Mein gutes Sterben

Keine Sorge, es geht mir gut.

Aber man kann nie früh genug anfangen, sich mit dem eigenen Sterben zu beschäftigen, wie immer es dann tatsächlich sein wird.

Mein gutes Sterben ist ein Prozess, ein bewusster Prozess – kein schnelles hinüber Schlafen, aus dem Leben gerissen ohne jegliche Anzeichen.

Mein gutes Sterben kündigt sich an, ich weiß um mein Sterben und ich mach´ mich auf den Weg – wissend, dass es um meinen letzten Weg geht. Um den letzten irdischen Weg.

Mein gutes Sterben ist schon lange vorbereitet.

Ich weiß, welche Musik ich hören möchte, wenn ich überhaupt etwas hören möchte, ich kann mir nämlich auch vorstellen, dass zu diesem Zeitpunkt die Stille, – wie Eckhart Tolle sagt, „die Sprache Gottes“ die schönste Musik ist.

Mein gutes Sterben ist ein Sterben, das begleitet wird von Menschen, nicht vielen – 2-3 vielleicht, das weiß ich noch nicht so genau -, die mich leise, sanft und aufmerksam begleiten. Sie picken nicht die ganze Zeit an mir und fragen, was ich brauche, weil viel – so glaube ich – werde ich nicht mehr brauchen. Sie sind in Rufweite oder öffnen immer wieder leise die Tür, um nach mir zu sehen.

Meine BegleiterInnen wissen, dass der Tod eine Geburt in eine neue Seinsweise ist. Sie begrüßen diesen Prozess wie sie ein Zur-Welt-Kommen, begrüßen. Sie sind daher ohne Angst, und wenn sie ängstlich oder hilflos sind, achten sie darauf, zu schauen, was sie selbst brauchen, um wieder frei zur Verfügung stehen zu können. Auch die Trauer über den menschlichen Verlust können sie zur Seite stellen für diese Zeit.

Sie sind da. Halten meine Hand, cremen mich ein, wenn ich das möchte.

Sie drängen mir kein Essen auf – schau, ein bisschen was musst ja essen. Sie geben mir schluckweise zu trinken, wenn ich überhaupt ein Bedürfnis habe, etwas zu mir zu nehmen oder sie befeuchten einfach Mund und Lippen.

Sie betten meinen Körper, sodass es bequem ist, halbwegs bequem, weil ganz bequem stell´ ich mir es auch nicht vor – das Sterben.

Sie sind eingestimmt in mich und den Prozess.

Sie atmen mit mir wie eine Hebamme wissen sie, dass mich jeder Atemzug dieser Geburt näherbringt.

Einatmen – Ausatmen

Auch habe ich dafür gesorgt – vielleicht ist das ja eines der großen Herausforderungen für mich – dass alles in Ordnung gebracht wurde, meine Überweisungen ebenso wie mein Nachlass und meine Beziehungen, die ich bestenfalls befriede, da wo Unfrieden ist.

Mein gutes Sterben ist begleitet von den Segnungen unserer Kirche, der Christengemeinschaft.

Es werden all die wunderbaren Sakramente wie die Krankenölung über die Aussegnung am offenen Sarg nach drei Tagen, die Bestattung und dann noch die Seelenmesse, die bei uns Totenweihehandlung heißt, gespendet und sie helfen mir, mich vom irdischen Sein zu lösen und in einer andere Seinsqualität überzugehen.

Das Bewusstsein, dass das alles geschieht, dass für meine Seele gesorgt wird, trägt und hält mich, es hilft mir, mich anzuheben und gleichzeitig sinken zu lassen.

Mein gutes Sterben ist auch unterstützt von den lindernden Maßnahmen der Medizin, ich möchte keine schlimmen Schmerzen ertragen, weil, so mein Empfinden, Schmerzen mich an meinen irdischen Leib festkrallen lassen.

Einatmen – Ausatmen

Irgendwann werde ich das letzte Mal ausatmen. Und dann werde ich drüben sein, aufgenommen von all meinen Lieben, meinen Eltern, meinen Seelen-Verwandten, meinen Krebsschwestern und vielleicht sogar von meinen geistigen Lehrern, dem Willi und dem Lenny zum Beispiel.

Vielleicht muss ich mich noch ein bisschen zurechtfinden, vielleicht werde ich mich auch sehnen nach Orten, Zuständen, nach den Pflanzen und Tieren.

Dennoch – ich bin gewiss, dass ich die Loslösung schon schaffe, wie ich so vieles geschafft habe in meinem Leben.

La Mamma – der Muttertag

Wahrscheinlich haben wir als Kinder Gedichtchen aufgesagt und Bilder gemalt und waren schon früh auf, um an diesem einen Tag ein Frühstück für unsere Mama, die wir Judy nannten, vorzubereiten.

Und besonders artig mussten wir natürlich auch sein, damit sie sich ja nicht kränkt, da hat unser Vater drauf geschaut.

Wahrscheinlich hat sie sich da gefreut. Dann war er wieder vorbei – der Tag der Mutter.

Am Montag danach war wieder alles wie immer.

Unsere Mutter stand als Erste auf – so gegen halb sechs –, um ihrem Mann die Kleidung von der Unterhose bis zur Krawatte zu richten, und den Tee und das Frühstück zu zubereiten, die Kinder aufwecken, die Schuljause einpacken.

Dann, als alle aus dem Haus waren, hat sie sicher mal ausgeatmet, denk ich mir.

Zusammenräumen, Einkaufen, Mittagessen zubereiten, auf die Kinder warten, zu Hause bleiben, immer zuhause bleiben, weil mein Vater niemals einen Schlüssel mitnahm, sie war ja ohnehin immer da. Den Beruf beim Steffl, wo sie mit ihren geliebten Stoffen zu tun hatte, hat sie längst aufgegeben für die klassische Rolle der Haus-Frau.

Zuhause sein, Hausfrau sein, Nähen, Bügeln, Wäsche waschen, spielen, dem Mann dienen.

In erster Linie dem Mann dienen.

Dafür sorgen, dass die Kinder ruhig sind, wenn er gestresst von der Arbeit heim kommt, Gsch Gsch…schnell ins Kinderzimmer, der Papa braucht seine Ruh.

Wenn er weg war, auf einer seiner Geschäftsreisen hatten die Mädels Kirtag – Fisch essen, aber nur am 1. Tag, damit er ihn ja nicht riechen konnte.

Schwimmen und Eislaufen gehen und keine Angst vor seinen Zuständen und seinem Gebrüll haben.

Ein bisschen frei und frech sein. Weil frech, keck war sie auch – meine Mama – lang vor der Sozialisation als Ehefrau.

