Achtung Befund!!

Eigentlich empfinde ich mich als einen gesunden Menschen. Das mag erstaunlich klingen, erhielt ich doch bereits zwei Mal die Diagnose Krebs.

Doch auch damals empfand ich mich nicht als körperlich krank. Ja – in vielen Jahren meines Lebens und insbesondere in den Monaten vor der Diagnose war meine Seele gekränkt, weil sie sich – wie ich jetzt weiß – nicht in einer Form ausdrücken konnte, wie es für ihre Entwicklung notwendig gewesen wäre.

Nein, den Krebs habe ich eigentlich nie als die eigentliche Krankheit empfunden, allen gesellschaftlichen Meinungen zum Trotz, die den Krebs als den“ König aller Krankheiten“ (so der gleichnamige Titel eines legendären Werks zum Thema) sehen.

Der Krebs war für mich nicht die Krankheit, sondern bereits deren Heilungsversuch.

Schon nach dem ersten Diagnoseschock erwachten meine Seelenkräfte, und ich empfand mich mit meinem Wesenskern derart verbunden, wie selten zuvor.

Interessanterweise ließ ich mich damals nicht von der dramatischen Diagnose blenden, im Gegenteil, sie erhellte mein Bewusstseins-Licht.

Nun machte ich kürzlich eine für mich beeindruckende Erfahrung: Im Zuge eines Kuraufenthalts wurde auch eine Blutuntersuchung durchgeführt. Im Gegensatz zu vielen meiner KurkollegInnen hatte ich nichts zu befürchten, ernähre ich mich doch gesund und betreibe regelmäßig Sport, Yoga und Meditation.

Zu meinem großen Erstaunen beziehungsweise, ich möchte fast sagen, zu meinem Entsetzen befand sich mein Cholesterinwert (nein nicht nur das Gesamtcholesterin sondern auch das Verhältnis von „gutem“ und „bösem“ (sic!!) ganz und gar nicht im Normbereich.

Das konnte ich sogleich bei der Befundbesprechung an den deutlich markierten Zahlen erkennen. Die gestrenge Ärztin, sagte, wir hätten da ein Problem, ich müsse fortan meine Ernährung umstellen – wohlgemerkt, ohne mich überhaupt zuvor zu fragen, wie ich mich denn ernähre. Auf meinen Einwurf, dass ich mich zu einem überwiegenden Teil vegan ernähre, meinte sie, ich esse sicher viel Süßes oder die schlechten Kohlenhydrate. Glücklicherweise war mein Mann dabei, der bestätigte, dass dem nicht so ist. Okay, dann habe ich wahrscheinlich Stress, meinte sie dann und der muss raus aus meinem Leben.

Ich startete einen weiteren Versuch auf meine persönliche Wirklichkeit hinzuweisen, indem ich erklärte, dass es sich dabei nicht so sehr um einen äußeren Stress handle, sondern um einen chronischen inneren, wie man sagt oxidativen Stress,  infolge früher traumatischer Belastungen, wodurch mein Organismus trotz vieler Therapien – in einer gelinderten Form zwar –  aber dennoch immer noch in einem Zustand erhöhter Wachheit und einer defensiven Bereitschaft ist. (Die Polyvagaltheorie von Porges gibt dazu ein für mich sehr schlüssiges Erklärungsmodell).

Okay, meinte sie, wenn ich Stress habe, dann muss ich den mithilfe von Sport abbauen. Die 3-5 Mal pro Woche 30-45 Minuten reichen da lang nicht aus, 50-60 Minuten sollten es jeweils mindestens sein, zuzüglich 2-3 mal pro Woche ein Krafttraining, aber ein wirklich forderndes.

Sofort wurde ich zum artigen Kind, das sich sehr bereitwillig zeigte. Mit ihrem Rat, bei all dem soll ich in erster Linie mein Leben genießen, aber das nächste Mal wolle sie hier eine deutlich niedrigere Zahl sehen, verließ ich den Behandlungsraum.

