenden Forschungen zur Bedeutung der Brust im Leben von uns Frauen, konnte ich erkennen, dass die Brust mich immer sehr exponiert hat den Blicken und dem Zugriff, und dass hier auch viel Traumatisierung stattgefunden hat, und so war die Brustabnahme auch eine Befreiung vom Ort des Geschehens.
Ein weiteres positives Erlebnis war, dass ich am eigenen Leib und Seele erfahren konnte, wie wichtig die innere Vorbereitung auf eine OP ist, um die Nachwirkungen gering zu halten und nicht von einem Verlusterleben nachträglich emotional überrascht zu werden. So verließ ich das Krankenhaus bereits am 4. postoperativen Tag mit dem freudigen Gefühl, eine schöne, intensive, bereichernde Erfahrung gemacht zu haben.
Kein Bedauern, kein Hadern, kein Zweifeln.
Es war eine Wahl getroffen, für die besten Bedingungen der Umsetzung gesorgt, dann war es vollbracht und das war ein großes dankbares Glücksgefühl.
Letztlich – und das ist auch eine Bereicherung für mich – bin ich mir der Endlichkeit noch einmal deutlicher bewusst geworden und habe in diesem Sinn mein Leben noch mal radikaler ausgerichtet, meine Praxistätigkeit sehr reduziert und ich schaue sehr genau, was in meinem Leben Platz haben soll und was nicht.
Wo gab es hinsichtlich dessen die größte Umstellung / den größten Bruch im Vergleich zu früher?
Dass ich zwei sehr lange und deutlich sichtbare Narben habe, die mir nicht so gut gefallen.
Wie nimmst du diese Veränderungen (z.B. in deiner Einstellung/Persönlichkeit) auch im Alltag war?
Eigentlich nur, wenn es darum geht, dass ich mich nackt zeigen „muss“, da kann ich noch nicht so gut dazu stehen, so warne ich die Menschen immer vor, dass sie nicht erschrecken. Im angekleideten Zustand merken es die meisten Menschen gar nicht, obwohl ich eben keine künstlichen Körbchen trage, außer wenn ich ein Dirndl anziehe. Ich glaube, das ist deshalb, weil ich so selbstverständlich damit bin.
Wie hat sich auch dein Umfeld dadurch verändert? (Freunde, Familie, Job…)?
Manche Menschen haben meine Entscheidung nicht verstanden. Ich konnte sehen, wo die Grenzen bei Einzelnen sind. In der Familie hat die letzte Diagnose neuerlich die Beziehung zu meiner Zwillingsschwester belebt und ich habe eine große Innigkeit und ein Mittragen von meinem Mann und meiner bereits erwachsenen Tochter erlebt. Es hat generell eine Art Reinigungsprozess in Bezug auf Beziehungen stattgefunden.
Was ist dir heute wichtig, was dir früher (vor dieser Entscheidung) nicht so klar war?
Ich kann so deutlich spüren, dass meine Weiblichkeit nicht an meine Brüste gebunden ist. Diese Botschaft möchte ich auch anderen Frauen weitergeben, vor allem, wenn sie von Brustkrebs betroffen sind. Deshalb habe ich auch eine Initiative mit dem Titel „Flat is beautiful. Breast Cancer is not the end of femininity“ ins Leben gerufen. Unter diesem Titel haben wir, eine Gruppe von Frauen im Jahr 2019 am Frauenlauf teilgenommen. Es tut mir noch immer im Herzen weh, wie unsere Brüste missbraucht werden im Sinne eines Schönheitsideals und als sexueller Reiz. Sie sind soviel mehr.
Was hättest du rückblickend gerne schon früher gewusst oder gemacht?
Meine Brüste mehr geliebt, sie als meine Brüste gesehen, die so schön und wertvoll, lebensspendend und kräftig sind.
Ich hätte gerne radikaler auf meine Grenzen geachtet, die vielen Neins, die ich nicht gesagt habe, ausgedrückt und damit ein freudvolleres, nicht so braves, angepasstes, leistungsorientiertes Leben gelebt. Vielleicht hätte ich dann auch keinen Krebs bekommen, auch wenn ich in einem größeren Ganzen sehen kann, dass Alles gut und richtig ist, wie es ist.
Zeit meines Lebens als Frau hab´ ich es schwer gehabt mit meinen Brüsten, hab´ sie nur schwer annehmen können, nicht weil sie nicht schön waren, sondern weil sie mich zu sehr exponiert, zu sehr ausgesetzt haben – den begehrlichen Blicken, den An-Griffen.