Schade eigentlich, hätte sie gerne besser kennengelernt die freche, kleine, pfeifende Erni, die den Kopf noch nicht einzog, immer mal eine Ansage macht, auf den Tisch haut, zurückbrüllt, dass es ihr jetzt wirklich reicht, ihre starken Mädels packt, den Alten sich ausspinnen lässt, ab in die Kondi, Sachertorte mit Schlag und Kaffee oder Kakao und lachen, viel lachen und frei sein.

Schluss mit den Vorwürfen.

Die habe ich ihr schon zu Lebezeiten oft genug gemacht.

Dann hat sie schuldbewusst den Kopf gesenkt und sich flehentlich an ihren geliebten Schwiegersohn gewandt mit der Frage: „Thomas, war ich wirklich so eine schlechte Mutter?“ Das konnte er natürlich nicht wissen und überhaupt hat er sie sehr lieb gehabt. „Aber nein, liebe Erni, Du warst sicher eine gute Mutter.“

Wahrscheinlich würde ich sie nach wie vor im Regen stehen lassen mit der Frage, ärgern würde ich mich, wenn sie immer, wenn ich endlich etwas Unbequemes ausspreche, mit dieser Killerfrage antwortet statt sich anrühren und erschüttern zu lassen.

Jetzt 3 Jahre nach dem 1. Muttertag ohne sie möchte ich sie beantworten, und auch wenn das jetzt vielleicht abgeschmackt klingt: Du hast Dein Bestes gegeben.

Du warst immer großzügig – meintest bei jedem neuen schönen Kleidungsstück, „ich kauf Dir den schönen Rock, kann ja das Geld nicht mitnehmen und geb´ lieber mit einer warmen Hand.

Witzig warst Du und nicht nur, wenn Du den Judy Affen nachgemacht hast.

Und bemüht – bist mit uns, den Zwillingen durch halb Wien zum Eislaufverein oder ins Laabergbad oder täglich ins Amalienbad, damit ich mich beruhige, wenn ich wieder ganz im Schulstress war.

Hast uns die schönsten Kleider genäht und fürs Christkind die Puppen-Röckchen und Jäckchen.

Hast unser Lieblingsessen gekocht und warst auch nicht besonders beleidigt, wenn wir doch wieder nicht oder zu spät nach Hause kamen.

Hast Dich nicht aufgelehnt, schon gar nicht geschimpft oder mich auch nur den Schmerz spüren lassen, als ich mit 16 von einem Tag auf den anderen ausgezogen bin – jetzt selbst Mutter einer sehr selbständigen Tochter weiß ich, wie hart es ist, den Kindern die Freiheit zu gewähren.

Hast mich getröstet, wenn ich es zuließt.

Und hast Dein Schicksal als Zwillingsmutter ohne Murren und Hadern angenommen, wie Du so viele Zumutungen des Lebens angenommen hast.

Danke liebe Mama für Alles.

Und ehrlich: Ich war sicher auch keine gute Tochter. Oft tut mir das leid, auch wenn ich nicht weiß, ob ich jetzt liebe- und verständnisvoller zu Dir sein könnte.

Das musste auch mal gesagt werden.

Drei Mal Sterben

In der derzeitigen Zeitqualität sind 3 kurze Texte entstanden zum Sterben (– Lassen). Ich verstehe sie als Beitrag zur Ermutigung.

Sterben und die Hingabe

Die Krebstherapie ist zumeist auf ein Überleben, eine Vermeidung des Sterbens ausgerichtet.

Vielleicht jedoch, so denke ich, ist die Sterbevermeidung das größte Hindernis am Heilungsweg und die Hingabe an diesen Lebens-Prozess, der das Sterben in meinem Verständnis ist, die größte Heilungsmöglichkeit.

Weil die Vermeidung ein Nein ist und die Hingabe ein Ja, ein Einverstanden Sein, ein Eins-Werden mit diesem Prozess.

Die gute Nachricht: der Prozess ist nicht an die Materie geknüpft, also hört der Prozess auch nicht mit dem Tod der Materie auf, geht auf einer anderen Ebene weiter und weiter und weiter, bis sich wieder Materie kreiert, ein neuerlicher Verdichtungsprozess beginnt, aus dem wir uns dann erneut lösen.

Am besten bereit willig.

Sterben und das Auferstehen

Das Sterben beginnt mit dem ersten Lebenstag.

Schon fällt das erste Hautschüppchen, schon beginnt der Prozess des Wandels.

Kein Wandel ohne Sterben.

Dieser sich stets ereignenden Tatsache zum Trotz haben wir alle Angst vor dem Sterben. Und auch das ist ganz natürlich, ist doch die Angst in unserem Körper zuhause.

Wenn es jedoch gelingt, uns aus der Verhaftung mit dem Körper zu lösen, dann verlieren wir einen Großteil unserer Angst und wir gewinnen Gewissheit, Freude, Stille, ein Hier Sein.

Im Sterben Lassen von Zukunft und Vergangenheit, im Ausstieg aus der Linearität, sind wir im Jetzt und damit in der Ewigkeit.

Im Jetzt gibt es keine Zeit, oder man könnte auch sagen, die Zeit steht still.

Angehalten.

Sich in den Augenblick sterben lassen, und damit ihn ihm geboren werden.

In ihn.

In ihm.

Und dann geschieht die Auferstehung von der Horizontale der Linearität in die Vertikale der Aufrichtung.

Und dann verweilen, Still – Stehen zwischen Himmel und Erde.

Und schon kommt aus dem Himmel die Inspiration, die Eingebung.

Genau richtig.

Sie ist ein Himmelsgeschenk, nicht von dieser Welt.

Dann darf ich mich nicht einmischen.

Das göttliche Licht, das Wissen geht durch mich durch bis in mein Herz.

Und hier ist die Begeisterung.

Und weiter geht es bis in die Hände und die Füße und dann geschieht die Tat.

Aus sich heraus, wie von Selbst.

Ein Schritt.

Eine Hand-lung.

Sterben und das Nadelöhr

Sterben – Lassen, bereitwillig, auf dass das Kamel durch´s Nadelöhr geht.

Seelenfülle statt Leibdichte.

Sich dünner werden lassen, um das Ätherische zu mehren.

Von der Verdichtung zur Verfließung.

Von der Substanzverhaftung zur Essenzialität.

So sehr um mich zu wissen, ohne über mich zu wissen, ohne ein “Ich bin die und die und die“, also ohne Identität, sodass ich (endlich) mich frei bewegen kann, ganz da bin, zur Verfügung, ohne über mich verfügen zu lassen, oder vielleicht auch das.

Mich verschenken, mich hingeben und mich darin finden, ohne Beschreibung.

