Wider die Individualisierung von Leid
Eigentlich wollte ich es diesmal anders machen – meinen Text nicht mehr überarbeiten, einfach die (Wut-) heißen Semmeln direkt aus dem Ofen servieren. Aber dann setzte sich doch mein Bedürfnis nach Genauigkeit und Gerechtigkeit durch und der Semmelteig rastete, wie Ihr seht, einige Zeit.
Anlass ist ein Gespräch, das am 18.8.2022 auf Ö1 in der Sendung Punkteins über Vulnerabilität, Verletzlichkeit und Resilienz gesendet wurde.
Dieses Gespräch mit dem Titel „Die (Un-)Verwundbaren“ wurde von der von mir geschätzten Andrea Hauer geleitet und mit dem ebenfalls von mir grundsätzlich geschätzten Alfred Pritz und der Psychologin und Resilienzspezialistin – Monika Spiegel – geführt.
In diesem Gespräch wurde zwar die Corona Zeit, die Kriegssituation und die Klimakrise als Bedingungen für individuelles Leid und auch die Rolle der Medien bei Angstmache, Polarisierung und Destabilisierung angesprochen.
Was mich aber derart empörte, dass ich beim Zuhören schreien und weinen hätte können, ist die Individualisierung und die individualisierte Pathologisierung von Leid, die sich durch das ganze Gespräch zog.
Den einzelnen Menschen als Ursache für seine Glücks- und Leidensfähigkeit, für Verwundbar- und Verletzlichkeit und für seine Resilienzfähigkeit zu machen, geht vielleicht, wenn man in grundsätzlich freilassenden, moderaten Verhältnissen lebt.
Dann ist es vielleicht (?!) möglich, den je eigenen Umgang mit den Wiederfährnissen des Lebens als Beurteilungsgrundlage für Angemessenheit, Überzogenheit und Normalität von Reaktionsweisen heran zu ziehen.
Nicht jedoch, wenn über 2 Jahre eine kollektive Traumatisierung, die die Verarbeitungskapazität der Menschen weit überschreitet, stattfindet.
Man weiß aus Traumatherapeutischen Untersuchungen, dass der überwiegende Teil der Menschen, die über lange Zeit Gewalt jeglicher Art, Unterdrückung, Vernachlässigung und traumatisierenden Bedingungen ausgesetzt sind, die ihre Selbstwirksamkeit und ihre Regulationsmechanismen überfordern, Schäden an Köper und Seele erleiden wird.
Zudem habe ich in der Traumatherapie gelernt, dass es keine Heilung gibt, wenn das Ereignis und ja auch die Täter nicht benannt werden. Wenn die Taten glaubwürdig (!) anerkannt werden, kann ein Prozess der Verarbeitung beginnen, im Zuge dessen die Verantwortung für die Folgen der Traumatisierung und das eigene Leben sukzessive übernommen werden kann. Siehe dazu auch das wunderbare Buch des Vergebens von Desmond Tutu über den Versöhnungsprozess in Südafrika.
Am Anfang gibt es die Tat. Punkt. Aus. Ende.
Und deren gab es viele in den letzten Monaten, und nein, es war nicht die „Krise“, wie die unerhörten Geschehnisse in neutralisierender, anonymisierender Weise genannt werden, die selbst bislang starken, stabilen Menschen die Widerstandskraft, die Resilienz und das Gleichgewicht nahmen.
Es war der Terror, die Geringschätzung und Schändung unserer Würde, die Ohnmacht und die Willkür, deren wir beständig ausgesetzt waren, die viele von uns an den Rand (des Wahnsinns) brachten.
- Wenn man über Monate mithilfe manipulativer Aussagen und Informationen sukzessive von Sinnen gebracht wird, sodass ein Mensch nach dem anderen eine für ihn/sie gültige, realistische Einschätzung der Situation verlor, dann ging damit auch die Basis für ein selbstwirksames und selbstbestimmtes Leben verloren – der Wahrheitssinn über das, was (für mich) richtig und falsch ist.
- Wenn man – wie im 1. Lockdown – nur mehr heimlich gemeinsam im Wald spazieren gehen kann, aus Angst, vom Polizeiwagen aufgehalten und nach dem gleichen Wohnungsschlüssel gefragt zu werden – zur Erinnerung: nur wenn man im gleichen Haushalt lebte, durfte man derart spazieren gehen, so breitet sich sukzessive ein Polizeistaatgefühl aus und die Angst vor Amtspersonen dringt nachhaltig in die Menschen ein.