Es ist mir – wie man sieht – ein Bedürfnis, den Prozess derart detailliert zu schildern. Für mich selbst, aber auch, weil ich zeigen will, wie ich (man/frau) in einen Zustand der organismischen Defensivität und Wehrlosigkeit kommen kann, wo durch die Lücken, die eine derartige Befund-/Urteilsverkündung in die Selbstgrenzen schlägt, nachhaltig ein starker Ein-Druck entsteht.

„Ich habe einen erhöhten Cholesterinspiegel. Ich muss sofort etwas tun, um das zu ändern, den Anweisungen folgen, denn sonst….“

Noch schlimmer ist es natürlich, wenn Menschen eine Krebsdiagnose erhalten, wird diese doch allgemein mit einem nahe bevorstehenden Tod verbunden – etwas, was keine Bestätigung in der statistischen Realität erfährt. Oftmals ist ein drohender Zeigefinger dabei und ein Drängen auf die schnellstmögliche, natürlich schulmedizinische Behandlung.

Dann starren wir auf den Befund, auf diese Zahl, auf dieses Wort gleichsam wie auf ein Todesurteil, ganz und gar von Sinnen.

Und auch wenn mein Mann – selbst Arzt – versuchte mich zu beruhigen – „Das ist nur eine Zahl, eine Momentaufnahme“, und auch wenn ich selbst um die relativierende Bedeutung dieses Cholesterinwertes weiß, sind die Grenzwerte doch schon einige Male gesenkt worden, was meiner Ansicht nach auf den Einfluss der Pharmaindustrie zurückzuführen ist, so brauchte ich sicher 2-3 Stunden um mich aus dem Bann zu lösen.

Und endlich wieder meinem Organismus Gehör zu schenken:

Der sagt mir, dass er keinen weitere Stressfütterung braucht – kein Tatortkrimi am Sonntag, weil das eine im wahrsten Sinne fürchterliche Erregung in meinem System erweckt, keine Politsendungen, wo ich mehr oder weniger hilflos dem, was da an bedrohlichen Entwicklungen im Raum steht, ausgesetzt bin.

Auch will ich wach sein, wie lange ich mich in (ängstlichen, wütenden, sorgenvollen…) Gedanken/- Gefühlsspiralen aufhalte.

Aber auch:

Keine (weiteren) Daumenschrauben mehr, was körperliche Betätigung oder andere von außen verordnete Gesundheitsmaßnahmen betrifft, weil ich schon bei der Vorstellung bemerken kann, wie die Kontraktion meinen Körper ergreift, und es sich fast wie eine Zellquetschung anfühlt, wenn ich nur daran denke.

Vielmehr geht es um eine Lockerung des Disziplin-Korsetts, um ein neuerliches Bereinigen von Belastendem, Einengendem und um die Schaffung weiterer  Ausdehnungs- und Freiräumen, wo meine Seele das Leben begrüßt.

Und FREUDE!!

Aufsuchen, wo diese Freude berührt wird –  im Hören von wunderbarer Musik zum Beispiel oder im –  noch besser – selbst Musikspielen oder Singen. Singen besänftigt nämlich, nach der oben genannten Polyvagaltheorie, wesentlich die physiologische Stressaktivität, insbesondere wenn es gemeinsam geschieht.

Stricken, Sticken, einfach spazieren gehen, kochen, schreiben, tanzen, Katzen streicheln…..

Zu dieser Klarheit und neuerlichen Ausrichtung war diese Erfahrung gut, und ich bin dankbar dafür.

Mal sehen, wann, und ob ich wieder eine Blutuntersuchung machen lasse, denn wie ein Arzt einmal in einem Radiointerview sagte: „Es gibt keine gesunden Menschen, nur schlecht untersuchte“.

„Krebs lehrt uns viel über das Leben“ – Kurzversion

Das ist ein wunderbares Gespräch. Corinna Schöps und Claudia Wüstenhagen haben in der Online Zeit Ausgabe vom 14. Oktober 2016 einen Onkologen, einen Hämatologen und eine Palliativmedizinerin zu den verschiedensten Aspekten rund um die ärztliche Betreuung von krebskranken Menschen befragt.