Wortlos.

Und dazwischen aufstehen, um bei der nächsten Gelegenheit wieder nieder zu sinken, ein stetes Aufstehen und Sinken.

Sanft beides.

Eine webende Bewegung, einem fließenden Tanz gleich.

Und dann geschmeidig hinübergleiten in diesen Zustand, den man Tod nennt.

Ganz einfach und ohne Aufwand.

!Das wunderschöne Bild ist von meiner Freundin Elisabeth Roller

Überlebt

Zum 2.“Geburtstag“

Zum Schluss gab es noch die Topfenpalatschinken.

Grad serviert, öffnete sich die Krankenzimmertür, und ein bis zur Unkenntlichkeit verkleideter Arzt sagte dieses eine erlösende Wort – „Negativ“.

Fassungslos war ich da.

Nach gefühlt unzähligen Tagen der Enttäuschung, „noch immer positiv“, konnte ich mich plötzlich anziehen und gehen.

Der Krankentransport war im Anmarsch, so musst es schnell gehen.

Gar nicht so einfach, das Bücken, die Schuhe zubinden, die paar Sachen zusammenpacken, mich von der armen alten Frau, die seit Tagen im Nebenbett lag, verabschieden, noch die eine oder andere grausliche Bemerkung einer Krankenschwester hören.

Und dann konnte ich durch die Tür des Zimmers, das für mehrere Tage mein Gefängnis war, nach Draußen treten auf den Gang, wo sie alle standen, plötzlich mit offenem unbedeckten Gesicht – Standing Ovations.

Sie hätten nicht geglaubt, dass ich es überlebe, und sie würden sich sehr freuen.

Erstaunlich.

Gab es doch zwar auch Menschen, die für mich engelsgleich warmherzig und fürsorglich waren. Die Krankenschwester, die sich so dezent um intime Notwendigkeiten kümmerte, mir die verwickelten Haare entknotete, sich beglückt über meine Haarfarbe äußerte, und mir schließlich die Bilder all der Betreuungspersonen zeigte, die ich ja – da vermummt – nie zu Gesicht bekam.

Oder der Oberarzt, der im Gegensatz zu den anderen seiner KollegInnen mich ermutigte, mich lobte, dass ich so gut mitwirken würde, und der mir Hoffnung gab, dass ich bald einmal von der Intensiv- auf die Normalstation wechseln könne. Ich erinnere mich an sein Erstaunen, als ich ihm meinen Dank ausdrückte und ihm sagte, wie wertvoll es sei, so bekräftig zu werden, einfach menschlich. Das sei normal, meinte er nur. Nein, war es leider nicht. Hatte ich es doch vor allem mit der Geringschätzung, der Wut und auch dem Hass, der mir entgegenschlug, zu tun.

Mir, der Ungeimpften, wegen der man diesen Scheißjob – O-Ton des Sanitäters – machen müsse, die, die selber schuld sei, wenn sie jetzt stirbt, die die es sich früher überlegen hätte sollen, die, die halt stirbt, wenn sie die künstliche Beatmung ablehnt.

Es war ein Martyrium.

Nicht nur die Krankheit, deren tödliches Potential ich unterschätzt hatte, sondern und vor allem die Unmenschlichkeit, die mir wederfahren ist.

Und Nein, das war nicht bloß Ausdruck und Ergebnis einer über damals fast 2 Jahre währenden Stressbelastung. Dieser Hass, diese Unerbittlichkeit, die Verachtung, die Härte und die Unbarmherzigkeit ließ mich in die Abgründe menschlicher Seele blicken, und erschütterte mein Vertrauen in die Menschheit und leider auch in das Medizinsystem nachhaltig so sehr, dass ich jetzt 2 Jahre danach, als ich es neuerlich mit einer Viruserkrankung zu tun hatte, genau wusste, ich werde und kann keine Rettung mehr anrufen, um um Hilfe zu bitten.

Zwei Jahre habe ich dem Geschehen in meinen Erzählungen die Spitze genommen, auch weil ich bald merkte, dass die Menschen, auch wenn sie zu meinen FreundInnen zählen, das nicht hören wollten. Kein Eingang, nur Abwehr, ja, aber die Pflegepersonen müsse man auch verstehen, einfach überfordert, fertig, konnten nicht mehr.

Dann war ich schnell einmal still, enttäuscht über das Unverständnis.

Hej, wollte ich sagen, und tat es dann oftmals doch nicht, „Hej, das, was ich und sicher viele andere – als Ungeimpfte – erlitten habe(n), ist eine, wenn auch vielleicht nicht neue, so doch eine andere Dimension.

Da geht es nicht um eine bissl mehr oder weniger grantig, forsch sein, da geht es um einen Verlust an Menschlichkeit, wo selbst einer Sterbenden nicht mit Mitgefühl begegnet wird, sie vielmehr, so sie den Notfallknopf drückt, 4 Stunden warten gelassen wird, und dann ungehalten und schreiend ins Zimmer gestürmt wird, erzürnt über die Störung.

Kein Gruß, keine Frage, nur spürbare Ablehnung.

Ich war kein Mensch mehr, sondern nur mehr eine Ungeimpfte. So habe ich das empfunden.

Und sie – die Ungeimpften – sind an allem schuld – das war common sense.

Das war der Boden, auf dem all die Ungeheuerlichkeiten stattfanden.

Das Alles – die Betretungsverbote, der Ausschluss eines Drittels der Menschen von wichtigen Lebensbereichen, die Diskriminierung, das Mobbing, der Verlust des Arbeitsplatzes, die Überlegungen, Ungeimpfte überhaupt von der medizinischen Versorgung auszuschließen, ihnen keinen Intensivplatz zuzugestehen, all das konkretisierte sich in meiner Erfahrung im Krankenhaus.

The „Body keeps the Score“ heißt ein Standardwerk des Traumaforschers Bessel van der Kolk.

Ich kann mittlerweile meine Wunden versorgen, aber – und das habe ich auch dieses Jahr neuerlich gemerkt, mein Körper weiß darum. Spürbar.

Und vielleicht ist das ja auch gut so.

Heute vor 2 Jahren bin ich entlassen – Sic! – worden.

Es war der schönste Tag in meinem Leben, auch wenn ich mich das kaum zu sagen traue, gab es doch auch die Geburt meiner Tochter, Hochzeitstage, meine Promotion, und noch so einige andere Hoch-Zeiten.

Jedoch dieser eine – der 1.12.2021 war der Allerschönste.

Ent-lassen.

Ent-kommen.

In die Arme meiner Liebsten, keine Gefahr mehr, keine Über-Macht, keine Schmerzen.

Nur Liebe, Geborgenheit und Sicherheit.