Dann bei meiner dritten Brustkrebsdiagnose, habe ich entschieden, mich von ihnen zu trennen, sie mir abnehmen zu lassen.
Auch wenn ich es nicht bereue, denke ich, dass es einen Weg gibt, sie zu heil-igen und damit dem Krebs vorzubeugen, beziehungsweise ihn wieder auszuladen, wenn er schon zu Dir gekommen ist.
Deshalb mein heutiges Busen-Liebhab–Rezept mit 6 Zutaten für ein heilsames Leben mit unseren Brüsten (besonders für Frauen, die wie ich eine schwierige Beziehung zu ihren Brüsten haben):
Geh´ mit Deinen Brüsten in Kontakt – schau´ sie an, berühre sie, streichle sie, verwöhne sie mit einem duftenden Balsam, einem Puder.
Sprich mit ihnen – frag´ sie, was sie brauchen.
Frag´ sie nach ihrem Glück und ihrem Leid, ihrer Geschichte,
Freunde Dich mit ihnen an – Tag für Tag.
Gib´ ihnen Halt durch Deine Hände – halte sie hoch, trage sie.
Unterstütze sie – vor allem wenn sie größer sind – mit einem angenehmen, bügellosen BH, in schönen Farben, einem anschmiegsamen Natur-Stoff, wo nichts drückt und schneidet. Das nimmt Dir und ihnen die Last ab, und sie können dadurch einfach sein und sich vertrauensvoll hingeben an den äußeren Halt, umschmiegt von einem zarten, wohligen Stoff.
Mit Schönheit gewürdigt.
Sei in Fühlung mit Deinen Brüsten, kehre die innere Bewegung vom energetischen Rückzug zur Präsenz um.
Da bin ich – ganz so, wie ich bin – eine wunderschöne Frau mit zwei schönen Brüsten.
Brüste wollen keinen Hormon Überschuss. Deshalb reduziere Produkte von Tieren (aus Hochzuchtsanstalten), die ja alle vollgepumpt sind davon.
Bevorzuge Gemüse, viel Grün, viel Erdnahes wie Wurzelgemüse und Vollkorngetreide wie Hirse, Reis, Quinoa, … Das stärkt die Mitte und fördert, so es basisch ist, die Abwärtsbewegung im Körper. Dann kann sich Dein Körper entspannen.
Entspanne Dich, leg´ Dich hin, die Hände auf die Brust gelegt, bergend, summe vor Dich hin, wie eine Mama, die ihr Kind beruhigt.
Lasse die Nacht Nacht sein, verdunkle Dein Zimmer. Vertiefe Dich aber auch immer wieder in das Dunkel Deiner Seele, in Deine Wildheit, in das Abgründige. Verweigere Dich dem Mainstream, dass es vor allem darum geht, im Scheinwerferlicht, im Außen zu sein.
Sticke, stricke, töpfere, bereite Deine Nahrung selbst zu. Das stärkt die Hestia, die Göttin des Herdes, die so ganz mit sich zufrieden, sich ausschließlich dem Innen-Sein widmet.
Noch mehr Zutaten findest Du im wunderbaren Buch: Brustgesundheit – Brustkrebs von Susun Weed. https://krebscoaching.org/buchempfehlungen/bucher/ Hier finden sich auch immer wieder sehr berührende gechannelte Texte, in denen die GroßMütter sprechen.
Zum Beispiel 2 für mich sehr berührende Stellen:
„Wir sind die Alten GroßMütter. Wir sprechen für die Dunkelheit. Wir sprechen für das Chaos. Wir sprechen für den weiten Spielraum, die Kanten. Wir sind hier, um dir zu helfen, deiner leidenschaftlichen, wilden, exzentrischen Natur zuzuhören. Um dir zu helfen, deine Dunkelheit, deine Lockerheit, deine Zeitlosigkeit, deine ungeformten Kanten zu nähren.“
„Die Kraft unserer Brüste ist die Kraft jeder Frau. So wie unsere Brüste Leben bedeuten, so bedeutet die Brust einer jeden Frau Leben. Auch du, EnkelTochter: Deiner Brüste-Kraft ist die Kraft des Lebens. Deine Brüste sind heilig.“
„Become aware of the blood running through your veins. Your heart beating.
Feel!”
Ein kleiner Satz, gesprochen von Wim Hof in einer seiner geführten Atemübungen, hat mich berührt und aufgeweckt.
Vielleicht, so denke ich, hatte ich zum 1. Mal einen wirklich spürbaren Kontakt zu dem Wunder-Werk meines Körpers.
