Sofort schießt er mir ein – der Schreck.
Eine unscheinbare Email von meinem Röntgenarzt, der mich seit 28 Jahren treu begleitet, dass er wieder mal nachgesehen hätte im System und keinen CT Befund von mir findet.
Das hab´ ich jetzt über Monate erfolgreich verdrängt, hatte bereits Verordnung und Bewilligung und einen Termin, dann wurde ich krank und damit durfte, musste ich es auf die lange Bank schieben.
Ich bin also hingegangen – ein letztes Mal – muss ja auch meinem Hausverstand – ein gar nicht so schlechtes Wort, der Verstand, der in meinem Körperhaus lebt – benutzen. Und der sagt, wenn nach 3 Jahren keine wesentliche Veränderung in Wachstum und Form passiert ist, dann kann da nichts sein, kein Krebs und schon gar keine Metastase.
Also, ich bin hingegangen am Dienstag und aufgeregt war ich wieder und zigmal kontrollierte ich, ob ich eh alle Zettel dabei habe, die Verordnung, die Bewilligung und den Blutbefund – alles nicht älter als 3 Monate.
Gerade noch ganz gesund, kann ja laufen, gehen, denken, meine Sachen machen und dann die Maschinerie – und schon (tod-)krank.
Überall können sie sein, die todbringenden Herde, sie lauern im Körper, sie gehören abgeklärt, reingestochen, angeschaut, ob man darin diese bösen Zellen findet.
Kann mich nicht dran gewöhnen und voller Mitgefühl denke ich an all meine lieben Krebs-Klientinnen, die das teilweise alle 3 Monate durchmachen müssen.
Reingeschoben in die Röhre, das Kontrastmittel im Arm, Hände hinter dem Kopf abgelegt, ausgestreckt, wie aufgehängt lieg´ ich da, den Platz nahezu wortlos zugewiesen, keine Anrede, kein sich Vorstellen.
Die Maschine ist es, worum es geht.
Mein Leben, das Urteil über mein Leben einer Maschine überantwortet, kein Gesicht zu einem Befund, unemotional und damit unbeeinflusst, nennt das mein Radiologe.
Ein Stück Fleisch liegt da, lieg´ ich da, gekreuzigt am Marterpfahl der Technik.
Einatmen – Ausatmen.
Einatmen.
Den Atem halten.
Weiter atmen.
Zuvor den Fragebogen ausfüllen, die Zeilen reichen nicht aus für die vielen Diagnosen, die ich bereits hatte.
1998 rechts
2002 links
2018 beidseits.
2022 links.
Dasselbe noch einmal für die OP´s und die Bestrahlungen.
Mühsam ist das und fast geniere ich mich – das ist wahrlich keine Erfolgsstory. Vorsorglich trage ich einen Body und eine Hose ohne Metall dran, sonst müsste ich – Oberkörper nackt – in der Unterhose rein, mich entschuldigen für den Ablatio-Anblick, aber es schaut eh´ keine, der Fokus ist auf meinen Venen, pump, pump, klopf, klopf. Ist diese junge Frau überhaupt eine Ärztin, schließlich spritzt sie mir ein Kontrastmittel in die Venen. „Das möchte ich nicht im Gewebe haben“, sage ich scherzend, man will ja Kontakt haben.
Kontakt ist das Wichtigste.
„Reden Sie mit mir!“, hat sie gesagt, meine liebe Gundula, als sie ihr die Maske für die Kopfbestrahlung aufgesetzt haben.
„Reden Sie mit mir!“.
Da war er wahrscheinlich ganz schön erschreckt, der RT Mensch, dass diese Frau kein stummes Lamm auf der Schlachtbank ist, sondern ein Mensch, ein großer Mensch, der durch die Schlitze rausspricht, der vor-kommt, sich äußert mit einer Stimme, die ja hier eigentlich gar nicht angesagt ist.
„Reden Sie mit mir!“
Alle lassen wir uns sie gefallen, die Behandlung, die keine ist.
Massenmenschenhaltung.
Am Schalter den Schein abgeben, das ist das Wichtigste, die Bewilligung, die die Kohle garantiert, sonst geht gar nichts.
Code für den Befundabruf entgegennehmen.
Platz nehmen, auf einem der drei Sessel.
Aufgerufen werden, zwischen Tür und Angel Durchsprechen des Informationsblattes. Eigentlich ist mir das gar nicht recht, dass die Frau, die bereits an meinem Platz sitzt, das so alles detailliert mitbekommt.
„Da ist der Kopf“– einziger Begrüßungssatz. „Ich weiß“, schmunzle ich, „ich kenne es schon“ – so mein vorsichtiger Kontaktversuch.
„Reden Sie mit mir, bitte reden Sie mit mir!“
„Zeigen Sie mir, dass ich ein Mensch bin, dass Sie ein Mensch sind, der lächeln und antworten kann, der eine Ahnung, zumindest eine leise Ahnung hat, wie beschissen eine solche Situation ist, dass Menschen wie ich, die jetzt schon das 5. Mal auf das Urteil warten, ob der Herd, dieser hochsuspekte Herd mit dem Namen SBL – Abkürzung für Metastase- von mir liebevoll Jupiter getauft, größer geworden ist.
Größer ist nämlich ganz schlecht, oder vielleicht sind ja sogar noch welche dazu gekommen – Aufhellungen, Verdunkelungen, da ist ja viel Platz in so einem Körper.
„Reden Sie mit mir, bitte, ich flehe Sie an, lassen Sie mich nicht allein!““
„Reden Sie mit mir! Sagen Sie mir, dass Ihnen meine Haarfarbe gefällt, fragen Sie mich, welcher Art mein Doktortitel ist, und dass Sie auch immer schon Psychotherapeutin werden wollten.
Oder erzählen Sie mir von ihrem Hund oder dass Sie froh sind, dass es jetzt gleich zu Ende ist mit all dem Nadel-Setzen und Rein- und rausschieben und Sie jetzt endlich gleich die vom Foodora gelieferte Pizza essen können.
Oder sagen Sie mir – wieder geschafft! Haben Sie noch einen schönen Abend.“
Egal was, einfach mit mir reden, mir das Gefühl geben, dass ich nicht allein bin. Weil dann lässt sich sogar ein schlechter Befund besser verdauen.
Naja, so gesehen kann man sich schon auf mit passender KI programmierte Roboter freuen, die einen mit Namen ansprechen, die Hand halten, fragen, ob ich gut liege, mich beruhigen über liebe Worte.
Einfach ganz menschlich halt.