Darüber und über die Erkenntnis, wie kostbar das Leben an sich ist – ganz ohne Zutat – bin ich zutiefst dankbar.

Aller Seelen

Gewidmet meinen lieben Krebsschwestern im Himmel

„In die rosarote Landschaft des Brustkrebsbewusstseins wird regelmäßig nur eine Art von Menschen, die Brustkrebs hatten, zugelassen: die Überlebenden.“ sagt in etwas provokanter Weise Anne Boyer in ihrem spannenden Buch „Die Unsterblichen – Krankheit Körper Kapitalismus“

So will ich heute all denen eine Stimme geben, die den Kampf gegen den Krebs, so wie man sagt, verloren hätten.

In dem Moment, wo sie ihr irdisches Dasein beenden, verstummen sie.

Vielmehr wollen wir sie nicht mehr sehen, aus unserer Wahrnehmung schließen wir sie aus, wollen uns nämlich nicht an das vermeintliche Scheitern erinnern, das uns schmerzlich an unser Eigenes denken lässt.

Da halten wir uns lieber an jene, die auch den unheilbarsten Krebs besiegt haben.

Sie sind unsere Heldinnen, unsere Vorbilder.

Sie haben es geschafft.

Sie leben.

Aber – so frage ich mich – sind sie deshalb geheilt?

Und was ist das eigentlich Ge-heilt-Sein?

Ist das Überleben, das Hier-Bleiben auf der Erde ein Zeichen, dass wir heil sind?

Oder gibt es nicht auch eine Heilung, die trotz des leiblichen Ablebens stattfinden kann?

Ein Heilsein, das sich vielleicht nicht an den Jahren des Überlebens, an den medizinischen Werten, am Rückgang des Tumorgeschehens bemisst, sondern in einem nur zu erahnenden Seelen-Heil, einem Frieden, einer Läuterung.

So denke ich heute an Elsa, die mir kurz vor ihrem Tod eine Stunde vollkommenen Friedens, Heil-Seins schenkte.

Kein Konflikt mehr, keine Angst, kein Widerspruch, erlöst von Kämpfen und einem Dagegen.

Da gab es keinen Unterschied mehr zwischen dem so ersehnten nachtodlichen Frieden und dem Jetzt.

Still war es – überirdisch still.

Ich denke auch an Gunda, die so ganz bewusst war über ihr bevorstehendes Sterben und eines Tages – 2 Monate vor ihrem Tod – auf meine Frage, worum es heute in unserer Stunde gehen könnte, meinte, um ihr Sterben und der Bitte, dass ich sie begleiten möge. Welch´ ein – hin und wieder durchaus herausforderndes – Geschenk.

Auf einer bewussten Ebene war sie einverstanden, sagte Ja zu ihrem jungen Sterben. Vorbildhaft regelte sie ihre Angelegenheiten, versöhnte sich, wo Versöhnung nötig war, plante minutiös ihr Begräbnis, sah dem Tod in die Augen, und dann wehrte sich ihr junger Körper, allem Sterben-Üben zum Trotz, stemmte sich, wie wenn sie eine Türe zum Öffnen zuhalten würde.

Sie starb – an meinem Geburtstag vor vielen Jahren, und dann kamen wir alle wieder zusammen, wie wir das in den letzten Wochen ihres Lebens immer wieder getan hatten.

Da lag sie, den von ihr gewählten Lippenstift aufgetragen von uns, den ihr nächsten Frauen, gewandet in ein Designerkleid – auch das sorgfältig gewählt.

An den Füßen kuschelige Socken, nicht mehr gebraucht, aber gewollt. Da lag sie dann und war überirdisch schön, eine Schönheit, die ihre weltliche noch übertraf.

Ich denke auch an Ramona, die Tapfere, die ihren Weg ging, im wahrsten Sinne das Wortes – nicht einmal verschob sie ihren Chemotermin, um den Jakobsweg zu gehen.

Sie nahm Alles in Kauf – den Haarverlust, – geh´, da gibt es echt Wichtigeres – die Schmerzen und die Eingriffe.

Sie trotzte dem Tod über viele Jahre. Von vielen wurde sie deshalb bewundert, und dann starb sie doch –  im Kreise fürsorglicher Frauen. Kein Gehen mehr, nicht mal ein Aufstehen – Hingabe statt Entgegentreten war angesagt. Das war schwer.

Sie und alle anderen, die in die andere Welt gegangen sind, haben es gemacht, wie sie es gemacht haben.

Und ich kann mit einem wertfreien Blick sehen, dass dieser je eigene Weg ein genau richtiger war, und dieser je eigene Krebsweg – immer –  einem Gesamtkunstwerk gleicht.

Dann entspannt sich etwas in mir, und bei allem persönlichen Verlust und Bedauern kann ich die Schönheit darin sehen.

Wie tröstlich zu wissen, dass, wie schmerzlich der Weg auch war, er ein von ihnen auf der Seelenebene getroffener war.

Eine Wahl genau dieses Schicksals, mit allem Drum und Dran, dem Leichten und vielem Schweren.

Wie tröstlich auch, dass sie noch immer da sind. Befreit von menschlichem Wollen können sie uns unterstützen, mit uns sein, uns bezeugen, wahr-nehmen, lieben, weil sie der Erdenschwere enthoben sind und frei.

Wie tröstlich auch, dass das Leben weitergeht, immer weiter und weiter, dass nichts zu Ende ist, niemals.

Dieses Wissen hochzuhalten und sich gleichzeitig der Endlichkeit bewusst zu sein, zu wissen, dass jeder Moment der Letzte sein kann, dass alles, was wir tun, vielleicht das Letzte ist, das wir tun können – hier auf der Erde, ermöglicht mir, mich nicht nur um die Erhaltung meiner leiblichen Existenz zu bemühen, sondern darum, meine Seelen-Bedürfnisse zu entdecken und ihnen gerecht zu werden, auch das nicht einem Bild gehorchend, sondern darin meinen ureigensten Klang, meine Tönung wahrzunehmen, die ich – und nur ich – hier in dieser Inkarnation dem Ganzen hinzufüge.

Es heißt ja immer „Ruhe in Frieden“. In dem oben gesagten Sinne wäre „Wirke in Frieden“ – wo immer Du bist – inkarniert oder gerade nicht inkarniert, der stimmigere Aufruf.

P.S. Zwei Bücher möchte ich noch empfehlen, die mich in dem Vertrauen bestärkt haben, dass die geistige Welt immer (für uns) da ist, und das Leben (auf verschiedenen Ebenen) immer weiter lebt:

Das Erste ist von Bruno Bitterli-Fürst und heißt „Tod und Leben. Mit Betrachtungen aus dem Jenseits von Elisabeth Kübler-Ross.“ In diesem schönen Büchlein meldet sich immer wieder Elisabeth Kübler-Ross, die legendäre Begleiterin von Sterbenden zu Wort und was sie da vermittelt ist unglaublich schön und ein wahrer Trost.