Sekunde für Sekunde greifen Prozesse ineinander, werden Substanzen verdaut, zerlegt, an den richtigen Ort gebracht, Enzyme zur Verfügung gestellt, Atem in Energie verwandelt, Zellen wachsen und sterben gelassen.
Der Körper atmet, er baut auf und ab, und alles in vollkommener Abstimmung.
Er kümmert sich um Wunden und dann auch um die Narben.
Und er heilt und heilt und heilt.
Wie von selbst, ohne mein bewusstes Zutun, tut er das Alles für mich – mein lieber Körper.
Heute vor 36 Jahren hat sich ein großes Wunder ereignet.
Meine Tochter kam zur Welt.
Zuhause im Dachgeschoß unserer Wohnung, ohne medizinische Eingriffe, ganz einfach bahnte sich ihr durchsetzungskräftiges Köpfchen seinen Weg in die Welt.
Dann war sie da, an einem dieser sonnigen Frühherbsttage wie heute.
Ein vollständiger Mensch.
Schon atmete sie, schon schaute sie, schon trank sie die von meiner Brust zur Verfügung gestellte Milch – auch so ein Wunder!
Schon schlief sie, schon schrie sie, schon musste ich Windeln wechseln und schon wuchs sie.
Von Tag zu Tag mehr, bis sie saß, stand und mir in die Arme lief, zu plappern begann, genau wusste, was sie essen – eine Zeitlang nur Erbsen und danach ein Schoko-Eis und trinken – ausschließlich Wasser – wollte.
Bald war er da der erste Schultag. Sie wurde zur Frau, zur Erwachsenen mit allem was dazu gehört, zog in die Welt und ist zu einer wunderschönen, weisen, jungen Frau herangewachsen.
Und auch das ist ein Wunder – sie zu sehen, in dem, wo sie uns ähnelt und in ihrem doch so ganz Eigenen, Neuen, Anderen.
Ein Wunder das Alles, ein Wunder, an das mein Verstand nicht heranreicht.
So lass´ ich lieber meinen verehrten Rilke sprechen.
Mandelbäume in Blüte
Die Mandelbäume in Blüte: alles, was wir hier
leisten können, ist sich ohne Rest erkennen in der irdischen Erscheinung.
Unendlich staun ich euch an, ihr Seligen, euer Benehmen,
wir ihr die schwindliche Zier traget in ewigem Sinn.
Ach wers verstünde zu blühn: dem wär das Herz
über alle
schwachen Gefahren hinaus und in der großen getrost.
Ich habe kleine Texte verfasst, die ich dann in kleine rosa Kuverts tat – rosa, die Lieblingsfarbe meiner Mutter.
Es sind Texte über ihre Schönheit, ihr Künstlerin – Sein, ihre Gabe, das ganze Leben wie das Wetter zu sehen – mal schönes, mal schlechtes Wetter, schönes Wetter ist besser als schlechtes Wetter, so einfach.
Auch über mein Bedauern habe ich geschrieben, darüber, dass ich sie zu Lebzeiten so wenig wahrnehmen konnte, in dem, wer sie aller war.
Davon handeln diese Zeilen:
Danke Danke Ich hab´ Dich lieb
Ich habe sie vermisst, meine Mutter, oder wie es im Englischen heißt, I missed her. Ich habe sie versäumt, verfehlt.
Zu eng war mein Blick auf das Negative.
Konnte sie nicht sehen – in ihrer Schönheit, in ihrem Aufgewecktsein, ihrem jugendlichen Charme, auch in ihrer Liebe.
In den letzten Stunden ihres Lebens konnte ich sie sehen – endlich.
In ihrer Unschuld, ihrer Liebe, ihrem tiefen Wissen, in ihrem Verbundensein mit Gott, in ihrer Freude auf das, was auf sie zukommt und in ihrem Licht.
Ich spür´ ein Bedauern, dass ich nicht bei ihr war bei ihrem letzten Atemzug. Sie hat uns erkannt bis zuletzt, sich angekrallt an uns, genickt, wissend, dass sie uns verlassen wird, verlassen muss.
Dankbar war sie. Über Alles.
Und schrecklich war der Abtransport ins Heim, der Abschied, der keiner war, die Katzen, die zurück blieben, das letzte Mal duschen, einpacken.
Irgendwie fehlt sie mir, meine Mutter. Eigenartig.
Dachte ich doch, dass ich bloß eine riesige Entlastung spüren werde und die jahrelange Bürde von meinen Schultern fällt.
