Das Rausfallen aus der Selbstverständlichkeit meines Lebens durch eine Krebsdiagnose ist oftmals ein Weckruf, ein Aufwachen aus dem „Bett“ der Selbstverständlichkeiten. Dies ist begleitet von der Erkenntnis, dass dieses so gewordene Leben vielleicht gar nicht so gut war, wie es schien, dass es Unstimmigkeiten gab, ich vieles tat, was mir nicht wohl tat, vielleicht sogar schädlich war.
Oft sind das Erlebnisse spontaner Erkenntnis, eine Bestätigung von etwas, was ich schon länger tief in mir wusste, aber nicht wahrnehmen wollte. Manche Menschen, die mit einer Krebsdiagnose konfrontiert sind, wissen beispielsweise, dass ihre Ernährung krankmachend ist und dass hier Änderungsbedarf gegeben ist. Sie nehmen diese Notwendigkeit wahr und vielmehr noch, sie dürfen sie jetzt endlich ändern. Der Wunsch und die Notwendigkeit einer Ernährungsumstellung ist jetzt stärker als die lieb gewordene Gewohnheit. Wie die Beispiele in dem wunderbaren Buch „Spontanheilungen“ von Hirshberg und Barasch zeigen, kommen diese Erkenntnisse aus der von mir schon oftmals beschriebenen „wissenden Lücke“, jenem freien undeterminierten Bewusstseinsfeld, in welchem alle Informationen zur Verfügung stehen. Da weiß etwas in mir – und dieses Spür- oder Zellwissen ist hinter der Angst, der Sorge, der Unwissenheit -, was jetzt zu tun ist. Und das ist dann ganz und gar kein bedauernswertes Opfer sondern ein mit Freude begonnenes Unterfangen. Ja, ich darf meinen organismischen Bedürfnissen gerecht werden, ich muss nicht mehr mitmachen, ich darf mich um mich selbst kümmern, dafür sorgen, dass meine Nahrung, meine Beziehungen, meine Arbeit, mein Lebensstil heilsam sind. Wie jener im oben genannten Buch beschriebene Patient, der selbst seinen eigenen Koch auf seine Reisen mit nahm, weil er erkannte, dass seine Ernährung eine wesentliche Säule in seinem Heilsystem ist. Der große Aufwand, der bisweilen zu leisten ist, ist keine Belastung, vielmehr spiegelt es mir wieder, dass ich mir das Beste wert bin, weil mein Leben kostbar ist. So führt das Gewahrwerden meiner Endlichkeit, die Möglichkeit, dass ich an meinem Krebs sterben könnte, zu einer Verdichtung, einer Ver-Eigentlichung meines Lebensprozesses, welches sich auch in einer gesteigerten Lebensintensität ausdrückt.
Oder – um viel, viel schöner noch mit Rilke zu sprechen:
Mandelbäume in Blüte
Die Mandelbäume in Blüte: alles, was wir hier leisten können, ist, sich ohne Rest erkennen in der irdischen Erscheinung.
Unendlich staun ich euch an, ihr Seligen, euer Benehmen,
wie ihr die schwindliche Zier traget in ewigem Sinn.
Ach wers verstünde zu blühn: dem wär das Herz über alle
schwachen Gefahren hinaus und in der großen getrost. Rainer Maria Rilke