Beim folgenden sehr persönlich gehaltenen Text mag man denken, das sei Leiden auf hohem Niveau, besonders wenn man es mit gewiss schwierigeren Belastungen, wie dies eine Krebsdiagnose ist, zu tun hat.
Ich habe mich dennoch entschieden, mich derart zu offenbaren, weil ich es wichtig finde, aufzuzeigen, wie eine (kleine) Unannehmlichkeit nahezu unaushaltbar ist.
Dann nämlich, wenn es Themen berührt, wie in meinen Fall die ignorante Rücksichtslosigkeit und Übergriffigkeit, welchen ich in der Kindheit wehrlos ausgesetzt war, und welche mich neuerlich in eine Ohnmacht und Hilflosigkeit versetzen.
Das ist für Außenstehende dann schwer zu verstehen, und oftmals ist es auch für die davon Betroffene unbegreiflich. Sie fühlt sich ver-rückt, eigen-artig, nicht normal.
In diesem Sinne habe ich mich entschieden, genau jene Prozesse zu beschreiben, welche in derartigen Triggersituationen ablaufen und wie es möglich ist, förderlich damit umzugehen.
Möge der Text ein Beitrag zu einem vermehrten (Selbst)-Verständnis und Selbsthilfe sein.
Eigentlich ist es nur ein Geräusch – das Geräusch einer Motorsäge um 7 Uhr 30 in meinem Rückzugsort auf der Pionierinsel an der Donau.
Gleich neben uns baut unser Nachbar großzügig sein Haus um, der Garten wird durchgebaggert, Flächen betoniert, die Hausfassade neu gestaltet. Emsig wie die Bienen arbeiten sie – der Nachbar und seine Helferleins – nahezu Tag und Nacht. Gleich neben unserem Haus in 2 Meter Entfernung.
Eigentlich ist es nur ein Geräusch, um halb acht an einem Samstag im August.
Nur dass ich das Geräusch nicht einfach als ein Geräusch, wenn auch ein etwas unangenehmes, sein lassen kann.
Nein dieses Geräusch löst vielmehr eine Kaskade von Gedanken und Emotionen aus.
Aufgescheucht von meiner Yogamatte geht es ganz unentspannt los – „Welche Zumutung, um halb 8, sind wir doch in einem Kleingartenverein mit strikten Regeln, Motorzeit ab 9 Uhr und dann auch nur bis zwölf, nein nicht bis 8 Minuten nach zwölf – so sagt es die Vereinsregel…“
Was hier vielleicht lustig klingen mag, fühlt sich für mich sehr leidvoll an, in mir streiten die Stimmen, welche ja auch von meiner Umgebung verstärkt werden – „Es gibt echt Schlimmeres, es hat ein Ablaufdatum, da mussten wir alle durch, er ist eh nett usw. “
Das vergrößert meinen Konflikt, ich darf nicht so empfinden, im Übrigen verändern negative Gedanken das Gehirn, sodass man sich auf Negatives programmiert und damit die Realität gestaltet – lese ich in einer Kolumne.
Und dennoch – da ist meine Not, meine Not darüber, dass jemand rücksichtslos meine Grenzen überschreitet, mir zur absoluten heiligen Hauptsaison derartige Riesenumbauprojekte zumutet, jetzt, wo ich endlich Urlaub habe, den ich hier an meinem wunderbaren Ort am Wasser genießen will – in Ruhe.
„Was ist das für ein Mensch,“ denkt es in mir, „der sowas macht, was habe ich da noch alles zu erwarten an Lärm und Unverbundensein?“
Sukzessive gerate ich in einen State, wie man in der Traumatherapie sagt. Der Trigger ist das rücksichtslose Überschreiten meiner Grenzen, unverbunden. Fassungslos nehme ich wahr, dass man sowas wirklich machen kann.
Im State reagiert der Körper mit Aufruhr, Übelkeit, innerem Rasen, die Emotionen schwanken zwischen Wut, Empörung, und nackter Panik und der Geist rast, versucht Möglichkeiten zu finden, diesen Zustand zu beenden.
Und – ich kann die Realität, wie sie auch ist, nicht wahrnehmen, dass es schön ist hier, dass es wunderbare Bäume gibt, auf die ich schauen kann, dass es ein Wasser gibt, in dem ich schwimmen kann, dass ich mich aufs Rad setzen kann, um der unangenehmen Situation zu entfliehen.
Dass ich frei bin – zu tun und zu lassen, was ich will. Unverklemmt, frei, erwachsen.
Heilung erwächst nicht aus einem moralischen Imperativ, dass ich so großzügig sein müsste, um dem Nachbarn das alles zu gewähren, im Sinne einer guten Nachbarschaft.
Schon gar nicht kann sie geschehen, wenn ich in der (selbst-)gerechten Anklage und Abwehr der für mich gar nicht freundlichen Tatsachen verbleibe – eine Mauer nach der anderen betoniere.
Da braucht es zu allererst eine Hinwendung zu dem verängstigten, hilflosen Kind in mir, ein Umarmen von mir in dieser Not, eine volle An-erkennung von dem, was sich in mir ereignet, ein liebevolles zu mir sprechen, ein Bestätigen meiner inneren Erfahrung, ja und ein Fragen, was es jetzt braucht, um in Sicherheit zu kommen und besänftigt zu sein.
Dann kann ich dem Zustand ent-wachsen, er-wachsen.
Das Kind ist gut aufgehoben und ich, die 60-Jährige bin frei, zu tun, was ansteht und die Situation zum Besseren wendet – ums-sichtig, in Kontakt mit allen relevanten Fakten dieser Situation, zu welchen ja auch zählt, dass wir wahrscheinlich noch lange mit ihm Haus an Haus zu tun haben werden.
Heilung kann geschehen, wenn ich eben diesem oben beschriebenen Kind in mir Beachtung schenke und neuerlich in meine Freiheit zu einer angemessenen Handlung komme.
P.S. Heute ist Sonntag und es regnet…Schön still ist es hier!