Musste mich gestern nicht testen lassen, um sie im Heim zu besuchen, musste mir nicht überlegen, was sie freuen würde, und was nicht zu wertvoll ist, damit es eine Chance gibt, dass sie sich längere Zeit dran freuen kann – so Einiges ist nämlich leider verschwunden.
Werde keine Bauchschmerzen bei der Anfahrt in´s Heim haben, und keine Angst, wie ich sie heute antreffen werde.
Da gab es so einige Möglichkeiten:
Beste Option: Meine Mutter freut sich wie ein Kind, strahlt über das ganze Gesicht, und teilt allen Umsitzenden mit, dass ich ihre Tochter bin, also die eine Tochter. Das wissen sie bereits, also diejenigen, die nicht nur mehr vor sich hinstarren, sondern die eine kurze Abwechslung begrüßen. Sogleich steht sie auf, auch wenn der Kaffee noch nicht ausgetrunken und der Kuchen nicht aufgegessen ist. Sie entschuldigt sich bei den Kolleginnen – so nennt sie ihre Leidensgenossinnen im Heim – und schon packt sie ihren Mercedes (den Rollator), um schnellen Schrittes wegzukommen. Dann sitzen wir im Kaffehaus – sehr nett – meistens will sie Alkohol, weil sie ja im Heim keinen bekomme, „Nein, Mama, Du kannst jeden Abend ein Glas Wein oder Bier haben, wenn Du magst, Du musst nicht nur Himbeerwasser trinken.“ Ah so, das wusste sie nicht. Ganz erstaunt schaut sie aus ihrem lieben Kindergesicht. Sie greift nach meiner Hand, das ist mir ein bisschen unangenehm, aber natürlich kann ich sie nicht sofort zurückziehen. Einmal sagt sie, nachdem sie sehr lange die Hand meines Mannes hält, entschuldigend, dass sie das bei mir auch tun würde, aber ich hätte sie ja leider weggezogen. Wenn ich daran denke, spüre ich einen Stich im Herzen. Sie trinkt nicht aus, das Sektglas steht vor ihr und wird warm. Dann, wenn ich mich nach einer guten Stunde ans Gehen mache, wird sie es schnell und mit großer Verkutzgefahr austrinken, wenn ich es nicht schon getan habe – halbheimlich – hat ja keinen Sinn, dass der hier verkommt. Das ist die gute Option.
Option 2: Meine Mutter sitzt versunken in die „Heute“ Lektüre am Tisch, sie schweigt, wie auch sonst niemand spricht – trostlos ist das. Ich begrüße sie, diesmal kein Lächeln nur ein angefressenes „dass Du kommst“ – zwischen den Zeilen „endlich“, das sei unerträglich hier, keiner spricht ein Wort, furchtbar das alles. Das stimmt. Augenblicklich bekomme ich ein schlechtes Gewissen, hab ich sie doch ins Heim „gesteckt“. Je nach Wachheitsgrad kontere ich entweder sofort mit einer blöden Bemerkung oder ich bin milde gestimmt und das Blatt kann sich nochmal wenden. Wenn es gut ausgeht, gehen wir ins Kaffeehaus. Heute bestellt sie sich 3 große Eiskugeln – Vorsicht große Anpatzgefahr! Wir machen vielleicht ein paar von den Hausübungen, die meine Schwester für die Woche zusammengestellt hat und wahrscheinlich wird sie wieder sagen, „Heute weiß ich gar nichts.“ – flehentlich, dass ich ablassen soll mit meinen ehrgeizigem Unterfangen, sie geistig fit zu halten.
Option 3: Meine Mama ist zu schwach, um aus dem Sessel aufzustehen, das alarmiert mich „Oh Gott, bald wird sie überhaupt nur mehr im Bett liegen, warum verdammt nochmal bekommt sie keine Physio, warum übt sie nicht selbständig, damit sie nicht abbaut.“ Wenn ich nicht an mich halte, erwecke ich sogleich die Physiotherapeutin in mir und rege an, dass sie gleich nochmal aufsteht und sich hinsetzt, um die Muskulatur zu trainieren. Im Nachhinein betrachtet sind all diese Initiativen irgendwie peinlich.
Beim letzten Besuch war sie in ihrem Zimmer, in einem bequemen Sessel, liebevoll in Decken gehüllt.
Und endlich fiel jeder Anspruch ab und ich konnte einfach mit ihr sein – Einatmen – Ausatmen, einander in die Augen sehen, halten und lieb haben.
Heute ist Muttertag.
Der Erste ohne meine Mutter.
Du fehlst mir, Mama, auch wenn ich glaube zu wissen, dass es für uns beide besser ist, dass Du da bist, wo Du jetzt bist.