Ich könnte nahezu das ganze Buch zitieren, so viel Erhebendes, Inspirierendes, Tröstliches ist darin zu lesen.

Ich wähle einen Abschnitt, der für mich gerade in der jetzigen Zeitqualität von Bedeutung ist:

„Wir sind uns meistens bewusst, dass wir das, was ist, nicht wirklich verändern können. Aber wir können die Liebe, die in uns wohnt, mit den Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen, zum Ausdruck bringen. Gerade jetzt bin ich nicht die Einzige, die Worte zu Bruno spricht. Ich bin mit vier anderen Wesen anwesend. Ich kann euch sagen, dass es sehr beflügelnd ist, die eigene Individualität aufzugeben, um eine Wesen zu kreieren, das aus fünf Einzelwesen besteht. Und dann, wenn dieser Fünfer Tanz zu Ende getanzt ist, lösen wir den Verbund und lassen uns weiter von der Welle der Liebe ins nächste Abenteuer führen. Dann kann es geschehen, dass ich eure feinen Körper zusammenschliessen und aus diesem Zusammenschluss etwas gänzlich Neues entsteht. Etwas, das jemand alleine nicht hätte erschaffen können; etwas Einzigartiges, das durch die Anwesenheit exakt dieser Beteiligten möglich wurde.“

Auch das zweite Buch mit dem Titel „Menschsein im Jetzt“ ist ein wahrer Schatz.

Hier hat Ana Pogacnik Gespräche mit der Seele ihrer verstorbenen Schwester Ajra geführt. Ich habe fast das ganze Buch unterstrichen, und ich könnte viel Wertvolles zitieren.

Ich habe einen Absatz gewählt, weil in ihm die ewige Natur der Seele betont wird. Das ist gerade in einer (medizinischen) Welt, die das irdische Weiterleben, so finde ich, überbetont sehr wesentlich und darüber hinaus auch beruhigend.

„Wenn wir die zyklische und ewige Natur der Seele kennen und wissen, dass wir als Seelen gerade deswegen durch verschiedene Inkarnationen reisen, um zu lernen, zu üben, zu heilen und zu wandeln, dann verstehen wir auch, dass die Seele immer wieder durch Nadelöhrsituationen hindurch gehen muss, um sich tiefer zu reinigen, noch gründlicher mit sich selbst zu konfrontieren, noch deutlicher ihr eigenes Sein zu begreifen, noch klarer herauszuschälen, worum es im Leben eigentlich geht und so noch konkreter im Leben zu landen.“

Silberhochzeit – 25 Jahre Leben mit Krebs

Heute vor 25 Jahren an einem strahlenden Maitag fand meine 1. Krebsoperation statt – an unserem Hochzeitstag, bewusst gewählt, mein lieber Mann an meiner Seite.

Still war es und groß.

Es sollten noch 3 weitere folgen –  eine links, eine beidseits, und dann noch eine links.

Dann vor einem Jahr wollte ich nicht mehr. Keine Biopsie des verdächtigen Rundherds in der Lunge, schon gar keine Operation.

Jupiter, so wie ich den Herd nannte, will bleiben.

Von außen betrachtet ist die Bilanz keine Heldinnengeschichte – keine Spontanheilung, kein heroischer Verzicht auf schulmedizinische Behandlungen, keine radikalen Veränderungen, hab´ meinen Mann nicht verlassen, den Beruf nicht gewechselt, ja nicht mal aus Wien bin ich dauerhaft rausgekommen.

„Habe ich genug getan?“, fragt Gunnar Kaiser in seinem berührenden youtube Beitrag anlässlich einer kurzen Überlebensprognose.

Wahrscheinlich nicht, denke ich, wahrscheinlich habe ich nicht genug getan.

Auch wenn ich über Jahre, Jahrzehnte höchst diszipliniert war, tägliches Meditieren, Yoga, ayurvedische Ernährung, Sport, …, ist da etwas in mir, was sich (noch immer) nicht heil anfühlt.

Wenn ich nicht aufpasse, breche ich sogar jenen Schwur, den ich, vom Tod bedroht, vor 1 ½ Jahren auf der Intensivstation getroffen habe ,– dass ich das Leben Wollen hoch halte und niemals mehr in Frage stelle.

Wenn ich dann jedoch meine „Zustände“ habe, der Körper tobt, der Geist rast, der Abgrund nah ist, ich mich ausgeliefert fühle, es trotz all meiner Fachkompetenz und meiner vielen Tools nicht abstellen kann, ja vielleicht nicht mal will, weil der Sog zu groß ist.

Dann will ich raus, raus aus dem Körper, diesem Unwohlort, hin an einen Platz, wo es still und friedlich ist, der Tod als Sehnsuchtsort.

Keine gute Prognose für ein krebsfreies, gesundes Leben.

Und dann ist da auch die Scham, darüber, dass ich es nicht „schaffe“, was auch immer da zu schaffen wäre.

Und ich höre und lese von all den wahren Heldinnen, die seit Jahrzehnten stabil gesund, krebsfrei und glücklich leben.

Das macht es nicht besser.

Ich ziehe mich beschämt zurück, verstumme.

Und leide.

Mal mehr, mal weniger.

Ja so ist es.

Heute ist es leichter, heute an unserem 33. Hochzeitstag.

Kann die Dankbarkeit fühlen über den Himmel, den Zipfel des Lindenbaums vor dem Fenster, diese riesige Baum Göttin, die unsere Nachbarn nicht gefällt haben, trotz all der Arbeit, die sie öfter mal beklagen.

Bin dankbar, dass wir gleich in unser Häuschen an der Donau fahren, mit den vielen Rosen, die vielleicht noch rechtzeitig vor unserer Abreise nach Montreal erblühen werden.

Bin dankbar über unsere Tochter, diese schöne, weise, junge Frau.

Und über meinen Mann, diesen wunderbaren Wegbegleiter, der seit 42 Jahren in meinem Leben ist, den Liebenden, den besten aller Ärzte, der mir Rilke, Monteverdi, und das Streichquintett von Schubert nahe gebracht hat, der mir Liederzyklen singt, mit dem ich Wahrnehmungen über die Welt und die Menschen teilen kann, der mir vom Himmel als mein Lebensmensch geschenkt wurde, und der mich durch alles durch liebt, auch wenn es wahrlich oft nicht leicht ist.

Welch´ ein Geschenk.