- Wenn man mitbekommt, dass ein bislang anerkannter Uniprofessor seine Reputation verliert, öffentlich verunglimpft wird und schließlich seine Stelle an der Uniklinik verliert, wie das dem von mir sehr geschätzten Prof. Sönnichsen passierte. Wenn also ein wahrer wissenschaftlicher Diskurs ausgeschlossen wird, dann werde ich es mir gut überlegen, ob ich meine Haltung, mein Wissen und meine Überzeugungen offen kundtue.
- Wenn bei ÄrztInnen, welche Maskenbefreiungen ausstellten, eine Polizeieinsatztruppe, die üblicherweise nur zu Terroreinsätzen ausrückt, Türen eintritt, Laptops und Handys mitnimmt, werden ihre KollegInnen ein Bedürfnis haben, sich zu schützen und ja nicht durch derartige Initiativen aufzufallen.
- Wenn man als einzig Ungeimpfter mit Maske gebrandmarkt und nur mit dem täglichem Testergebnis am Arbeitsplatz erscheinen darf und beim Essen weit entfernt von den anderen zu sitzen hat, dann werden nur die Überzeugtesten diesen aufrechten Gang bewahren und sich alsbald doch impfen lassen, auch wenn sie das nach wie vor – aus wohlüberlegten Gründen – nicht wollen.
- Wenn man in Fernsehdiskussionen bezeugt, wie Menschen angeschrien werden, wenn sie eine andere (Wissenschafts-) Auffassung haben, und kein Moderator dem Einhalt gebietet, sondern im Gegenteil dies durch manipulative, hetzerische Fragen befeuert und fördert, dann lerne ich, dass es gefährlich ist, eine andere Meinung – so wohl begründet diese sein mag – zu haben, und dass ich nicht davon ausgehen kann, dass auf bislang übliche Regeln des höflichen, wertschätzenden Miteinanders Verlass ist.
- Wenn man täglich durch Angsterzeugende Bilder von intubierten, verkabelten Menschen in Intensivstationen überflutet wird, ist es ganz natürlich, dass man darauf mit Angst reagiert und auf keinen Fall will, dass man in eine derartig schreckliche Situation kommt. In der Traumatherapie nennt man das sekundäre Traumatisierung.
- Wenn Menschen über Monate aufgrund eines fehlenden Status von wesentlichen Bereichen des Lebens ausgesperrt werden, sich nicht mal einen Bleistift in einem Schreibwarengeschäft kaufen dürfen, so ist es nicht nur für diese traumatisierend, sondern für die ganze Gesellschaft.
- Wenn Jugendliche massenhaft Essstörungen und diverse andere Süchte entwickeln, wenn die Suizid(versuchs-)rate überdimensional steigt, in zeitlichen Zusammenhang mit den Maßnahmen des Kontaktverbots, des Homeschoolings usw., dann ist das kein individuelles Geschehen, dem man mit noch mehr Psychiatrie-/Psychotherapieplätzen beikommen kann. Vielmehr ist es das Ergebnis von Maßnahmen, die das Ganze, die Gesundheit auf jeder Ebene außer Acht lassen und unbarmherzig und gewaltsam, und ja auch sehr dumm in das Leben dieser jungen Menschen mit unabsehbaren Langzeitfolgen eingriffen.
- Wenn dies alles nicht mal vom Verfassungsgerichtshof beanstandet wird, so breitet sich eine Ohnmacht in den Menschen aus, und das Vertrauen in die Welt, in das Rechtssystem und die Menschen, aber auch in sich selbst ist, wie bei jeder Traumatisierung, zutiefst erschüttert.
- Wenn Menschen, wie ich, todkrank, bereits im Krankenwagen durch den Nebel des beginnenden Bewusstseinsverlusts die erste von vielen Schimpftiraden über mich ergehen lassen muss, dass er – der Sanitäter oder Röntgenassistent oder Krankenschwester – ja nur wegen solchen wie mir, einer Ungeimpften, diesen Job tun muss…. Wenn ich in meiner größten Not zu hören bekomme, dass ich ja selber schuld sei und mir das früher überlegen hätte sollen, dann passiert da eine schwere Verletzung, die mein Leben und Vertrauen (in das medizinische Personal) nachhaltig erschütterte, und von der ich mich noch lange zu erholen haben werde, Und es ist natürlich meine Verantwortung, wie ich für mich sorge, um wieder ein gutes, vertrauensvolles Leben zu führen.