Die Antworten berühren mein Herz und lassen mich Hoffnung schöpfen, dass es neben der Apparatemedizin und einem medizinischen Vorgehen, das sich nicht an der Individualität des Einzelnen orientiert, MedizinerInnen gibt, die den Menschen im wirklichen Sinne in den Mittelpunkt stellen

Die drei MedizinerInnen sprechen von gestiegenen Heilungsraten bei Kindern, von Erfolgen, was neue Operationstechniken, aber auch die Früherkennung betrifft und dem erfolgreichen Einsatz von Medikamenten bei bestimmten Krebsarten.

Sie sprechen aber auch offen über den Preis einer Chemotherapie im Sinne von Nebenwirkungen und Langzeitschäden.

Sie sprechen über die in der Fachwelt gefeierten Immuntherapien. Sie relativieren diesbezügliche Hoffnungen, da diese Therapien nur bei einigen Formen von fortgeschrittenem Krebs in Haut, Lunge und Niere und bei einer bestimmten Art von Leukämie wirken und die Überlebensdauer im Schnitt nur um einige Monate verlängert werden kann und dass davon „bloß eine kleine Gruppe von Patienten“ (Hämatologe) profitiert.

Ich finde es wesentlich, diese Daten zu veröffentlichen, glauben viele Krebskranke doch – und so wird es ja von der Pharmaindustrie großflächig vermittelt -,  dass die Immuntherapie (bislang) auch bei Brustkrebs eine Option ist, und dass damit Heilung erfahren werden kann.

Demgegenüber sagt der Onkologe im vorliegenden Interview, dass „wir immer noch nicht gut gerüstet (sind), wenn sehr häufige Krebsarten wie Darmkrebs oder Brustkrebs nach einer zunächst erfolgreichen Therapie wiederkommen.“

Sukzessive geht das Gespräch auf eine essentielle Ebene, es wird über die Machbarkeitsideologie gesprochen, die den Tod (durch Krebs) aus dem Leben ausschließen möchte.

Wertvolle Gesprächsimpulse kommen dazu naturgemäß von der Palliativmedizinerin.

Besonders berührend finde ich, wenn sie über den Umgang mit schwierigen Fragen oder Situation mit Krebskranken berichtet. Dann wenn sie zum Beispiel über den Umgang mit Prognosen spricht oder andere schwierige Aspekte innerhalb eines Krebsweges offenherzig benannt werden. Zum Beispiel der Umstand, dass oftmals bis zuletzt massive Therapien angewandt werden.

Wie schön ist es zu hören, wenn ein Arzt (in diesem Fall der Onkologe, der aus seiner Praxis spricht) den Patienten in seiner Ganzheit wahrnimmt und ihn darin respektiert. Wie schön auch, dass er sich davon anrühren lässt und dies auch ehrlich ausdrückt.

Das spricht auch ein anderes heikles Kapitel an – das der subjektiven Realität z.B. der Lebensqualität und wie sich ein Patient fühlt gegenüber den Daten, die man aus Röntgenbildern, Tumormarkern, Tumorgröße, gewinnt.

Und es wird auch angesprochen, dass der direkte Kontakt zwischen Ärztin und Patientin im Gespräch und im Erkunden dieser Lebensrealität aber auch die konkrete klinische Untersuchung –  face to face – gegenüber diesen technischen Daten sukzessive zu kurz kommt.

Und es wird auch darüber gesprochen,  dass „das fürsorgliche Unterlassen nicht belohnt (wird) “ (so der Onkologe), wo nicht auch noch die nächste Chemotherapie gegeben wird, wenn absehbar ist, dass sie weder Linderung noch Heilung verspricht.

Was für ein wunderbares Wort: „Fürsorgliches Unterlassen.“ Ein Unterlassen, das eine Gabe ist im Sinne des Menschen. Diese Gabe gilt es mit Feingefühl und Behutsamkeit zu vermitteln, damit sich der Patient nicht fallen gelassen fühlt. Es gilt auch Taten zu setzen, die vielleicht im Grenzbereich liegen, wo eine Infusion ohne Chemo nur mit Vitaminen und Kortison gegeben wird, um dem Menschen nicht den letzten Strohhalm an Hoffnung zu nehmen.

Und es zeigt sich, dass, wenn die Ärztin klar machen kann, dass sie den Patienten nicht fallen lässt, den Prozess sorgsam bis zuletzt begleitet, dass dann die Patienten nicht mehr an der Chemotherapie festhalten..