Für all das und noch mehr kann ich heute dankbar sein.

Auch darüber, dass mich mein Leid zu einer Anwältin für Leidende gemacht hat, dass ich sie wahrnehmen kann in der Änderungsresistenz, im Drinhängen, in der Todessehnsucht und darin, dass sie wie ich den Glücksanforderungen, dem Selbstoptimierungszwang nicht gehorchen können, vielleicht auch nicht wollen.

Und dann bin ich dankbar, wenn ich wie kürzlich Sätze wie die von Gabor Maté finden kann.

„Drop the shame and look at the context.

It´s not your fault.

Work on developing that compassion of yourself….”

Heute ist es gut.

Jetzt ist es gut.

Welche Gnade.

Oder um es mit meinem lieben Rilke zu sagen:

Ich lebe mein Leben in wachsendem Ringen,

die sich über die Dinge ziehn.

Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,

aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,

und ich kreise jahrtausendelang;

Und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm

oder ein großer Gesang.

Mutter-Tag – der 2. ohne sie

Schön Schön Danke Danke Ich hab´ Euch lieb

Das waren die letzten Worte meiner Mutter.

Am 28.4. 2022 starb sie.

Anlässlich ihres Todestages habe ich mir nochmal Bilder von ihr herausgesucht.

Ich habe ihre vielen Gesichter gesehen und sie in einem Album gewürdigt – ein wunderschönes Album, das meine Freundin Manou Pusker https://mediumandhealercollege.com/author/manougardner/ selbst fertigte. Danke Du Liebe!

Ich habe kleine Texte verfasst, die ich dann in kleine rosa Kuverts tat – rosa, die Lieblingsfarbe meiner Mutter.

Es sind Texte über ihre Schönheit, ihr Künstlerin – Sein, ihre Gabe, das ganze Leben wie das Wetter zu sehen – mal schönes, mal schlechtes Wetter, schönes Wetter ist besser als schlechtes Wetter, so einfach.

Auch über mein Bedauern habe ich geschrieben, darüber, dass ich sie zu Lebzeiten so wenig wahrnehmen konnte, in dem, wer sie aller war.

Davon handeln diese Zeilen:

Danke Danke Ich hab´ Dich lieb

Ich habe sie vermisst, meine Mutter, oder wie es im Englischen heißt, I missed her. Ich habe sie versäumt, verfehlt.

Zu eng war mein Blick auf das Negative.

Konnte sie nicht sehen – in ihrer Schönheit, in ihrem Aufgewecktsein, ihrem jugendlichen Charme, auch in ihrer Liebe.

In den letzten Stunden ihres Lebens konnte ich sie sehen – endlich.

In ihrer Unschuld, ihrer Liebe, ihrem tiefen Wissen, in ihrem Verbundensein mit Gott, in ihrer Freude auf das, was auf sie zukommt und in ihrem Licht.

Ich spür´ ein Bedauern, dass ich nicht bei ihr war bei ihrem letzten Atemzug. Sie hat uns erkannt bis zuletzt, sich angekrallt an uns, genickt, wissend, dass sie uns verlassen wird, verlassen muss.

Dankbar war sie. Über Alles.

Und schrecklich war der Abtransport ins Heim, der Abschied, der keiner war, die Katzen, die zurück blieben, das letzte Mal duschen, einpacken.

Ein Koffer voll Leben.

Nur ein Koffer.

Liebe Mama, ich sehe Dich.

Ich freu mich über Dich.

Ich bin dankbar für Dich und uns.

Und lieb hab´ ich Dich auch.

Hingabe und Auferstehung

Eine kleine Osterbetrachtung.

„Habe ich genug getan?“ Diese Frage stellte sich Gunnar Kaiser in einem berührenden Youtube Beitrag vor einigen Wochen. https://www.youtube.com/watch?v=_P2cc1fH7Jw&t=0s

Er tut dies einige Monate nachdem die Ärzte meinten, dass seine Krebserkrankung so weit fortgeschritten sei, dass er die „letzten Dinge vorbereiten“ möge.

Er erzählt uns in diesem Video, dass er zu beten begonnen habe und sich die Frage stellte, ob er genug getan hat: Habe ich genug gebetet, fragt er sich, und ob er seinen Töchtern genug (Vorbild), seiner Frau genug qualitätsvolle Zeit gegeben hat, aber auch, ob er in Bezug auf seine Krankheit und Gesundheit – Ernährung, Lebensstil – genug getan habe.

An all diesen intimen Fragen lässt er uns teilhaben. Das ist sehr berührend.

Gunnar Kaiser hat mich inspiriert, darüber nachzusinnen, was diese Frage für mich bedeuten mag.

Und wie wertvoll es ist, sich diese Frage immer wieder zu stellen. Es ist mir bewusst geworden, dass diese Ausrichtung auf´s Tun auch heikel sein kann, weil sie so nahe an der Leistung ist. Sie berührt damit ein Thema, mit dem so viele krebskranke Menschen und nicht nur sie (ihr Lebtag) zugange sind – habe ich genug getan, genug gegeben?

So führte mich meine innere Suche der letzten Tage zu einer für mich stimmigeren Frage: Wie sieht es mit meiner Hingabe aus? Habe ich mich genug hingegeben – an mich, an meine wahren Bedürfnisse, an meinen (spirituellen) Weg, in den Begegnungen mit anderen und mir selbst, oder hab´ ich mich zu sehr abgelenkt, mich verzettelt, bin dem Leid, dem Schwierigen ausgewichen und damit der Erfüllung, dem Glück?

Vielleicht – so denke ich – ist es ja nicht das, was Krebskranke machen, um Heilung zu erfahren, vielleicht ist es ja nicht Miriam Reichel´s Diät oder Bettina Flossmann´s Dispenza Meditation, die ihnen ein krebsfreies und erfülltes Leben bereitet haben.

Vielleicht ist es ja die bedingungslose Hingabe an ihren Weg, die zur Heilung führte.

Da war zunächst ein Anerkennen der Krebsdiagnose, dann ein Entschluss und dann eine Treue zu diesem Entschluss. Keine inneren Verhandlungen, keine Halbherzigkeit, eine Eindeutigkeit und Beständigkeit im Gehen dieses von ihnen gewählten Weges.

Ich erinnere mich aber auch an Menschen wie Stephanie Gleising und Anita Moorjani, die ohne Hoffnung auf Heilung gnadenvoller Weise wahrlich vom Sterbebett aufgestanden sind.

Genügt es, so frage ich mich, darauf zu vertrauen, dass es diese Gnade immer geben kann, diese Wendung.

Und was könnte mein Beitrag sein?