Aber auch wenn ich die Verantwortung dafür übernehme, werde ich nicht müde, darauf hinzuweisen, dass da ein menschenverachtendes Verbrechen passiert (ist), dass unermessliche Folgen für jeden Einzelnen und leider wahrscheinlich für Generationen haben wird, ob vulnerabel, verletzlich, ob sensibel, ob resilient oder nicht.
Dann gilt es, diese krankmachenden Bedingungen zu benennen.
Und ja, auch diese Wunden können Kraft unserer Resilienz und Lebenskraft heilen, jedoch nur, wenn sie mit Einsicht, einem Schuldbekenntnis und mit Mitgefühl gewürdigt und gesalbt werden.
So das alles musste (endlich) gesagt werden.
Als Trösterchen füge ich noch hinzu:
Die Bach´sche Charconne, gespielt von James Rhodes, der sein Trauma mithilfe eben dieses Stücks überlebte. https://www.youtube.com/watch?v=pZ82pECqiUg
Außerdem das letzte Buch von der klugen, aufrechten, klaren Ulrike Guérot: „Wer schweigt stimmt zu. Über den Zustand unserer Zeit und darüber, wie wir leben wollen“. https://www.kopp-verlag.at/a/wer-schweigt-stimmt-zu
Und einen Tanz aus dem Widerstand: https://www.youtube.com/results?search_query=danser+encore
Danke dir für diese Aufzählung/Auseinandersetzung!
Ich hoffe, Sie können das über viele Kanäle verteilen…
Ich möchte gerne reagieren, weil ich es teilweise anders empfunden habe und es lange gedauert hat, bevor ich annehmen könnte, dass es so traumatisierend für vielen anderen war.
Ich habe eine schwierige Zeit hinter mich und habe es noch nicht ganz hinter mich (Traumatherapie, Scheidung, Brustkrebs) und ich Frage mich ob dass vielleicht dafür gesorgt hat, dass ich die Ernst der Situation nicht gesehen habe, ob ich vielleicht naiv bin, oder sehr resilient bin …
Ich habe nie wirklich glauben können an die große Gefahr von Corona. Es gibt es, es ist gefährlich aber ob dadurch ein ganzes Land eingeschüchtert werden muss, ist für mich nicht ganz nachvollziehbar…
Bin ich vielleicht rebellisch, wenn ich versucht habe mein Leben „einfach“ weiter zu Leben?
Ich habe gesehen wie es meinen Sohn aus der Bahn geworfen hat, Freundinnen die nicht mit der Situation umgehen könnte. Bis dann auch in mein Freundeskreis Spannungen entstanden sind: „noch immer nicht geimpft“ ??
Ich mache mich schon Sorgen über die Welt, die Gesellschaft und der Politik hier: Erst die Coronakrise, Die Ukraine -„Krise“, dann die Energiekrise: Wo der Regierung tief in unser Leben eingreift, mit Geld streut, wo die Gesellschaft so wahnsinnig gespalten ist… Wo geht das hin? Vielleicht ist die frage erst zu beantworten wenn wir herausfinden können WOHER das kommt. Ohne zu glauben an Verschwörungstheorien sind diese ganze Geschehnisse sehr merkwürdig, oder?
Bleiben Sie bitte schreiben, ich finde diese klare, detaillierte Auseinandersetzungen ganz toll!
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Herzlichen Dank für Ihre Offenheit. Ich glaube, dass es bei den persönlichen Belastungen mit welchen Sie zu tun hatten, sehr gut möglich ist, dass Sie das andere – gesellschaftliche – ausgeklammert haben. Da geht es einfach ums Überleben und dann ist es auch gesund, Dinge auszublenden.
Ja wir taumeln von einer Krise in die nächste und es hilft mir, es als Herausforderung zu sehen, zu spüren, was für mich richtig und stimmig ist und mich um meine Aufrichtigkeit zu kümmern.
Ich wünsche Ihnen alles Gute und herzlichen Dank für Ihre Zeilen.
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