Das Interview lässt in wunderbarer Weise durchklingen, dass die ÄrztInnen dem Fluss des Lebens folgen, auch wenn es sich um das Sterben handelt, und dass auch Aspekte, wie zum Beispiel das Verdrängen der furchteinflößenden Realität einer Krebsdiagnose als eine Ressource, eine Schutzfunktion gesehen wird.

Sensationell finde ich die Aussage des Onkologen, der die Palliativmedizin als revolutionäre Kraft im Medizinbetrieb würdigt, weil „hier ein anderes Verhältnis zwischen Arzt und Patient (herrscht), eine andere Ethik, die die Grenzen des Machbaren anerkennt.“

Was für eine Aussage!  Wie würde ein Medizinbetrieb wohl aussehen, wenn die Bedürfnisse des Patienten berücksichtigt würden, wenn darauf geachtet wird, dass die Bedingungen so freundlich sind, dass sich ein Wohlbefinden, ein Wohlgefühl einstellen kann.

Wie absurd, dass diese Art der Fürsorge so oft erst zum Ende des Lebens stattfindet. Und ich könnte mir vorstellen, dass sich derartige Bedingungen zu einem früheren Zeitpunkt vielleicht sogar lebensverlängernd auswirken, dann nämlich, wenn ein Aufatmen, ein Aufgehoben sein stattfindet, dann kann vielleicht auch ein Auf-Leben stattfinden.

Das ganze Gespräch zwischen den drei MedizinerInnen ist sehr differenziert, es gibt kein plakatives Entweder-Oder, kein Schwarz – Weiß. Es wird das Leben (mit Krebs) so vielschichtig beantwortet, wie es ist.

Auch wenn es sich um den Akt des Sterbens handelt, wird der Individualität Rechnung getragen

Es wird betont, wie wesentlich es ist, auf Fragen über das Sterben zu antworten, aufzuklären, welche Möglichkeiten der Linderung es gibt.

Und es ist heilsam zu lesen, dass  „die Erfahrung lehrt, dass wir doch ein relativ friedliches Sterben ermöglichen können. Diese Vorstellung, die immer in den Köpfen herumschwirrt, Sterben ist Agonie, ist Kampf, ist immer mit Schmerzen verbunden – stimmt überhaupt nicht. “ so die Palliativmedizinerin.

Dann, wenn Klarheit über den Vorgang und die Hilfen beim Sterben besteht, und wenn der Mensch schmerzfrei ist und auch seine Wünsche nach einem würdevollen Sterben berücksichtigt werden, dann erübrigt sich auch der Wunsch nach einer Sterbehilfe.

Abschließend – als eine Art Credo, des Gesprächs möchte ich den Onkologen zitieren:

Man lernt so viel über das Leben, wenn man mit Krebskranken arbeitet. Das ist der Grund, warum ich mich mit der Onkologie beschäftige. Und ich denke, das neue Zeitalter könnte darin bestehen, dass man beharrlich weiterforscht, die Therapien verbessert, aber gleichzeitig akzeptiert, dass es Grenzen gibt, da kann eine gute Palliativmedizin trösten und helfen. Aber dass man Krebs als Teil unseres Lebens versteht, denn er ist ein Teil davon.“

Das einzig Irritierende an diesem wunderbaren, hoffnungsstiftenden Gespräch ist der Umstand, dass nirgends eine Namensnennung dieser ÄrztInnen zu finden ist.

Ist es vielleicht ein Tabu, vielleicht sogar existenzgefährdend als Arzt/Ärztin, sich derart freimütig über den Umgang im Medizinbetrieb, über die übermäßige Großzügigkeit in der Anwendung von Chemotherapeutika, über die noch gar nicht so große Wirksamkeit von neuen Therapien zu äußern.

Ist es vielleicht gefährlich, den Krebs als Arzt nicht in erster Linie ausrotten zu wollen, sondern  ihn, und ja auch das Sterben, zum Leben gehörig zu sehen und ihn dementsprechend zu behandeln.

Das ganze Interview ist unter  www.zeit.de/2016/38/chemotherapie-krebs-immuntherapien-palliativmedizin-onkologie-haematologie