Vielleicht geht es ja „nur“ um diese Hingabe an das, was jetzt da ist – auch die Angst, den Schmerz, den Verlust, aber auch an das Wunderbare, das jeder Moment birgt.

Und vielleicht geht es ja vor allem darum, all meine Gedanken, Ideen und Konzepte über ein heilsames Leben hinzugeben.

Ein Sterben-Lassen dessen, was mich in das Korsett einer Identität zwängt.

Hingabe ans Sterben.

Hingabe ans Leben.

Einatmen – Ausatmen.

Ausatmen – Einatmen.

Nicht mehr und nicht weniger.

Und schon findet ein Auferstehen, eine Auferstehung im Irdischen statt.

Für diesen Moment.

Ganz unspektakulär.

Einfach So.

Feier – Tag

Heute vor einem Jahr, am 18.11.2021 um 9 Uhr früh hat mein Mann die Rettung gerufen.

Am Abend davor sind meine beiden Liebsten an meinem Bett gesessen, von dem ich nur mehr schwer aufstehen konnte und wir haben beschlossen, dass dies der nächste Schritt ist – morgen früh.

Lisa, meine Süße, packte noch Einiges zusammen – ich hab es nicht gebraucht, weggesperrt in Schränken bis zum letzten Tag meines Aufenthalts, warteten sie darauf, einfach wieder nach Hause gebracht zu werden.

Dann, am 18,11. 2021 wurde ich abtransportiert. So kann man das sagen.

Die nächsten 15 Tage und besonders das tagelange Schweben zwischen Leben und Tod waren eine eindrückliche Erfahrung.

Irgendetwas in mir hat sich dann doch für das Leben entschieden.

Ich habe mich für das Leben entschieden.

Hab´ noch was zu tun, zu erleben hier auf Erden.

Heute, am 18.11.2022 um 12 Uhr Ortszeit hat meine Tochter Lisa die Defensio ihrer Dissertation. Nach 7 Jahren PhD Studium an der McGill University in Montreal.

Sie wird das nicht einfach überleben, sondern bravourös meistern. Davon bin ich überzeugt.

Oft meinen Eltern, dass sie stolz auf ihre Kinder sind. Ich scheue mich, das zu sagen. Stolz auf – da ist mir zu viel Eigenes, Besitz und auch zu viel Hierarchie dabei.

So suchte ich nach einem Wort, das meine Empfindungen ausdrückt.

Groß sind sie, meine Gefühle. Ich kann sie in meiner Brust spüren.

Vielleicht bin ich ja doch stolz, auf sie, wie sie sich, meine schöne, weise, liebe Tochter all das erarbeitet und oft auch errungen hat.

Sie ist durch Tiefen des Selbstzweifels gegangen, sie hat sich furchtlos und oft auch ängstlich Vielem gestellt, was ihr den Weg verbaute.

Und letztlich hat sie sich ihre Größe erobert.

Und wurde – endlich – gesehen.

Welch´ eine wunderbare Gelegenheit, all dieses tapfer erworbene Wissen zu offenbaren, zu zeigen, wer Du bist, meine Liebe.

Und wie schön, dass ich noch da bin, um dieses wunderbare Ereignis zu erleben.

Offenbarungseid – der Vierte

Wider die Individualisierung von Leid

Eigentlich wollte ich es diesmal anders machen – meinen Text nicht mehr überarbeiten, einfach die (Wut-) heißen Semmeln direkt aus dem Ofen servieren. Aber dann setzte sich doch mein Bedürfnis nach Genauigkeit und Gerechtigkeit durch und der Semmelteig rastete, wie Ihr seht, einige Zeit.

Anlass ist ein Gespräch, das am 18.8.2022 auf Ö1 in der Sendung Punkteins über Vulnerabilität, Verletzlichkeit und Resilienz gesendet wurde.

Dieses Gespräch mit dem Titel „Die (Un-)Verwundbaren“ wurde von der von mir geschätzten Andrea Hauer geleitet und mit dem ebenfalls von mir grundsätzlich geschätzten Alfred Pritz und der Psychologin und Resilienzspezialistin – Monika Spiegel – geführt.

In diesem Gespräch wurde zwar die Corona Zeit, die Kriegssituation und die Klimakrise als Bedingungen für individuelles Leid und auch die Rolle der Medien bei Angstmache, Polarisierung und Destabilisierung angesprochen.

Was mich aber derart empörte, dass ich beim Zuhören schreien und weinen hätte können, ist die Individualisierung und die individualisierte Pathologisierung von Leid, die sich durch das ganze Gespräch zog.

Den einzelnen Menschen als Ursache für seine Glücks- und Leidensfähigkeit, für Verwundbar- und Verletzlichkeit und für seine Resilienzfähigkeit zu machen, geht vielleicht, wenn man in grundsätzlich freilassenden, moderaten Verhältnissen lebt.

Dann ist es vielleicht (?!) möglich, den je eigenen Umgang mit den Wiederfährnissen des Lebens als Beurteilungsgrundlage für Angemessenheit, Überzogenheit und Normalität von Reaktionsweisen heran zu ziehen.

Nicht jedoch, wenn über 2 Jahre eine kollektive Traumatisierung, die die Verarbeitungskapazität der Menschen weit überschreitet, stattfindet.

Man weiß aus Traumatherapeutischen Untersuchungen, dass der überwiegende Teil der Menschen, die über lange Zeit Gewalt jeglicher Art, Unterdrückung, Vernachlässigung und traumatisierenden Bedingungen ausgesetzt sind, die ihre Selbstwirksamkeit und ihre Regulationsmechanismen überfordern, Schäden an Köper und Seele erleiden wird.

Zudem habe ich in der Traumatherapie gelernt, dass es keine Heilung gibt, wenn das Ereignis und ja auch die Täter nicht benannt werden. Wenn die Taten glaubwürdig (!) anerkannt werden, kann ein Prozess der Verarbeitung beginnen, im Zuge dessen die Verantwortung für die Folgen der Traumatisierung und das eigene Leben sukzessive übernommen werden kann. Siehe dazu auch das wunderbare Buch des Vergebens von Desmond Tutu über den Versöhnungsprozess in Südafrika.

Am Anfang gibt es die Tat. Punkt. Aus. Ende.

Und deren gab es viele in den letzten Monaten, und nein, es war nicht die „Krise“, wie die unerhörten Geschehnisse in neutralisierender, anonymisierender Weise genannt werden, die selbst bislang starken, stabilen Menschen die Widerstandskraft, die Resilienz und das Gleichgewicht nahmen.

Es war der Terror, die Geringschätzung und Schändung unserer Würde, die Ohnmacht und die Willkür, deren wir beständig ausgesetzt waren, die viele von uns an den Rand (des Wahnsinns) brachten.

