„Ich tanze mit der Angst, ich tanze mit der Freude“ heißt das Buch von Karoline Erdmann.
Das Buch ist unscheinbar, wäre da nicht diese Frau am Cover, welche die linke Burstseite entblößt mit einer Rose verziert einen Tango tanzt. Es hat mich tief berührt, weil es so viel beschreibt, was ich im Umgang mit Krebs als wesentlich erachte – die Genauigkeit mit den (inneren und äußeren) Fakten, mit den eigenen Gefühlen und der inneren Stimme, der Mut, Tabus zu brechen und sich beispielsweise kein Brustimplantat einsetzen zu lassen und im Gegenteil die brustlose Seite beim Tangotanzen zu offenbaren.
Vor allem ist es ein Aspekt, welcher mir wertvoll erscheint und welcher mit meiner Auffassung über die „Aufgabe“ der Krebserkrankung übereinstimmt – die Krebserkrankung als einen Bewusstseinsweg zu beschreiten.
Karoline Erdmann tut das nicht in einer realitätsfernen abgehobenen Weise, nein sie zeigt, dass es um die Anerkennung aller am Weg liegenden (oft schmerzlichen) Tatsachen geht.
Das letzte Kapitel in diesem wunderbaren Buch trägt den Titel „Ich tanze mit dem Leben und ich tanze mit dem Tod“. Es ist derart essentiell für mich, dass ich es am liebsten Wort für Wort wiedergeben würde.
Es geht darin neuerlich um die Dankbarkeit dem Krebs gegenüber – „Ich begann zu fühlen, dass der Krebs fast ein Privileg war, wie ein Erlebnis, das mich viele Schritte in meiner Entwicklung vorangebracht hatte. Durch ihn begegnete ich dem Leben mit einer anderen Hingabe, einer anderen Freude, einem anderen Bewusstsein.“ ….“Durch den Krebs habe ich mich mit dem Tod auseinandergesetzt. Der Tod ist dadurch für mich zu einem Freund und Begleiter geworden, der mir das Leben bewusster und lebenswerter macht.“ Mehr noch „In meinem Leben mit Krebs kann ich die Krankheit als eine Herausforderung, annehmen, als einen Entwicklungsschritt oder als eine Gnade. Eine Gnade, weil sie mir die Chance gibt, vieles zu erleben und zu verarbeiten, was mir sonst verschlossen geblieben wäre.“ und weiter „Es war der Krebs selbst, durch den ich das erste Mal meine tiefe Verbundenheit zum Diesseits spürte und realisierte, dass ich die letzen fünfundzwanzig Jahre mit meinem spirituellen „Streben“ oft auf der Flucht vor dem Leben gewesen war. Ich hatte mich nach dem Jenseits“ gesehnt und war am „Hier und Jetzt“ manchmal vorbeigelaufen.“ S. 155
Sie entdeckt neben der kausalen, horizontalen die vertikale Ebene in ihrer Verbindung zu Gott. „diese beiden Ebenen schneiden sich und ich muss lernen, in ihrem Schnittpunkt zu leben, d.h., ich muss lernen, dieses Kreuz, diese Spannung auszuhalten.“
In diesem angehobenen Bewusstseinszustand kann sie erkennen, dass das ganze Leben ein Tanz ist und jeder Mensch seinen eigenen Tanz tanzt. „Ich sehe, wie sich die Reigen der Menschen berühren, ineinander verschlingen und sich wieder lösen, ein unendliches wundersames Muster, in steter Bewegung, in steter Veränderung. Und wenn ich dieses Muster betrachte, aus immer weiterer Ferne, dann sehe ich auch den Tanz des Diesseits mit dem Jenseits. Ich sehe, unser Leben ist nur ein Leben von vielen Leben, ein kurzer Tanz, ein winziger Schritt im unendlichen Tanz der Ewigkeit.“
Karoline Erdmann ist Anfang 2006 gestorben. Üblicherweise würde man sagen, dass sie dem Krebs erlegen ist, den Kampf gegen ihn verloren hat. Ihr Buch hat mir jedoch erneut gezeigt, dass es vielleicht gar nicht darum geht, am Leben zu bleiben – möglichst lange.
Und auch wenn der Tod eines Menschen auf der menschlichen Ebene traurig und schmerzlich ist, so ist es vielleicht noch wesentlicher, einen Bewusstseinsweg zu gehen, so wie sie ihn gegangen ist.
Und ich würde mir wünschen, dass sie (und auch ich) diese letzten Schritte auf ihrem Weg mit jener von ihr beschriebenen Überzeugung gehen konnte. „In mir ruht die tiefe Überzeugung, dass alles gut ist, so wie es ist, und ich begegne dem Leben mit mehr Demut. Ich nehme an, was mir gegeben ist. Der Krebs ist weder eine Strafe, noch ist er ein Ansporn noch mehr zu meditieren oder stärker zu glauben, sondern er ist in sich selbst mein Ja zum Leben, mein Ja zur Existenz und ich kann mein Leben mit Krebs lieben. …Ich will keinen „Kuhhandel“ mit Gott, ich will keine Bedingung mehr stellen. Das ist eine wunderschöne Erkenntnis, eine bedingungslose Liebe zum Leben.“