  • Wenn man über Monate mithilfe manipulativer Aussagen und Informationen sukzessive von Sinnen gebracht wird, sodass ein Mensch nach dem anderen eine für ihn/sie gültige, realistische Einschätzung der Situation verlor, dann ging damit auch die Basis für ein selbstwirksames und selbstbestimmtes Leben verloren – der Wahrheitssinn über das, was (für mich) richtig und falsch ist.
  • Wenn man – wie im 1. Lockdown – nur mehr heimlich gemeinsam im Wald spazieren gehen kann, aus Angst, vom Polizeiwagen aufgehalten und nach dem gleichen Wohnungsschlüssel gefragt zu werden – zur Erinnerung: nur wenn man im gleichen Haushalt lebte, durfte man derart spazieren gehen, so breitet sich sukzessive ein Polizeistaatgefühl aus und die Angst vor Amtspersonen dringt nachhaltig in die Menschen ein.
  • Wenn man mitbekommt, dass ein bislang anerkannter Uniprofessor seine Reputation verliert, öffentlich verunglimpft wird und schließlich seine Stelle an der Uniklinik verliert, wie das dem von mir sehr geschätzten Prof. Sönnichsen passierte. Wenn also ein wahrer wissenschaftlicher Diskurs ausgeschlossen wird, dann werde ich es mir gut überlegen, ob ich meine Haltung, mein Wissen und meine Überzeugungen offen kundtue.
  • Wenn bei ÄrztInnen, welche Maskenbefreiungen ausstellten, eine Polizeieinsatztruppe, die üblicherweise nur zu Terroreinsätzen ausrückt, Türen eintritt, Laptops und Handys mitnimmt, werden ihre KollegInnen ein Bedürfnis haben, sich zu schützen und ja nicht durch derartige Initiativen aufzufallen.
  • Wenn man als einzig Ungeimpfter mit Maske gebrandmarkt und nur mit dem täglichem Testergebnis am Arbeitsplatz erscheinen darf und beim Essen weit entfernt von den anderen zu sitzen hat, dann werden nur die Überzeugtesten diesen aufrechten Gang bewahren und sich alsbald doch impfen lassen, auch wenn sie das nach wie vor – aus wohlüberlegten  Gründen – nicht wollen.
  • Wenn man in Fernsehdiskussionen bezeugt, wie Menschen angeschrien werden, wenn sie eine andere (Wissenschafts-) Auffassung haben, und kein Moderator dem Einhalt gebietet, sondern im Gegenteil dies durch manipulative, hetzerische Fragen befeuert und fördert, dann lerne ich, dass es gefährlich ist, eine andere Meinung – so wohl begründet diese sein mag – zu haben, und dass ich nicht davon ausgehen kann, dass auf bislang übliche Regeln des höflichen, wertschätzenden Miteinanders Verlass ist.
  • Wenn man täglich durch Angsterzeugende Bilder von intubierten, verkabelten Menschen in Intensivstationen überflutet wird, ist es ganz natürlich, dass man darauf mit Angst reagiert und auf keinen Fall will, dass man in eine derartig schreckliche Situation kommt. In der Traumatherapie nennt man das sekundäre Traumatisierung.
  • Wenn Menschen über Monate aufgrund eines fehlenden Status von wesentlichen Bereichen des Lebens ausgesperrt werden, sich nicht mal einen Bleistift in einem Schreibwarengeschäft kaufen dürfen, so ist es nicht nur für diese traumatisierend, sondern für die ganze Gesellschaft.
  • Wenn Jugendliche massenhaft Essstörungen und diverse andere Süchte entwickeln, wenn die Suizid(versuchs-)rate überdimensional steigt, in zeitlichen Zusammenhang mit den Maßnahmen des Kontaktverbots, des Homeschoolings usw., dann ist das kein individuelles Geschehen, dem man mit noch mehr Psychiatrie-/Psychotherapieplätzen beikommen kann. Vielmehr ist es das Ergebnis von Maßnahmen, die das Ganze, die Gesundheit auf jeder Ebene außer Acht lassen und unbarmherzig und gewaltsam, und ja auch sehr dumm in das Leben dieser jungen Menschen mit unabsehbaren Langzeitfolgen eingriffen.
  • Wenn dies alles nicht mal vom Verfassungsgerichtshof beanstandet wird, so breitet sich eine Ohnmacht in den Menschen aus, und das Vertrauen in die Welt, in das Rechtssystem und die Menschen, aber auch in sich selbst ist, wie bei jeder Traumatisierung, zutiefst erschüttert.
  • Wenn Menschen, wie ich, todkrank, bereits im Krankenwagen durch den Nebel des beginnenden Bewusstseinsverlusts die erste von vielen Schimpftiraden über mich ergehen lassen muss, dass er – der Sanitäter oder Röntgenassistent oder Krankenschwester – ja nur wegen solchen wie mir, einer Ungeimpften, diesen Job tun muss…. Wenn ich in meiner größten Not zu hören bekomme, dass ich ja selber schuld sei und mir das früher überlegen hätte sollen, dann passiert da eine schwere Verletzung, die mein Leben und Vertrauen (in das medizinische Personal) nachhaltig erschütterte, und von der ich mich noch lange zu erholen haben werde, Und es ist natürlich meine Verantwortung, wie ich für mich sorge, um wieder ein gutes, vertrauensvolles Leben zu führen.

Aber auch wenn ich die Verantwortung dafür übernehme, werde ich nicht müde, darauf hinzuweisen, dass da ein menschenverachtendes Verbrechen passiert (ist), dass unermessliche Folgen für jeden Einzelnen und leider wahrscheinlich für Generationen haben wird, ob vulnerabel, verletzlich, ob sensibel, ob resilient oder nicht.

Dann gilt es, diese krankmachenden Bedingungen zu benennen.

Und ja, auch diese Wunden können Kraft unserer Resilienz und Lebenskraft heilen, jedoch nur, wenn sie mit Einsicht, einem Schuldbekenntnis und mit Mitgefühl gewürdigt und gesalbt werden.

So das alles musste (endlich) gesagt werden.

Als Trösterchen füge ich noch hinzu:

Die Bach´sche Charconne, gespielt von James Rhodes, der sein Trauma mithilfe eben dieses Stücks überlebte. https://www.youtube.com/watch?v=pZ82pECqiUg

Außerdem das letzte Buch von der klugen, aufrechten, klaren Ulrike Guérot: „Wer schweigt stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen“. https://www.kopp-verlag.at/a/wer-schweigt-stimmt-zu

Und einen Tanz aus dem Widerstand: https://www.youtube.com/results?search_query=danser+encore